„Millionendiebstahl in Mistelbach“, so oder ähnlich lauteten Schlagzeilen, die sich am 22. März 1919 in vielen großen österreichischen Tageszeitungen fanden, und unter denen über einen spektakulären Coup berichtet wurde. In der Nacht auf Freitag, den 21. März 1919 hatte eine Diebesbande aus Wien einen Einbruch im Steueramt, das sich damals im Gebäude des Bezirksgerichts am Hauptplatz befand, verübt und dabei rund 1,2 Millionen Kronen erbeutet. Mittels des (historischen) Währungsrechners der Österreichischen Nationalbank ergibt sich ein heutiger Gegenwert von rund 229.000 €. Natürlich kann dies nur als Annäherungswert verstanden werden, bedeutet aber jedenfalls, dass die oben genannte Beute, obwohl die österreichische Kronenwährung nach der Niederlage des Ersten Weltkriegs bereits deutlich an Wert verloren hatte, dennoch eine gewaltige Summe darstellte.
Die fünfköpfige Bande, deren Mitglieder großteils polizeibekannt waren, fuhr am Tag vor der Tat, teils mit dem späteren Fluchtauto, teils mit der Staatsbahn von Wien nach Mistelbach. In der Nacht schließlich stand der Fluchtwagen samt Fahrer startbereit, während sich die Einbrecher ans Werk machten und mit einem Dietrich das Tor zum Bezirksgerichtsgebäude öffneten. Während einer von ihnen Schmiere stand, drangen seine Kumpane weiter ins Gebäude vor und verschafften sich durch das Aufsprengen mehrerer Türschlösser Zugang zum Kanzleiraum des Steueramtes. In diesem fanden sie die große eiserne Kasse, die sie mithilfe eines autogenen Schweißgerätes knackten und deren Inhalt verstauten sie in mitgebrachten Taschen, Rucksäcken und ihrer Kleidung. Die Täter mussten ihr Einbruchsziel im Vorfeld sehr gut ausgekundschaftet haben, da sie äußert geschickt vorgingen und es insbesondere vermieden hatten, den im 1. Stock im hinteren Teil des Gebäudes wohnenden Amtsdiener des Bezirksgerichts auf sich aufmerksam zu machen. Anschließend flohen sie mittels des Fluchtwagens nach Wien, doch noch im frühen Morgengrauen und bevor der Einbruch bemerkt wurde, endete ihre Flucht aufgrund einer Motorpanne auf der Brünner Straße kurz vor Stammersdorf. Ein Volkswehrmann in Zivil wurde auf das eigenartige Quintett aufmerksam, dass eilig die Flucht ergriff. Die sofort alarmierte Polizei und Volkswehr, konnte die Täter, die zu Fuß über Felder in verschiedene Richtungen flüchteten, bald stellen. Im Zuge der Festnahme hatte sich jedoch einer der Täter mit Revolverschüssen leicht selbst verletzt. Einige tausend Kronen gingen bei der Sicherstellung der Beute verloren, was einerseits dem an diesem Tag herrschenden starken Wind zugeschrieben wurde, andererseits wurden Passanten und Schaulustige verdächtigt, sich an der im Fluchtwagen teilweise zurückgelassenen Beute bedient zu haben.
Die Festgenommenen wurden dem Kreisgericht Korneuburg übergeben und im Rahmen eines Prozesses, der im darauffolgenden September stattfand, zu mehrjährigen schweren Kerkerstrafen verurteilt.
Quellen:
-) Mistelbacher Bote, Nr. 13/1919, S. 2f
1Wiener Abendpost, 10. September 1919 (Nr. 206), S. 4 (ONB: ANNO)
-) Wiener Zeitung, 12. September 1919 (Nr. 208), S. 3 (ONB: ANNO)
-) Reichspost, 22. März 1919 (Nr. 138), S. 7 (ONB: ANNO)
-) Arbeiter-Zeitung, 22. März 1919 (Nr. 80), S. 5 (ONB: ANNO)
-) Deutsches Volksblatt, 22. März 1919 (Nr. 10852) , S. 5 (ONB: ANNO)