Franz Josef-Straße

Während sie im oberen Teil, als Hintausstraße der Bauernhöfe in der Oberhoferstraße, schon von alters her auch auf der linken Straßenseite zahlreiche Stadel und Keller aufwies, war diese Seite im südlichen Bereich, auf Höhe des Hauptplatzes, gegen Mitte bzw. Ende des 19. Jahrhunderts noch weitgehend unverbaut. Es handelt sich also um eine vergleichsweise junge, zu anfangs eher unbedeutende Straße.1

Die ehemalige Schießstätte der Schützenvereinigung befand sich auf dem Gelände des heutigen Stadtparks und erstreckte sich einst über die Bahnlinie hinaus. Durch den 1869 erfolgten Bau der k. k. Staatseisenbahn wurde das weitläufige Areal durchtrennt und der unterhalb der Bahnstrecke gelegene Teil wurde später zum Stadtpark umgewandelt bzw. teilweise als Gastgarten durch das Hotel Rathaus (heute: Erste Bank) genutzt. Demgemäß wurde die zum Stadtpark führende Straße zunächst als „Parkstraße“ bezeichnet, ehe sie 1898, als in Mistelbach die Einführung der Straßennamen als Adressbezeichnung erfolgte, den Namen „Kaiser Franz Joseph-Straße“ erhielt. Die Benennung nach Kaiser Franz Joseph I., war eine besondere Huldigung aus Anlass seines im Jahr der Namensgebung gefeierten 50-jährigen Regierungsjubiläums.2

Die Franz Josef-Straße zu Beginn des 20. JahrhundertsDie Franz Josef-Straße zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Seit dem gescheiterten Putschversuch der Nationalsozialisten in München am 9. November 1923, gedachten die Nazis jedes Jahr ihrer sogenannten Blutzeugen, in einem propagandistisch groß inszenierten Totenkult. Ganz in diesem Sinne und angeregt durch das wenige Tage vorher erfolgte tödliche Attentat auf Ernst vom Rath wurden im Rahmen einer Großkundgebung im November 1938, gemäß Beschluss des vom NS-Regime eingesetzten Gemeindeverwalters Adolf Schödl, drei Mistelbacher Straßen nach zu Märtyrer hochstilisierten toten Nationalsozialisten benannt. Die Kaiser Franz Josef-Straße erhielt den Namen „Wilhelm Gustloff-Straße“, und zeitgleich kam es zu folgenden weiteren Umbenennungen: „Ernst vom Rath-Straße“ (Weimarergasse) und „Adalbert Schwarz-Gasse“ (Gspanngasse).3 Der aus Deutschland stammende Wilhelm Gustloff war der Leiter der NSDAP-Auslandsorganisation in der Schweiz, und wurde 1936 vom jüdischen Medizinstudenten David Frankfurter in Davos erschossen.

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus folgte die Zeit der sowjetischen Besatzung und die während der NS-Herrschaft umbenannten Straßen erhielten 1945 wieder ihre einstigen Bezeichnungen. Bei der Rückbenennung der Franz Josef-Straße wurde allerdings der  Titel „Kaiser“ entfernt. Sie behielt jedoch nur kurz ihren ursprünglichen Namen, denn im Mai 1946 folgte eine erneute Umbenennung in „Straße des 12. Februar 1934“.4 An diesem 12. Februar kam es ausgehend von Linz zu einem mehrere Tage währenden, blutigen Bürgerkrieg zwischen den Sozialisten mit dem republikanischen Schutzbund und dem Dollfuß-Regime mit Heimwehr, Polizei und Bundesheer. Im März 1956 erhielt die Straße wieder Franz Josef-Straße.5

Heute ist die Franz Josef-Straße einer der längsten Straßenzüge Mistelbachs und gleichzeitig jene mit der höchsten Hausnummer: 170.

Bedeutende Gebäude bzw. Einrichtungen in der Franz Josef-Straße:

Franz Josef-Straße 10: das ehemalige Stadtcafe der Familie Lorenz Heindl, in unverkennbarem Stil der 1930er Jahre erbaut

Franz Josef-Straße 13: erbaut als Villa des „Fruchthändlers“ (=Landesproduktehändlers) Josef Schwarz sen.; neben an auf Haus Nr. 15 befand sich die der Familie Schwarz gehörende Frucht- und Mehlhandlung

Eine Aufnahme aus dem Jahr 1899: Die Villa von Josef Schwarz sen. (Franz Josef-Straße 13) und das daneben gelegene Frucht- und Mehlgeschäft der Familie Schwarz (Franz Josef-Straße 15)Eine Aufnahme aus dem Jahr 1899: Die Villa von Josef Schwarz sen. (Franz Josef-Straße 13) und das daneben gelegene Frucht- und Mehlgeschäft der Familie Schwarz (Franz Josef-Straße 15)

Franz Josef-Straße 17: bis zum Beginn der 1990er Jahre befand sich hier das Gasthaus „Zum Schwarzen Adler“, das von seinem ursprünglichen Standort am Hauptplatz Nr. 27 hierher verlegt worden war. Von 1905 bis 1909 (ev. sogar bis 1913) befand sich hier auch das Bierdepot der Brauerei St. Marx. Anfang der 2000er Jahre eröffnete hier eine Filiale der Hypo NOE Landesbank.

Franz Josef-Straße 25, 27, 29, 31 und 33: wurden Anfang der 1890er Jahre vom Mistelbacher Geschäftsmann Franz Czinglar sen. als Zinshäuser erbaut. Nachdem er das Haus Nr. 33 erworben hatte eröffnete hier der k.k. Notar Dr. Othmar Schürer Ritter von Waldheim im Mai 1912 seine Notariatskanzlei.6 Zuvor hatte sich das Notariat rund vierzig Jahre an der Adresse Bahnstraße Nr. 13 befunden. 1935 übernahm Schürers Schwiegersohn Dr. Hans Gärtner das Notariat7, der dieses Haus testamentarisch der Stadtgemeinde Mistelbach vermachte mit der Auflage, dass dieses auch künftig als Notariatsgebäude dienen sollte.

Diese Aufnahme aus dem Jahr 1901/02 zeigt die Rückansicht der von Czinglar sen. errichteten Zinshäuser in der Franz Josef-Straße, aus erhöhter Perspektive vermutlich im Bereich Brennerweg/Am PulverturmDiese Aufnahme aus dem Jahr 1901/02 zeigt die Rückansicht der von Czinglar sen. errichteten Zinshäuser in der Franz Josef-Straße, aus erhöhter Perspektive vermutlich im Bereich Brennerweg/Am Pulverturm

Hinter den im Familienbesitz befindlichen Zinshäusern hatte sich Franz Czinglar jun. 1906 eine prachtvolle Villa erbaut, doch nachdem er bereits zehn Jahre später verstarb, wurde selbige nach ihren späteren Besitzer „Kraus- bzw. Nawrata-Villa“ benannt. Diese Villa mit der Adresse Franz Josef-Straße 29a wurde etwa im Jahr 2000 abgebrochen und in der Folge auf dem weitläufigen Areal eine Genossenschaftswohnhausanlage errichtet.

Die von Franz Czinglar jun. errichtete Villa mit ihrem markanten spitzen Turm (siehe rote Einkreisung), die knapp ein Jahrhundert bestand und später als "Kraus- bzw. Nawrata-Villa" bekannt war. Die Aufnahme, die etwa um 1910 entstanden sein dürfte, zeigt den Blick auf die Stadt von einem Standort hinter bzw. oberhalb des Ziegelwerk - also etwa im Bereich des heutigen Brennerwegs oder Am Pulverturm.Die von Franz Czinglar jun. errichtete Villa mit ihrem markanten spitzen Turm (siehe rote Einkreisung), die knapp ein Jahrhundert bestand und später als „Kraus- bzw. Nawrata-Villa“ bekannt war. Die Aufnahme, die etwa um 1910 entstanden sein dürfte, zeigt den Blick auf die Stadt von einem Standort hinter bzw. oberhalb des Ziegelwerk – also etwa im Bereich des heutigen Brennerwegs oder Am Pulverturm.

 Franz Josef-Straße 43: der 1988 eröffnete Mistelbacher Stadtsaal, zuvor befand sich hier die 1955 eröffnete Markthalle („Sauhalle“), die später zu einer Multifuktionshalle („Stadthalle“) ausgebaut wurde. Hinter der Markthalle befand sich das alte Städtische Bad, dessen Gebäude in den Stadtsaal baulich integriert wurde.

Franz Josef-Straße 47: das 1960 neu errichtete Haus der Frewilligen Feuerwehr Mistelbach – nähere Details siehe den Beitrag zum Florianiplatz

Franz Josef-Straße Nr. 51: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts Presshaus und großer Keller des Weingroßhändler Felix Roller; 1903 wurde im Garten dieses Hauses ein bedeutender archäologischer Fund aus der Bronzezeit entdeckt der unter dem Namen „Rollerfund“ bekannt ist

Franz Josef-Straße 54: 1908 erbaut als Geschäftslokal des „Spar- und Konsumverein Mistelbach“ und diesem Zweck diente es bis zum Jahr 1968 als der „Konsum“ an die Adresse Bahnstraße Nr. 5 übersiedelte; später Nutzung als Bar bzw. Abendlokal (Tritsch-Tratsch, Mango Music Pub, Shakesbeer’s, zuletzt „Niki’s Tanzcafe“); Mitte der 2010er Jahre wurde das Haus abgebrochen und an seiner Stelle ein neues mehrstöckiges Wohngebäude errichtet.

Wo befindet sich die Franz Josef-Straße?

 

Bildnachweis:
-) Ansicht Franz Josef-Straße: StadtMuseumsarchiv Mistelbach
-) Villa & Fruchthandlung Schwarz: Göstl-Archiv
-) „Czinglar-Villa“: Ansichtskarte aus der Sammlung von Herrn Gerhard Lichtl, digitalisiert von Otmar Biringer

Quellen:

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Bürgermeister im Jubiläumsjahr 1908

Das Jahr 1908 stand ganz im Zeichen des 60-jährigen Regierungsjubiläums von Kaiser Franz Joseph I. und der Verleger Ignaz Tenger veröffentlichte aus diesem Anlass ein einzigartiges Huldigungswerk – den österreichischen Bürgermeister-Almanach. Das dem Jubilar gewidmete Buch enthielt eine Huldigungsadresse und eine Liste sämtlicher Bürgermeister aus allen Teilen der Monarchie. Ein Jahr Arbeit steckte Tenger in dieses patriotische Buchprojekt, das neben Lebensdaten der im Jubiläumsjahr amtierenden Bürgermeister und Informationen zu den jeweiligen Gemeinden, auch die Darstellung aller Bürgermeister mittels aktueller Porträt-Fotos beinhalten sollte. Dass es ihm nicht gelungen ist von allen Bürgermeistern Fotos aufzutreiben, ist neben anderen Gründen, auch auf die bereits seit längerer Zeit schwelenden Nationalitätenkonflikte zurückzuführen, wie im Vorwort kurz angemerkt wurde.

Auch Mistelbach und seine damals noch selbstständigen Katastralgemeinden, sind mit Ausnahme von Kettlasbrunn, Lanzendorf und Paasdorf mit Fotografien ihrer Bürgermeister vertreten. Alle untenstehend abgebildeten Bürgermeister tragen die 1908 gestiftete niederösterreichische Bürgermeistermedaille, die das Antlitz des Kaisers ziert. Mistelbachs Bürgermeister Thomas Freund, ließ diese Medaille in eine von ihm anlässlich seines im selben Jahr begangenen zwanzigjährigen Amtsjubiläums gestiftete Bürgermeisterkette einarbeiten.

Ökonomierat Ferdinand Fallenbiegl (*1856, †1933)8, Wirtschaftsbesitzer
Bürgermeister von Ebendorf 1891-19199

 

Leopold Strobl (*1851, †1927), Wirtschaftsbesitzer
Bürgermeister von Eibesthal 1906-191910,
bereits seit 1885 Mitglied der Gemeindevertretung

 

Leopold Welzl (*1862, †1957)11, Wirtschaftsbesitzer
Bürgermeister von Frättingsdorf 1907-191912

 

Johann Bösmüller (*1859, †1943)13, Wirtschaftsbesitzer
Bürgermeister von Hörersdorf 1906-191914,
bereits seit 1900 Mitglied der Gemeindevertretung

 

Josef Schreiber (*1865, †1938)15, Wirtschaftsbesitzer
Bürgermeister von Hüttendorf 1901-191916

 

Kommerzialrat Thomas Freund (*1850, †1937), Kaufmann, Landtagsabgeordneter
Bürgermeister von Mistelbach 1888-1911,
bereits seit 1885 Mitglied der Gemeindevertretung17

 

Anton Trischack (*1856, †1940)18, Wirtschaftsbesitzer
Bürgermeister von Siebenhirten 1907-191919,
bereits seit 1891 Mitglied der Gemeindevertretung

Abschließend seien hier die Bürgermeister heutiger Katastralgemeinden angeführt, die zwar im Bürgermeister-Almanach erwähnt werden, aber darin nicht abgebildet sind:

Jakob Bachmayer (*1850, †1927)20, Wirtschaftsbesitzer
Bürgermeister von Kettlasbrunn 1901-191221,
bereits seit 1885 Mitglied der Gemeindevertretung

Franz Schön (*1855, †1951)22, Wirtschaftsbesitzer
Bürgermeister von Lanzendorf 1894-191923,
bereits seit 1885 Mitglied der Gemeindevertretung

Leopold Rosner (*1859, †1934)24, Wirtschaftsbesitzer
Bürgermeister von Paasdorf 1899-1912 & 1916-191925,
bereits seit 1889 Mitglied der Gemeindevertretung

Quellen:
Tenger, Ignaz: Österreichischer Bürgermeister-Almanach – 1848 – 1908; Jubiläums-Widmung zur Feier des 60jährigen Regierungs-Jubiläums Sr. k.u.k. a. M. Franz Josef I. (1908) (Digitalisat NÖ Landesarchiv)

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Gspann, Lehrerfamilie

Beinahe ein Jahrhundert waren Mitglieder der Familie Gspann in Mistelbach als Lehrer tätig und vermittelten Generationen von Mistelbacher Kindern Schulbildung. Allesamt waren sie auch sehr musikalisch, erteilten Musikunterricht und betätigten sich auch als Komponisten. Neben ihrer Tätigkeit als Schulleiter waren die Gspann-Lehrer auch als Regenschori beschäftigt, also mit der Leitung der Kirchenmusik betraut.

Anton Gspann

* 1769, ?
† 1.1.1823, Mistelbach26

Ab 1797 hatte Anton Gspann die Mistelbacher Lehrerstelle inne und schloss im selben Jahr die Ehe mit Barbara Brenner, einer Tochter des hiesigen Töpfermeisters Johannes Brenner. Dieser Verbindung entstammten sechs Kinder, darunter der in Wien wirkende Musiklehrer und Komponist Karl Paul Gspann.27 Nähere Details zu seiner Herkunft sind leider nicht bekannt. Eine Abstammung von der seit Ende des 17. Jahrhunderts in Lanzendorf aufscheinenden Bauernfamilie Gspann, wie Prof. Spreitzer sie vermutete, scheint grundsätzlich naheliegend zu sein, allerdings findet sich in den lokalen Pfarrmatriken kein passender Taufbucheintrag im fraglichen Zeitraum.28

Die Schule war seit dem Jahr 1620 an der Adresse Kirchengasse 11 untergebracht, und im Schulhaus befand sich auch die Wohnung des Lehrers. Am 9. Juli 1809 musste Gspann miterleben wie das Schulgebäude von durchziehende Soldaten Napoleons in Brand gesteckt wurde und völlig niederbrannte. Das an der selben Stelle wiederaufgebaute und um die danebengelegene Brandruine erweiterte, neue Schulhaus wurde 1811 eröffnet, doch auch dieser Neubau konnte die seit jeher herrschende Raumnot nicht lindern. In der Zeit vor der Fertigstellung des neuen Gebäudes (1809 – 1811) mussten Gspann und seine Schulgehilfen (=Hilfslehrer bzw. Lehrer in  Ausbildung) den Unterricht zunächst im Wirtshaus zur goldenen Krone (Oberhoferstr. 15) und später im Barnabitenkolleg abhalten.29

Anton Gspann übte das Amt des Lehrers und Schulleiters bis zu seinem Tod im Jahre 1823 aus.

Joseph Gspann

* 18.2.1802, Mistelbach30
† 1.1.1882, Mistelbach31

Joseph Gspann folgte seinem Vater Anton im Beruf und absolvierte 1815 den pädagogischen Kurs in Wien. Drei Jahre später trat er in den Schuldienst ein und war in den folgenden Jahren als Lehrergehilfe tätig. 1822 legte er erfolgreich die Lehrerprüfung ab, und nach dem Ableben seines Vaters zu Beginn des folgenden Jahres, übernahm er dessen Lehrerstelle.32 Er war hintereinander mit den drei Töchtern des Hutmachermeisters Matthias Küttner verheiratet: Anna (∞1824, †1828)33, Antonia (∞1829, †1836)34, Franziska (∞1854)35 und aus den ersten beiden Ehen stammten zehn Kinder, von denen allerdings einige bereits in jungen Jahren verstarben. Sein Schwiegervater Matthias Küttner war der Besitzer des Barockschlössls und durch die Heirat mit der jüngsten Tochter Franziska, die das Anwesen von ihrem Vater geerbt hatte, kam das Barockschlössl in den Besitz der Familie Gspann.36 Aufgrund seiner herausragenden Dienstausübung wurde Joseph Gspann 1826 mit dem Berufstitel „Musterlehrer“ geehrt.37 Ab diesem Jahr hatte er neben dem Schuldienst auch die Meßnerdienststelle inne.38 Er war ein sehr begabter Musiker, und mehrfach ereilten ihn lukrative Angebote als Musiklehrer bzw. Musiker nach Wien zu wechseln, die er jedoch alle aus Verbundenheit gegenüber seiner Heimat und seiner Schule ausschlug.39

Davon, dass die von ihm komponierten Werke auch in Wien Anerkennung fanden, zeugt ein Bericht der Wiener Zeitung aus dem Juni 1840, der von der Aufführung einer selbstkomponierten Messe in der Kirche am Hof in Wien handelt. Darin heißt es unter anderem: “Es spricht sich in dem Werke nebst einer vollständigen Kenntniß des Generalbasses und der Compositionslehre eine besondere Befähigung zum sogenannten Kirchen-Style aus”.40 Es handelte sich bei dem Werk wohl um die „Brand-Messe“, die im November 1839 in Mistelbach uraufgeführt wurde und die Joseph Gspann zum Gedenken an die völlige Zerstörung der Pfarrkirche durch eine Feuersbrunst am 15. Juni 1835 verfasst hatte.

Er und sein Sohn Ludwig waren auch die ersten Musiklehrer der in Mistelbach geborenen Klaviervirtuosin Laura Kahrer (verehel. Rappoldi), bei denen sie als Zehnjährige Klavier- und Generalbaß-Unterricht erhielt. Sofort erkannten sie das unglaubliche Talent und angeblich bereits nach einem Jahr, waren die erfahrenen Musiker nicht mehr in der Lage dem Kind Neues zu lehren, sodass Kahrer ihre musikalische Ausbildung in Wien fortsetzte. Ihre erste im Alter von elf Jahren verfasste Komposition, Elegie – Tongemälde für Piano, widmete sie ihrem Generalbaßlehrer Joseph Gspann und dieses Werk, das dem damaligen k. k. Hofkapellmeister Randhartinger vorgelegt wurde und dessen Anerkennung fand, ist in den Beständen des Stadt-Museumsarchivs erhalten geblieben.41

Laut den Veröffentlichungen von Prof. Spreitzer zur Schulgeschichte Mistelbachs erfolgte Joseph Gspanns Übertritt in den Ruhestand zeitgleich mit der Einrichtung der Pfarrhauptschule 1861, allerdings scheint er in einem Lehrer-Schematismus aus dem Jahr 1863 weiterhin als Schulleiter (Oberlehrer) auf.42 Neben seinem Sohn Ludwig, ergriff auch sein Sohn Joseph den Beruf des Lehrers und dieser wurde später Bürgerschuldirektor in Wien-Alsergrund.43 Noch am Tag seines Todes, dem Neujahrstag des Jahres 1882, spielte er als Organist die Messe in der Pfarrkirche, als ihm währenddessen plötzlich übel wurde – er starb noch am selben Tage in seinem Haus, dem Barockschlössl.

Ludwig Gspann

* 6.1.1831, Mistelbach44
† 8.1.1900, Mistelbach45

Auch Ludwig Gspann folgte beruflich dem Vorbild von Großvater und Vater, absolvierte 1849 den pädagogischen Kurs in Wien und legte im selben Jahr auch die Lehrerprüfung ab. Ab diesem Zeitpunkt war er, mit Ausnahme einer zwischenzeitlichen Tätigkeit an der Volksschule Neulerchenfeld (Wien)46, bis zur Pensionierung seines Vaters als Lehrgehilfe (bzw. Unterlehrer) an der Schule in Mistelbach beschäftigt. Wann genau er seinem Vater als Schulleiter nachfolgte, ist aufgrund widersprüchlicher Quellenangaben (siehe bei Joseph Gspann) leider nicht eindeutig klar. Jedenfalls ab Ende 186547 und bis ins Jahr 1873 hatte er diese Funktion inne. In diesem Jahr erfolgte der Umzug in die neuerbaute Volks- und Bürgerschule, am heutigen Standort der Hauptschule in der Bahnstraße, und auch die Organisation des Schulwesens änderte sich bedingt durch die Umsetzung einer Reform. Zwar zog sich Gspann von der Schulleitung zurück, war aber bis zu seiner Pensionierung Ende November 1884 weiter als Volksschullehrer tätig.48 1864 war er die treibende Kraft hinter der Gründung des Männergesangsvereins (Vorläufer des Musik- und Gesangsverseins Mistelbach) und auch dessen langjähriger Chorleiter.49 Ebenso gehörte Ludwig Gspann 1868 zu den Gründungsmitgliedern des Deutschen Turnvereins Mistelbach und war ab 1871 als Lehrervertreter Mitglied des Bezirksschulrats. 1863 ehelichte er die aus Orth a.d. Donau stammende Industriallehrerin (=Werk- bzw. Handarbeitslehrerin) Maria Theresia Kellersmann, die später auch an der Mistelbacher Schule unterrichtete.50 Dieser Ehe waren keine Kinder beschieden und als seine Gattin 1897 einer Krebserkrankung erlag, heiratete er im Jahr darauf die zwanzig Jahre jüngere Lehrerswitwe Mathilde Gschweidl aus Laa a.d. Thaya, und auch diese Ehe blieb kinderlos.51 Bis zum Tod seiner ersten Gattin wohnte Gspann in der Lehrerwohnung im alten Schulhaus in der Kirchengasse, und übersiedelte danach in das Barockschlössl, dass er bereits 1888 nach dem Ableben seiner Stiefmutter gemeinsam mit drei Geschwistern geerbt hatte. Schon 1893 musste er den Dienst als Regenschori wegen fortschreitender Schwerhörigkeit zurücklegen.

Der letzte Mistelbacher Gspann-Lehrer, Ludwig Gspann, starb wenige Tage nach der Wende zum 20. Jahrhundert. 1915 verstarb schließlich die letzte Mitbesitzerin des Barockschlössls aus der Familie Gspann52, Aloisia Gspann, und danach ging das Gebäude in den Besitz von Johann Burgmann über, bevor die Sparkasse der Stadt Mistelbach 1929 das Anwesen erwarb und es nach eingehender Renovierung dem Mistelbacher Heimatmuseum zur Verfügung stellte.53 Heute befindet sich das Barockschlössl im Besitz der Gemeinde und wird als Kultur- und Veranstaltungszentrum genutzt.

1958 beschloss der Mistelbacher Gemeinderat der in unmittelbarer Nähe zur Schule gelegenen Quergasse im Gedenken an das Wirken der Familie Gspann den Namen Gspanngasse zu geben.54

Wo befindet sich die Gspanngasse?

Quellen (und Anmerkungen):

-) Spreitzer, Prof. Hans: Mistelbacher Schulgeschichte in: Mistelbach Geschichte I (1974), S. 232 ff
-) Bote aus Mistelbach 2/1900, S. 5 (Nachruf Ludwig Gspann)

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Update – Mistelbach in der Zeitung – Teil 4 (1924-1939)

Ein weiterer bebilderter Zeitungsbericht zu einem Ereignis in Mistelbach konnte in den digitalisierten Zeitungsbeständen der Österreichischen Nationalbibliothek aufgestöbert werden, und dessen Inhalt wurde in den Beitrag „Mistelbach in der Zeitung – Teil 4 (1924-1939)“ eingearbeitet.

Große Weinkost bei Weinhändler Roller – 1928

Am 21. Februar 1928 fand eine große Weinkost im Kellereibetrieb des Mistelbacher Weingroßhändlers Felix Roller statt, an der laut einem Zeitungsbericht rund 600 geladene Gäste teilnahmen. Die gereichten Weine fanden großen Anklang und unter den Teilnehmern waren auch Landeshauptmann Dr. Karl Buresch und der christlich-soziale Nationalratsabgeordnete Richard Wollek. Die Aufnahme zeigt einen Teil der Gäste vor dem vom Barnabitenorden im 17. Jahrhundert angelegten großen Klosterkeller, dem einstmals größten Keller des Landes, den die Weinkellerei Roller bis in die 1950er Jahre gepachtet hatte.


Foto: Leopold Forstner
Das interessante Blatt, 1. März 1928, S. 6 (ONB-ANNO)

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Mistelbach in Vergangenheit und Gegenwart – Schriftenreihe

Im Sommer 1962 erschien erstmals die von der Stadtgemeinde Mistelbach herausgegebene heimatkundliche Schriftenreihe „Mistelbach in Vergangenheit und Gegenwart“, als Beilage zur Gemeindezeitung. Die Initiative dazu ging von Ministerialrat Prof. Hans Spreitzer aus, der bis zu seinem Tode 1979 auch redaktioneller Leiter dieser Publikation war. Zu den Autoren zählten neben verdienstvollen Heimatforschern, bald auch Fachexperten die Abhandlungen zu verschiedenen Themen rund um die Geschichte Mistelbachs verfassten. Ein besonderes Anliegen war dieses Projekt auch dem damaligen Bürgermeister Reg.Rat Franz Bayer, der nicht nur die Rahmenbedingung für die Herausgabe schuf, sondern auch selbst Beiträge verfasste.

Die regelmäßig erscheinenden Beilageheftchen, umfassten zunächst jeweils nur wenige Seiten, und die einzelnen Beiträge, die mit einer fortlaufenden Seitennummerierung versehen waren, wurden jahrzehnteweise zu Bänden zusammengefasst. Wie von Anbeginn geplant, wurden anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums der Stadterhebung (1974) viele der in der Beilage erschienen Beiträge, in dem unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Herbert Mitscha-Märheim herausgegebenen Buch „Mistelbach Geschichte I“, gesammelt veröffentlicht. Im Laufe der Zeit wuchs der Umfang der einzelnen Beiträge, die sich ab den Gemeindefusionen 1967 bzw. 1972 auch mit den nunmehr als Katastralgemeinden eingemeindeten Ortschaften befassten. Wie der Titel nahelegt stand nicht nur die Geschichte, sondern auch die Gegenwart im Fokus dieser Reihe und so wurden zahlreiche Festschriften in diesem Rahmen veröffentlicht und anfangs unter dem Titel „das aktuelle Bild“ auch Fotos gegenwärtiger Ereignisse abgedruckt. Schon seit vielen Jahren erscheinen Beiträge nur mehr unregelmäßig, und oftmals anlassgebunden, dafür aber in Form umfangreicher und sehr professionell gestalteter Publikationen.

Die hier veröffentlichte Liste soll einen Überblick über die bisher erschienenen, äußerst wertvollen Beiträge bieten und veranschaulichen, was auf diesem Gebiet seit mehr als 55 Jahren von vielen  engagierten Menschen geleistet wurde.

Inhaltsverzeichnis – Mistelbach in Vergangenheit und Gegenwart

Das Buch „Mistelbach Geschichte I“ und Restexemplare einzelner Bände sind im Bürgerservice der Stadtgemeinde Mistelbach erhältlich.

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Gspanngasse

Ab der Einführung der Straßenbezeichnungen in Mistelbach im Jahr 1898 hieß die heutige Gspanngasse für die folgenden vierzig Jahre zunächst schlicht Quergasse.55 Im November 1938 wurde die Gasse dann durch Beschluss des vom NS-Regime eingesetzten Gemeindeverwalters Adolf Schödl in „Adalbert Schwarz-Gasse“ umbenannt, nach dem im August 1930 getöteten Nationalsozialisten Adalbert Schwarz (1906-1930)56. Die Namensgebung erfolgte im Rahmen einer großen Kundgebung in Anwesenheit des Gauleiters Dr. Jury, bei der dem NS-Totenkult auch durch die Umbenennung folgender weiterer Straßen gehuldigt wurde: „Ernst vom Rath-Straße“ (Weimarergasse) und „Wilhelm Gustloff-Straße“ (Franz Josef-Straße).57 Schwarz war der erste Tote der NSDAP in Wien und die NS-Propaganda versuchte seinen gewaltsamen Tod als politischen Mord zu inszenieren. Politische Motive konnten im Rahmen der Ermittlungen bzw. des medial begleiteten Gerichtsprozesses jedoch nicht festgestellt werden. Bei dem tödlichen Messerangriff handelte es sich vielmehr um die Eskalation eines durch Stänkereien ausgelösten Streits vor dem Währinger Brauhaus, in dem eine Konzertveranstaltung der NS-Organisation „Vaterländischer Schutzbund“ stattfand. Bereits seine Bestattung wurde zu einer großen propagandistischen Kundgebung und Schwarz in der Folge als Märtyrer der Bewegung von den österreichischen Nazis glorifiziert. Zweifellos wollte man mit dieser Umbenennung auch der Kreisleitung der NSDAP, die ab August 1938 in dem durch die Sparkasse Mistelbach „arisierten“ Haus Nr. 5 (davor Zahnarzt Dr. Rudolf Thein) untergebracht war, eine besondere, nationalsozialistisch geprägte Adresse geben.

Der Schlossergehilfe Adalbert Schwarz wurde in Gmünd geboren und war nach dem damals gültigen Heimatrecht auch bis zu seinem Tode dorthin zuständig, obgleich er ab mind. 1929 in Wien-Hernals wohnhaft war.58 Vereinzelt findet sich in der Berichterstattung der großen Tageszeitungen über die Bluttat, die Information, dass Schwarz Eltern und seine Ehefrau außerhalb Wiens lebten, jedoch wurde kein konkreter Ort genannt.59 Sein Tod wird im Mistelbacher Bote bzw. in dem den Nazis nahestehenden Regionalblatt „Neue Grenzwacht“ nicht erwähnt, allerdings wird 1933 anlässlich der Benennung des Mistelbacher NSDAP-Parteiheims in der Liechtensteinstraße 6 in „Adalbert Schwarz-Haus“ berichtet60, dass Mistelbach die Wahlheimat von Schwarz gewesen sei und auch anlässlich einer im selben Jahr von der hiesigen NSDAP-Ortsgruppe veranstalteten Hitler-Geburtstagsfeier61 bzw. der oben erwähnten Gassenumbenennung 1938 wird dies erwähnt, ohne dass nähere Details angeführt werden. Weitere Belege die bestätigten, dass Schwarz tatsächlich zumindest einige Zeit in Mistelbach lebte, konnten bisher nicht gefunden werden. Da sein Vater Lokomotivführer war, ist es durchaus denkbar, dass dieser berufsbedingt (öfters) den Dienstort wechseln musste und deshalb mit seiner Familie möglicherweise einige Zeit in Mistelbach lebte.

Nach dem Krieg erhielt die Gasse wieder ihren ursprünglichen Namen bis die Bezeichnung Quergasse 1958 auf die Verbindungsstraße zwischen Bahnstraße und Gewerbeschulgasse übertragen wurde. Seither trägt die in unmittelbarer Nähe der Schule gelegene Gasse den Namen der Lehrerfamilie Gspann, die beinahe das gesamte 19. Jahrhundert hindurch in Mistelbach wirkte.62

Wo befindet sich die Gspanngasse?

 

Quellen (und Anmerkungen):

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Weimarergasse

Durch die Errichtung der Flüchtlingsstation während des Ersten Weltkriegs entstand unterhalb des Krankenhauses und damit etwas außerhalb des damaligen Ortsgebiets ein neuer Stadtteil. Die Flüchtlingsstation erstreckte sich mit Ausnahme zweier Gemeinschaftsgebäude auf den Bereich zwischen Schillergasse und Ebendorferstraße und um dem vorhandenen Bedürfnis nach Bauplätzen Rechnung zu tragen bzw. die Lücke zum restlichen Stadtgebiet zu verringern wurden Mitte der 1920er Jahre westlich der Flüchtlingsstation gelegene Äcker zu Baugründen aufgeschlossen. Im April 1925 erfolgte durch Beschluss des Mistelbacher Gemeinderats die Benennung der Straßen in der ehemaligen Flüchtlingsstation bzw. der neuentstandenen Straßenzüge im angrenzenden Siedlungsgebiet und zu diesen zählte auch die Straße die Gegenstand dieses Beitrags ist. Die Mutmaßung63, dass die Namensgebung der Weimarergasse wohl in Zusammenhang mit der gleichzeitigen Benennung der in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen Goethe- und Schillergasse stünde, klingt plausibel – ist aber falsch. In dem im Mistelbacher Bote auszugsweise veröffentlichten Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 4. April 1925 heißt es betreffend die Namensgebung dieser Gasse: „Zur Erinnerung an Weimar, der Geburtsstätte des Anschlusswillens an Deutschland“.64 Es handelt sich also um eine Reverenz an jenen Ort an dem die verfassungsgebende Nationalversammlung der deutschen Republik in den Jahren 1919-1920 tagte. Dieser Straßenname ist damit Ausdruck des während der Ersten Republik quer durch alle politischen Lager und Bevölkerungsschichten weit verbreiteten Wunsches nach dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich, der jedoch im Friedensvertrag von Saint-Germain untersagt worden war.

Die Ideologie des Nationalsozialismus war durch einen besonderen, mit großem Pathos inszenierten Totenkult geprägt, der seinen Anfang bei den Gefallenen des gescheiterten Putschversuches von 1923 nahm und der die Toten der Partei zu Märtyrern hochstilisierte. Ganz im Sinne dieser Totenverehrung wurde im November 1938 durch Entschluss des vom NS-Regime eingesetzten Gemeindeverwalters Adolf Schödl, die Weimarergasse, die die Nazis an die ihnen verhasste Weimarer Republik erinnerte, in „(Ernst) vom Rath-Straße“65 umbenannt. Knapp zwei Wochen zuvor war der deutsche Diplomat und Botschaftssekretär Ernst vom Rath von Herschel Grynszpan, einem in Deutschland geborenen Studenten jüdisch-polnischer Herkunft, in Paris erschossen worden. Die NS-Führung nutzte dieses Attentat als Anlass für die Novemberpogrome in der Nacht vom 9. November 1938, und stellte in ihrer Propaganda diese planmäßig durchgeführten und von höchster Stelle angeordneten Terrormaßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung als „spontane Erhebung des Volkszorns“ dar. Die Bekanntgabe der Neubenennung dieser Straße erfolgte im Rahmen einer Kundgebung des Gauleiters Dr. Jury in Mistelbach am 20. November 1938 und gleichzeitig wurden auch die neuen Straßennamen Wilhelm Gustloff-Straße (Franz Josef Straße) und Adalbert Schwarz-Gasse (Gspanngasse) eingeführt, die ebenfalls nach getöteten Nationalsozialisten benannt wurden.3 1945 erhielt die Gasse wieder ihren ursprünglichen Namen.

Wo befindet sich die Weimarergasse?

 

Quellen (und Anmerkungen):

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Kino in Mistelbach

Anfänge des Kinos in Österreich

In den 1890er Jahren wurden neue Erfindungen, wie beispielsweise das Kinetoskop aus der Werkstatt von Thomas Alva Edison (USA), der Kinematograph der Brüder Lumière (Frankreich) oder das Bioskop der Brüder Skladanowsky (Deutsches Reich) entwickelt und mit diesen verschiedenen Filmvorführapparaten war die Basis für das Kinozeitalter geschaffen. Bald kam die neue Technologie der „lebenden Bilder“ auch nach Österreich und diese wurde von den Schaustellern im Wiener Prater zunächst als ergänzendes Angebot in deren Kuriositäten- bzw. Abnormitätenkabinette eingeführt. Später fanden Vorführungen auch außerhalb des Praters in sogenannten Ladenkinos (Säle von Geschäfts- bzw. Gasthauslokalitäten), Zelten oder teils auch in (abgedeckten) Innenhöfen statt und langsam eroberte das Kino Wien. Knapp nach der Jahrhundertwende entstanden in der Hauptstadt dann die ersten eigenen Kinobauten, die in ihrer Innenausstattung noch sehr durch den Stil der Theaterhäuser geprägt waren. Das Kino breitete sich mit ebensolchem Erfolg in den anderen großen Städten der Monarchie aus, und etwa zeitgleich wurde diese Erfindung auch der Landbevölkerung durch umherziehende Wanderkinos vorgestellt, bevor noch in den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, bereits auch in kleineren Städten Kinos eröffneten.

Wanderkinos in Mistelbach

Im April 1903 beschloss der Mistelbacher Gemeinderat „wandernden Künstlern und Schaustellern künftig nicht mehr die Erlaubnis zur Aufstellung ihrer Buden und zum Spielen zu geben“.66 Dieser Beschluss, von dem unklar ist bis wann er Gültigkeit hatte, dürfte wohl die Erklärung dafür sein, warum für Laa a.d. Thaya – im Gegensatz zu Mistelbach – bereits im Sommer 1903 das Gastspiel eines Elektro-Kinetoskops belegbar ist.67 Erst einige Jahre später findet sich als älteste Spur eines Wanderkinos in Mistelbach ein Bericht im Bote aus Mistelbach über das ab 19. Juni 1906 im Saal des Gasthauses „Zum weißen Ross“ (Hafnerstraße Nr. 8, heute: Chinarestaurant Asia) gastierende Alhambra-Theater. Fünf Tage weilte der aus sechs Personen bestehende Betrieb des Direktors Karl Juhasz in Mistelbach, und man kann am gebotenen Unterhaltungsprogramm noch deutlich die Schaustellertradition aus der sich das Kino in seiner Frühzeit entwickelte, erkennen. So wurden die Vorführungen der kinematographischen Bilder, durch Darbietungen von musikalischen Kunststücken, Mnemotechnik (Gedächtniskunst) und Gedankenlesen umrahmt. Teil der technischen Ausstattung war natürlich auch ein eigener Generator der die Beleuchtung und den Kinematographen mit Strom versorgte.68

Programminformation des Alhambra-Theaters im Mistelbacher Bote (Bote aus Mistelbach, Nr. 25/1906, S. 16) für das Gastspiel im Gasthaus „Zum weißen Ross“ im Jahre 1906

Im Saal des von Karl Rabenseifner geführten Gasthauses „Zum weißen Ross“ ist für den April 1907 auch ein mehrtägiger Aufenthalt des Monarch Bio(skop)-Theaters69, bzw. für Anfang Mai 1908 ein kurzes Gastspiel des 25 m² Projektionsfläche bespielenden Grand Bioskop des Johann Agostini überliefert70. Aus den über diese Gastspiele berichtenden Artikeln des Mistelbacher Bote geht auch klar hervor, dass die Begriffe Bioskop, Bio-Theater und Kinematograph damals teils synonym verwendet wurden und aus den Namen daher nicht zwingend auf die tatsächlich eingesetzte Technik rückgeschlossen werden kann.

Ankündigung im Mistelbacher Bote für das Gastspiel von Agostinis Grand Bioskop im Gasthaus "Zum weißen Ross" im Jahre 1907Ankündigung im Mistelbacher Bote (Nr. 24/1907, S. 11) für das Gastspiel von Agostinis Grand Bioskop im Gasthaus „Zum weißen Ross“ im Jahre 1907

Ankündigung im Mistelbacher Bote für das Gastspiel von Lutzenbergers Zeltkino "Elektro-Bio" auf dem Mistelbacher Hauptplatz im Jahr 1910Ankündigung im Mistelbacher Bote (Nr. 31/1910, S. 10) für das Gastspiel von Lutzenbergers Zeltkino „Elektro-Bio“ auf dem Mistelbacher Hauptplatz im Jahr 1910

Im Juli 1910 gastierte der Riesen-Kinematograph „Elektro-Bio“ des Josef Lutzenberger in einem eigenen geräumigen Zelt für knapp drei Wochen auf dem Hauptplatz und im Rahmen der Vorstellungen wurden teils auch bereits kolorierte Bilder dargeboten. Die Aufnahmen zeigten unter anderem eine Löwenjagd, die Kaisermanöver in Ungarn und das Wellenspiel des Meeres.71


Rössler Kino/Stadt-Kino

Am 7. Oktober 1911 eröffnete Heinrich Rössler (*1878, †1933), vormaliger Inhaber des Kaffeehauses in der Bahnstraße (heute: Cafe Harlekin), sein anfänglich als “Elektrisches Theater lebender Bilder” bezeichnetes Kino in der Mitschastraße. Das Rössler Kino befand sich an jener Stelle an der heute das Finanzamt steht, und dieses Gelände war zuvor Teil des weitläufigen Gastgarten des Gasthauses Putz (heute: Gh Schilling).72 Als Inhaber der Kinolizenz scheint zunächst Heinrich Rösslers Bruder, der Mechanikermeister Ing. Karl Rössler (*1876, †1926), auf.73 Einzig in einer Vorankündigung des Programms der Handwerkerausstellung des Jahres 1912 im Mistelbacher Bote wird es als Kino der Brüder Rössler bezeichnet, ansonsten wird in Zusammenhang mit dem Kino stets nur Heinrich Rössler erwähnt. Das technische Können des Ingenieurs war beim Betrieb des die Lichtanlage speisenden Stromaggregats jedoch sicherlich auch von großem praktischen Nutzen. Das unmittelbar vor der Eröffnung an der Adresse Mitschastraße 5 errichtete Gebäude war schlicht, aber zweckmäßig ausgestattet und hatte ein Fassungsvermögen von 200 Personen. In der Anfangszeit bestand die Belegschaft des Kinos aus dem „Operateur“ (Filmvorführer) Charles Newman und dem Pianisten Albert Schilder, der das Geschehen auf der Leinwand musikalisch umrahmte.74
Folgende „lebende Bilder“ wurden bei der Eröffnungsvorstellung am 7. Oktober 1911 gezeigt75:
„Die Alpbach-Wasserfälle“ (Naturaufnahme)
„Tontolini als Kommissär“ (komisch)
„Des Sheriffs Beamtenpflicht“ (amerikanisches Drama)
„Müller als Bankbeamter“ (hochkomisch)
„Der Sklave von Karthago“ (spannendes Drama)
„Fußequilibristen“ (Varieté-Nummer)
„Als der kleine Fritz Pieske getauft wurde“ (Zum Totlachen)

Vorstellungen wurden stets Samstag, Sonntag und an Feiertagen gezeigt – mit neuem Programm an jedem Wochenende. Von offensichtlich großem Publikumserfolg zeugt wohl die Tatsache, dass Rössler sein Kinogebäude im Dezember 1911 um eine Wartehalle erweiterte, die natürlich auch dem Komfort des Kinopublikums dienen sollte.76 Ab Ende Februar 1912 war Rössler mit seinem Betrieb auch als Wanderkino unterwegs und zeigte jeweils an bestimmten Wochentagen Vorstellungen in Laa a.d. Thaya (Hotel Müller bzw. Saal des Gasthauses Knirsch) und in Poysdorf (Hotel Rathaus).77 Diese zusätzliche Aktivität dauerte bis Ende Oktober 1912, und das Ende steht wohl in Zusammenhang mit der Tatsache, dass gegen Ende eben diesen Jahres in der Stadt Laa ein eigenes Kino eröffnete. Doch bevor seine Geschäftstätigkeit in Laa (und auch in Poysdorf) endete ließ Heinrich Rössler den am 6. Oktober 1912, anlässlich des Fünfhundertjahr-Jubiläums der Laaer Jahr- und Wochenmärkte, stattfindenden historischen Umzug kinematographisch aufnehmen und die Vorführung dieser Aufnahmen in Laa, Poysdorf und Mistelbach war natürlich eine Sensation.78 Erstmals waren persönliche Bekannte bzw. Honoratioren aus der Region auf der Leinwand zu sehen und auch Rössler selbst und seine Gattin waren im Bewegtbild festgehalten. Für 1927 ist dann nochmals ein von Rössler selbst produzierter Film mit dem Titel „Bilder aus Mistelbach“ belegt, der Szenen von der Eröffnung des neuen Wasserwerks im Stadtpark und auch sonstige Aufnahmen der Stadt zeigte, und erstmals am 3. Juli 1927 in Rösslers Kino vorgeführt wurde.79 Leider dürften diese Aufnahmen im Laufe der Zeit verlorengegangen sein. Im Sommer 1913 erfolgte eine umfassende Neugestaltung des Innenraums des Kinos, das nun laut einem Bericht des Mistelbacher Bote den Vergleich mit „den besseren Wiener Kinos“ nicht scheuen muss, und ab diesem Zeitpunkt führte das Unternehmen die offizielle Bezeichnung „Lichtbildtheater Rössler“80.

Am 24. Jänner 1914 eröffnete Ing. Karl Rössler in Ernstbrunn an der Adresse Hauptplatz Nr. 3 ein weiteres Kino81 und die Lizenz für den Mistelbacher Betrieb wurde mit Genehmigung des Gemeinderates auf den schon bisherigen Besitzer und Leiter des Kinos Heinrich Rössler übertragen82. Laut im niederösterreichischen Landesarchiv vorhandenen Akten wurde Karl Rösslers Lizenz für das Kino in Ernstbrunn 1919 nochmals erneuert, jedoch scheint sein Name in Zusammenhang mit dem Ernstbrunner Kino im Kinematographischen Handbuch des Jahres 1920 nicht (mehr) auf. Anfang Mai 1914 gelang es Heinrich Rössler eine besondere Attraktion in sein Kino zu holen, nämlich das aus der Werkstätte Edisons stammende Kinetophon – einer mechanischen Kopplung zwischen einem Kinetoskop und einem Phonographen, die das synchrone Abspielen von Ton und Film ermöglichte. Diese (kurzlebige) Erfindung war auf Werbetournee in Österreich unterwegs und für drei Tage konnte der „singende und sprechende Film“ im Mistelbacher Kino bewundert werden83.

Ankündigung des Gastspiels des Kinetophons im Mistelbacher Rössler KinoAnkündigung des Gastspiels des Kinetophons im Mistelbacher Rössler Kino

Im März 1921 wurde im Kino eingebrochen und ein Film und Teile der Projektoranlage erbeutet, sodass ein Schaden in Höhe von 100.000 Kronen entstand und der Betrieb einige Tage pausieren musste.84 Mitte der Zwanzigerjahre konnte das Fassungsvermögen des Kinosaales auf 242 Personen gesteigert werden und Vorführungen fanden weiterhin 2-3 Mal pro Woche statt. Die hiesigen Vereine, wie bspw. die Mistelbacher Sektion des österr. Touringklubs, der deutsche Turnverein Mistelbach oder die Veteranenvereinigung der ehemaligen 24er Schützen veranstalteten in Rösslers Kino bereits seit den Anfangsjahren, und zum Teil regelmäßig Sondervorstellungen themenspezifischer Filmaufnahmen.85 Ebenso sind während des Ersten Weltkriegs Wohltätigkeitsauführungen zugunsten des Roten Kreuzes86 bzw. später des niederösterreichischen Invalidenverbandes87 überliefert.

Auch für politische Propaganda wurde das neue Massenmedium Film bald entdeckt und so zeigte etwa die Sozialdemokratische Lokalorganisation bzw. der Arbeiterturnverein „Vorwärts“ 1926 folgende Filme in Rösslers Kino: Sergei Eisensteins Werk „Panzerkreuzer Potemkin“88, „Maschinist Uchtomsky“89, „Die Wiener Maifeier 1926″ und „Der blutige Sonntag“90. Besonders die Nationalsozialisten waren Meister der Inszenierung und wussten die neuen Massenmedien Rundfunk und Film geschickt für ihre Propagandazwecke zu nutzen. Auch im Stadtkino und im Kronen-Kino, das später nach dem Anschluss als größter Saal der Stadt Lokalität für alle großen NS-Veranstaltungen war, wurden von der Ortsgruppe der NSDAP 1933 Reden Hitlers und Goebbels gezeigt.91
Weiters konnte folgende Nutzung zu kommerziellen Werbezwecken recherchiert werden: von 2. bis 6. November 1931 wurde täglich bei freiem Eintritt ein „Filmvortrag für die Frauenwelt“ der Firma Persil in Rösslers Kino gezeigt und alle Besucherinnen dieser Werbefilmvorführung erhielten einen Waschkochlöffel gratis.92

Bereits unmittelbar vor der Eröffnung des Kinos und auch danach, gab es Ansuchen um Genehmigung eines weiteren Kinobetriebs in Mistelbach, die jedoch alle vom Gemeinderat mangels Bedarfs abgelehnt wurden.93 1929 wurde schließlich der Errichtung eines zweiten Kinos in der Stadt zugestimmt und dem Wirt des Gasthauses „Zur goldenen Krone“, Johann Heindl, eine Kinolizenz erteilt.

Im September 1930 übernahm Heinrich Rössler zusätzlich das Gaweinstaler Kino94, das der Gastwirt Andreas Döltl im Jahre 1925 im Saal seines Gasthauses „Zum römischen Kaiser“ in der Wiener Straße 38 eröffnet hatte95. Lizenzinhaber war zunächst weiterhin der Vorbesitzer Andreas Döltl, von 1932 bis 1933 lief die Kinolizenz dann auf Rösslers Gattin Rosa und von März 1933 bis ca. 1935 schien schließlich als Lizenzinhaberin bzw. Leiterin Hedwig Beeson, eine Tochter Rösslers, auf.96 Das Kinematographische Jahrbuch 1935 belegt, dass sich das Gaweinstaler Kino zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im Besitz der Familie Rössler befand.

Die Konkurrenzsituation durch das zweite Kino in Mistelbach sowie die umfassenden Investitionen für die Umrüstung zum Tonkino, die zu Ostern 1931 erfolgte97, dürften das sich ab diesem Zeitpunkt „Stadt-Kino“ nennende Unternehmen in eine finanzielle Schieflage gebracht haben. Wohl aus finanziellen Gründen wurden auch nach der Umrüstung zum Tonfilmkino, neben Tonfilmen vereinzelt weiterhin die in der Anschaffung günstigeren Stummfilme gezeigt. Erschwerend kam dann noch hinzu, dass eine mit Juli 1932 begonnene Verpachtung an den gelernten Kleidermachergehilfen Stefan Hertl bereits im Dezember desselben Jahres durch Rössler gelöst wurde98, als über den Betrieb ein gerichtliches Ausgleichsverfahren eröffnet wurde99 Das Unternehmen konnte weitergeführt werden und im Mai 1933 stimmte der Mistelbacher Gemeinderat der Übertragung der Kinolizenz von Heinrich Rössler sen. auf dessen Sohn Heinrich Rössler jun. zu, vorbehaltlich der Begleichung der Rückstande an Lustbarkeitsabgabe.100 Nach dem Tod des Kinogründers Heinrich Rössler sen. im November 1933101 führte Rössler jun. das Kino zunächst selbst bzw. später mittels folgender Geschäftsführer bzw. Pächter fort: ab Oktober 1934 Oswald Kögler (eigentlich Holzhändler in der Bahnstraße), ab Februar 1935 Josefine Hochkugler (diese dürfte das Kino zeitweilig gemeinsam mit Else Dunshirn geführt haben102, die zuvor als Betreiberin von Kinos in Grimmenstein und Hochegg in Erscheinung trat), ab Jänner 1936 scheint schließlich wieder Oswald Kögler auf.103 Unregelmäßige Programmankündigungen des Stadt-Kinos im Mistelbacher Bote sind in den Jahren 1933 bis 1938 jedenfalls belegt.

Heinrich Rösslers Stadt-Kino in der Mitschastraße 1933/34

1938 scheint im kinematographischen Handbuch als Lizenzinhaber der Sohn des Kinogründers, Heinrich Rössler jun., aber als Geschäftsführer bereits der Betreiber des Kronen-Kinos Johann Heindl auf104 und auch in einer Liste der Kinos im „Ostmärkischen Filmhandbuch aus dem Jahr 1939″ bzw. dem „Reichs-Kino-Adreßbuch 1939“ findet sich das Stadt-Kino Mistelbach noch105. Wenig später übernahm Heindl das Stadt-Kino vollständig, aber laut Auskunft seiner Nachfahren jedoch nur, um dieses als Konkurrenten auszuschalten und er setzte dieses Vorhaben auch in die Tat um. Darüber ob und inwiefern das Gebäude nach der Schließung des Kinobetriebs, also in den Kriegsjahren, genutzt wurde, ist leider nichts überliefert. Von September 1946 bis 1954 war im Kinogebäude die Vulkanisierungswerkstätte und Reifenhandlung des Leo Doleschal untergebracht106. 1954 erwarb die Stadtgemeinde das Gebäude von Barbara Dunkl und ließ es 1955 abtragen, damit auf diesem Gelände die Bauarbeiten für das 1957 eröffnete Finanzamt begonnen werden konnten.107


Kronen-Kino Heindl

Seit Oktober 1924108 befand sich das Gasthaus „Zur goldenen Krone“ in der Oberhoferstraße Nr. 15 (heute: Krone Wok Sushi Restaurant) im Besitz von Johann Heindl (*1884, †1949109), der es Ende Dezember 1928 um einen neu erbauten großen Saal erweiterte, der den alten Saal, der später als Foyer genutzt wurde, ersetzte.110 Dieser neue und nunmehr größte Veranstaltungssaal der Stadt wurde vielseitig genutzt und Heindl richtete darin auch ein Kino mit einem Fassungsvermögen von 360 Personen ein.111 Schon Anfang Dezember 1928 wurde die für den Betrieb benötigte Kinolizenz erteilt112 und in der Eröffnungsvorstellung des „Kronen-Kinos“ am 19. Jänner 1929 wurde der Film „Anna Karenina – Tragödie einer verbotenen Liebe“ nach einem Roman von Leo Tolstoi gezeigt.113 Fortan wurden in diesem Kino Filme immer donnerstags, samstags und sonntags gezeigt und zu Ende des Sommers 1930 wurde das Kronen-Kino als erstes der beiden Mistelbacher Kinos zum Tonkino umgerüstet. Als ersten Tonflilm zeigte das nunmherige „Kronen-Ton-Kino“ am 6. September 1930 den deutschen „Sprech-Gesangs-Tonfilm“ „Das Rheinlandmädel“ (auch unter dem Titel „4 Mädchen suchen das Glück“ bekannt).114 Wie bereits weiter oben dargestellt, übernahm Heindl 1938 auch das Stadt-Kino, allerdings nur um den Betrieb kurz darauf zu schließen.

Eröffnungsanzeige und Ankündigung der Eröffnungsvorstellung am 20. Jänner 1929 im Mistelbacher Bote (Nr. 3/1929, S. 6)Eröffnungsanzeige und Ankündigung der Eröffnungsvorstellung am 20. Jänner 1929 im Mistelbacher Bote (Nr. 3/1929, S. 6)

 

Das Gasthaus „Zur goldenen Krone“ auf einer Mehrbildansichtskarte aus den 30er Jahren – rechts unten, der Kinosaal; rechts oben der alte Saal des Gasthauses, später Foyer des Kinos

Während der im Stadtgebiet tobenden Kampfhandlungen im April 1945 wurde etwa ein Drittel des Gebäudes durch eine Granate zerstört. Die daraus resultierenden Renovierungs- und Umbauarbeiten konnten offenbar erst Ende des Jahres 1946 vollständig abgeschlossen werden109, doch bereits ab Ende Februar 1946 ist der Kinobetrieb durch Programmankündigungen im Mistelbacher Bote belegt.115

Das von Kriegschäden gezeichnete Gasthaus bzw. Kino der Familie Heindl - 1945/46Das von Kriegsschäden gezeichnete Gasthaus bzw. Kino der Familie Heindl – 1945/46

Nach dem Tod von Johann Heindl 1949, übernahmen seine Söhne Otto bzw. später Walter Heindl das Gasthaus samt Kino und Anfang der 1950er Jahre fanden Vorstellungen bereits an sechs Tagen pro Woche statt.116 Später wurden der Gasthof, der auch Fremdenzimmer und eine Kegelbahn umfasste, und das Kino von Fr. Singer-Heindl, der Tochter von Walter Heindl, geführt. Mehrere Versuche einen zweiten Kinobetrieb in Mistelbach zu eröffnen – wie etwa in Laa and der Thaya – scheiterten, da eine entsprechende Konzession seitens der Landesbehörden (unter Einbeziehung der Stellungnahme der Gemeinde) nicht erteilt wurde. Laut Andeutungen in einem Zeitungsbericht Ender der 1950er Jahre sollen gute politische Kontakte der Familie Heindl, diese vor unliebsamer Konkurrenz bewahrt haben.117

1963: Ehrung von Friedrich Kirchstorfer (rechts im Vordergrund) der seit 25 Jahren als Filmoperateur beim Kronen-kino tätig war. Links im Vordergrund: Kinobesitzer Walter Heindl. Kirchstorfer feierte in diesem Jahr bereits sein 30-jähriges Berufsjubiläum und war zuvor als Operateur in Rösslers Kino angestellt.Ehrung von Friedrich Kirchstorfer (rechts im Vordergrund) der 1963 bereits seit 25 Jahren als Filmoperateur (Filmvorführer) beim Kronen-kino tätig war. Links im Vordergrund: Kinobesitzer Walter Heindl. Kirchstorfer feierte in diesem Jahr bereits sein 30-jähriges Berufsjubiläum und war zuvor als Vorführer in Rösslers Kino angestellt und wurde von Heindl übernommen.118

Seit 1994 befindet sich das Kino im Besitz von Herrn Feiru Liu bzw. wurde später von Herrn Weirong Liu geführt. Da der Kinosaal früher auch als Ball- bzw. Veranstaltungssaal genutzt wurde, bestand die Bestuhlung ursprünglich aus Sesselreihen. Als diese dann in den 90er Jahre durch fixe Klappsitze ersetzt wurden, ging ein großer Teil der alten Kinosessel in den Mobiliarbestand des Lokals „Altes Depot“ über, wo diese bis heute Verwendung finden. In den 2000er Jahren wurde das Kino schrittweise um zwei zusätzliche, kleinere Vorführsäle erweitert, sodass es heute drei Säle umfasst. Mit Anfang des Jahres 2021 übernahm der Verein film.kunst.kino den Betrieb des Kinos und führt dieses als Programmkino fort.

Das Kronen-Kino im Jahre 1991Das Kronen-Kino im Jahre 1991

Das Erscheinungsbild des Kronen-Kinos im Jahre 2018Das Erscheinungsbild des Kronen-Kinos im Jahre 2018

Bildnachweis:
-) Foto Stadt-Kino Rössler – Stadtmuseumsarchiv, zVg Otmar Biringer
-) Ansichtskarte Gasthaus „Zur goldenen Kronen“ – digitalisiert von Otmar Biringer aus der Sammlung von Herrn Lichtl
-) Ehrung Kirchstofer: Wilhelm Mliko – Weinviertler Nachrichten, Nr. 49/1963, S. 4
-) kriegsbeschädigtes Kino und Kino im Jahr 1991 – Göstl-Archiv

Quellen (und Anmerkungen):

-) Freund, Fritz (Hrsg.): Kinematographisches Jahrbuch des Filmboten 1920
-) Freund, Fritz (Hrsg.): Kinematographisches Jahrbuch des Filmboten 1926, S. 115
-) Freund, Fritz (Hrsg.): Kinematographisches Jahrbuch des Filmboten 1928, S. 111
-) Freund, Fritz (Hrsg.): Kinematographisches Jahrbuch des Filmboten 1929, S. 117
-) Freund, Fritz (Hrsg.): Kinematographisches Jahrbuch der österreichischen Filmzeitung 1931, S. 114
-) Freund, Fritz (Hrsg.): Kinematographisches Jahrbuch der österreichischen Filmzeitung 1932, S. 108
-) Freund, Fritz (Hrsg.): Kinematographisches Jahrbuch der österreichischen Filmzeitung 1934, S. 90
-) Freund, Fritz (Hrsg.): Kinematographisches Jahrbuch der österreichischen Filmzeitung 1935, S. 95
-) Ergänzungsband (Wien-Südostdeutschland) zum Reichs-Kino-Adreßbuch 1938, S. 18
-) Reichs-Kino-Adreßbuch 1939, S. 522
-) Reichs-Kino-Adreßbuch 1941, S. 554
-) Reichs-Kino-Adreßbuch 1944, S. 523

(Zu den Informationen in den Kinematgraphischen Jahrbüchern ist folgendes anzumerken: Die Adresse des Rössler Kinos ist zwar mit Mitschastraße richtig angegeben, aber dafür mit wechselnden, großteils falschen Hausnummern; auch das Gründungsjahr dieses Kinos ist teils falsch angegeben; zwar wird das Rössler Kino im Jahr 1935 nicht gelistet, aber aufgrund der oben angeführten Quellen scheint es auch im Jahr 1935 aktiv gewesen zu sein)

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Dr. Pönninger-Straße

In den Jahren 1993-95 wurde die neue Kläranlage außerhalb des Ortsgebiets errichtet, die nach erfolgreichem zweijährigen Probebetrieb schließlich 1997 offiziell eröffnet werden konnte. Viele Jahre blieb die Zufahrtsstraße zur Kläranlage namenslos, bis der Mistelbacher Gemeinderat im Jahr 2012 beschloss sie nach dem Planer der ersten Gesamtkanalisation im Zentrum von Mistelbach und Pionier der österreichischen Abwassertechnik Prof. Dr. Rudolf Pönninger zu benennen. Die Planung der Anlage erfolgte durch das von Dr. Pönninger gegründete Ziviltechnik-Büro.

Wo befindet sich die Dr. Pönninger-Straße?

Quellen:
-) Niederschrift über die Gemeinderatssitzung vom 14. Mai 2012 (online abrufbar auf der Webseite der Stadtgemeinde Mistelbach)
-) Gemeindezeitung – Amtliche Mitteilungen der Stadtgemeinde Mistelbach, Folge 10/1993 (Juli), S. 7
-) Mistelbacher Gemeindezeitung – Amtliche Mitteilungen der Stadtgemeinde Mistelbach, Folge 5 – Mai 1997, S. 2

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Pönninger, Dr. Rudolf

ao. Hochschulprofessor Dipl.-Ing. Dr. Rudolf Pönninger

* 1.2.1898, Wien
† 30.6.1966, Wien

Rudolf Pönninger wurde 1898 als viertes von fünf Kindern und einziger Sohn den in Wien-Simmering wohnhaften Eheleuten Karl und Antonia Pönninger, geb. Urbanetz, geboren. Er wurde nach seinem Onkel und Taufpaten, dem Baumeister Rudolf Pönninger, benannt, in dessen Betrieb sein Vater als Polier beschäftigt war.119 Nach der Volksschule besuchte er die siebenjährige k.k. Staats-Realschule in Simmering, und da er sich wie viele seiner Generation als Kriegsfreiwilliger gemeldet hatte, konnte er die Reifeprüfung vorzeitig, also bereits während dem letzten Schuljahr ablegen und wechselte noch 1915 als 17-Jähriger von der Schulbank an die Front.120 1918 kehrte Pönninger als Leutnant der Reserve aus dem Krieg zurück und nahm 1919 ein Studium an der Technischen Hochschule Wien (heute: TU Wien) auf, das er 1923 als Diplom-Ingenieur abschloss. Nach mehrjähriger Praxis in Österreich war er ab 1927 am Tiefbauamt der Stadt Beuthen in Oberschlesien tätig und war dort mit Planung, Bau und Betrieb der städtischen Kläranlage befasst.

Während dieser Zeit begann auch seine wissenschaftliche Tätigkeit und er promovierte 1937 an der Technischen Hochschule Breslau mit einer richtungsweisenden Arbeit über den „künstlich belüfteten Tropfkörper“. Nach seiner Promotion war er als freiberuflicher Ingenieur tätig und im Jahr 1938 kehrte er wieder nach Wien zurück, wo er wenig später ein Ingenieurbüro gründete. Bald nach Beginn des Krieges wurde auch Dr. Pönninger als Leutnant der Reserve zum Eisenbahn-Pionier-Regiment 1 der deutschen Wehrmacht einberufen. Nachdem er bereits zu Beginn des Jahres 1940 zum Oberleutnant befördert wurde, folgte schließlich im August 1941 seine Beförderung zum Hauptmann. Ende Jänner 1945 wurde Pönninger aufgrund von fortgeschrittener Schwerhörigkeit von der Feldtruppe abkommandiert und zur Offiziersmeldestelle nach Wildflecken in Unterfranken versetzt, wo sich ein großer Truppenübungsplatz samt Truppenlager befand.121 Zu Kriegsende geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft aus der er Ende des Jahres 1946 entlassen wurde. Nach dem Krieg war Dr. Pönninger, als Zivilingenieur für das Bauwesen, für die Projektierung zahlreicher Kanalisationssysteme und Kläranlagen verantwortlich, unter anderem für die Städte Graz, Baden, Linz, Klagenfurt, Wiener Neustadt, Innsbruck, Salzburg, Wels und auch die Kläranlage der Stadt Wien in Inzersdorf ging auf seine Planungsarbeit zurück. Im Jahr 1958 wurde Dr. Pönninger auch mit der Ausarbeitung eines Gesamtkanalprojekts für die Stadtgemeinde Mistelbach beauftragt, das in einem ersten Schritt den Hauptplatz bzw. dessen unmittelbare Umgebung umfasste.122 Bereits 1951 habilitierte sich Pönninger am „Institut für Hydraulik, Gewässerkunde und Landwirtschaftlichen Wasserbau“ der Technischen Hochschule Wien und erhielt die Lehrbefugnis für den Fachbereich „Abwasserreinigung und Abwasserverwertung“123 und 1959 wurde ihm in Anerkennung seiner Verdienste als Forscher und Lehrer vom Bundespräsidenten der Titel eines außerordentlichen Hochschulprofessors verliehen.124 Seine große fachliche Kompetenz im Bereich Abwasserbehandlung ist auch durch seine Mitgliedschaft im Deutschen Normenausschuß (Arbeitskreis Tropfkörper) von 1942 bis 1944 belegt und nach dem Krieg gehörte er dem österreichischen Normenausschuß an.

Im Rahmen seiner technischen Forschungsarbeit sicherte sich Prof. Dr. Pönninger zahlreiche Patente, besonders im Bereich der Kleinkläranlagen (von Wohnbauten), und 1952 gründete er die sehr erfolgreiche Firma Purator Kläranlagen Großhandel, die diese technischen Lösungen vertrieb.125 Er veröffentlichte zahlreiche Beiträge in Fachzeitschriften, war Mitarbeiter der „Österreichischen Abwasserrundschau“ und Autor einiger Standardwerke der einschlägigen Fachliteratur. Wenige Monate vor seinem Tode wurde ihm die goldene Ehrennadel des Wasserwirtschaftsverbandes verliehen. Das von ihm gegründete Ingenieurbüro wurde von seinem Schwiegersohn ao. Univ.-Prof. DI Dr. Werner Lengyel fortgeführt.
Prof. Dr. Pönninger verstarb 1966 und wurde im Familiengrab auf dem Simmeringer Friedhof beigesetzt.

Das imposante Grabmal der Familie Pönninger auf dem Simmeringer FriedhofDas imposante Grabmal der Familie Pönninger auf dem Simmeringer Friedhof

1998 wurde anlässlich des 100. Geburtstags des Pioniers der österreichischen Abwassertechnik, der Dr. Rudolf Pönninger-Preis gestiftet. Diese Auszeichnung wurde jährlich (nachweislich zumindest bis ins Jahr 2001) für besondere Leistungen im Bereich Abwassertechnik und Umweltschutz durch das Umweltministerium verliehen.126 Gemäß eines Beschlusses des Gemeinderates aus dem Jahr 2012 trägt die bis dahin namenlos gewesene, zur Kläranlage der Stadtgemeinde Mistelbach führende Straße nunmehr die Bezeichnung Dr. Pönninger-Straße.127

Wo befindet sich die Dr. Pönninger-Straße?

 

Quelle:

-) Österreichische Abwasser-Rundschau, Jg. 3 (1958), Folge 1, S. 15
-) Österreichische Abwasser-Rundschau, Jg. 11 (1966), Folge 3, S. 2

Bildnachweis:
-) Österreichische Abwasser-Rundschau, Jg. 11 (1958), Folge 1, S. 15

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