Meeß-Häuser – Liechtensteinstraße 8 und 10 & Oserstraße 15, 17, 19, 21 und 23

Als Meeß-Häuser (umgangssprachlich zumeist fälschlicherweise „Mess-Häuser“ genannt) sind älteren Mistelbachern die Häuser Liechtensteinstraße Nr. 8 und 10 bekannt. Diese Häuser wurden 1908 (Nr. 10)1 bzw. 1909 (Nr. 8)2 vom Bautechniker Otto Meeß (*1861, †?) errichtet. Meeß, dessen Beruf gelegentlich auch als Architekt angegeben wurde, stammte ursprünglich aus Karlsruhe, war jedoch jedenfalls seit dem Jahr 1890 in Wien ansässig.3 Er wohnte in Hernals4 und heiratete dort 1892 Henriette Saulik (*1866, †1956), die Tochter eines Bürstenmachers.5 In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts scheint Meeß als Bauherr einiger Bauprojekte in Wien-Ottakring auf6, und 1905 war er bereits im Besitz von drei Häusern in Ottakring bzw. eines Hauses in Währing.7 Doch dürfte er sich bei diesen Projekten finanziell übernommen haben, denn im Mai 1905 wurde ein langwieriges Konkursverfahren über sein Vermögen vor dem Wiener Landesgericht eröffnet, dass schließlich zwei Jahre später mangels Vermögens eingestellt werden musste.8

Dieser wirtschaftliche Rückschlag, der natürlich auch den Verlust seiner Immobilien bedeutete, zwang ihn offenbar seine selbständige bzw. freiberufliche Tätigkeit gegen ein unselbstständiges Beschäftigungsverhältnis zu tauschen und ab März 1908 tritt er als Geschäftsführer der neueröffneten Mistelbacher Filiale des Hernalser Zimmereibetriebs Johann Horak hierorts erstmalig in Erscheinung.9 Gemeinsam mit seiner Gattin war er nach Mistelbach übersiedelt und hier wohnhaft, obwohl sie bis etwa 1913 weiterhin auch einen Wohnsitz in Wien unterhielten.10 Doch offenbar konnte und wollte er sich, trotz des erlittenen Rückschlags, nicht ganz aus dem Immobiliengeschäfts zurückziehen, denn bereits wenige Wochen nach seiner Ankunft in Mistelbach taucht der Name Meeß bereits in Zusammenhang mit dem Bau der eingangs erwähnten Wohnhäuser in der Liechtensteinstraße auf. Allerdings scheint nicht Otto Meeß, sondern stets dessen Gattin Henriette als Grund- bzw. Hausbesitzerin bei diversen Eingaben an die Gemeinde auf.11 Man kommt nicht umhin anzunehmen, dass die rechtliche Konstruktion das Eigentum seiner Gattin zu überlassen, durch seinen vorherigen Konkurs bedingt ist. Nachdem das Konkursverfahren mangels Vermögens eingestellt wurde, wäre es im Falle, dass Meeß wieder zu Vermögen gekommen wäre, zu einem Wiederaufleben der (Rest)Forderungen seiner Gläubiger gekommen. Die Nennung von Frau Meeß in Zusammenhang mit den Mistelbacher Immobilienprojekten dürfte schließlich zur vereinzelt geäußerten Annahme geführt haben, Frau Meeß sei Architektin bzw. Planerin dieser Bauten gewesen.12 Dem war jedoch nicht so, sie dürfte aus oben genannten Gründen vielmehr als „Strohfrau“ für die Bauprojekte ihres Gatten agiert haben. Dafür spricht schließlich auch die Tatsache, dass trotzdem die Häuser formell im Eigentum von Henriette Meeß standen, bei späteren Verkaufsanzeigen stets Otto Meeß als Kontaktperson angeführt wurde.13

Rechts im Bild die beiden zweistöckigen Meeß-Häuser Liechtensteinstraße Nr. 8 und 10 etwa um 1910Rechts im Bild die beiden zweistöckigen Meeß-Häuser Liechtensteinstraße Nr. 8 und 10. Nachdem die neben Nr. 8 in die Liechtensteinstraße einmündende Karl Fitzka-Gasse auf dem Foto noch in keinster Weise zu erkennen ist, dürfte die Aufnahme aus der Zeit zwischen 1909-1912 stammen.

Das Haus Liechtensteinstraße Nr. 8 umfasste 15 Wohnungen mit Gas- und Wasseranschlüssen am Gang14 und das unmittelbar zuvor errichtete Haus Nr. 10 dürfte wohl ähnlich ausgestattet gewesen sein. Noch vor Fertigstellung seiner beiden Wohnbauten in der Liechtensteinstraße, wagte sich Meeß bereits an das nächste Bauprojekt und zwar die Errichtung von Wohnhäusern in der Oserstraße. Auch diese Häuser sollten später als „Meeß-Häuser“ bezeichnet werden, allerdings hielt sich diese Bezeichnung nicht so lange im kollektiven Gedächtnis, wie etwa bei jenen in der Liechtensteinstraße. Die Gründe an der linken Seite der Oserstraße zwischen Schulgasse (heute: Thomas Freund-Gasse) und Gartengasse gehörten damals Bürgermeister Thomas Freund, der sie 1909 als Baugründe aufschließen ließ und anschließend an Meeß verkauft haben dürfte.15 Die ersten beiden Häuser Oserstraße Nr. 15 und 17 waren jedenfalls bereits im Oktober 1910 fertiggestellt worden16 und diesen sollten in den Jahren 1911 und 1912 noch drei weitere Häuser (Nr. 19, 21, 23) folgen.17

Die in den Jahren 1910-1912 erbauten Meeß-Häuser in der Oserstraße, kurz nach ihrer Errichtung ...Die in den Jahren 1910-1912 erbauten Meeß-Häuser in der Oserstraße, kurz nach ihrer Errichtung …

... und in ihrem heutigen Erscheinungsbild… und in ihrem heutigen Erscheinungsbild… und in ihrem heutigen Erscheinungsbild

Im Dachgesims des in der Mitte dieser Häuserreihe gelegenen Hauses Nr. 19 findet sich das Jahr der Erbauung (Anno 1911) sowie der Name der Besitzerin in Form eines Steinreliefs verewigt. Die Bezeichnung als „Henrietten-Heim“ ist allerdings nicht als Name einer (sozialen) Einrichtung oder ähnlichem zu missinterpretieren, sondern es war um die Jahrhundertwende durchaus üblich prachtvollen Bauten bzw. Villen Frauennamen (die Namen ihrer Besitzerin oder Bewohnerin) in Verbindung mit den Begriffen Heim, Haus oder Villa zu geben. Ein anderes Mistelbacher Beispiel dafür ist das wenige Jahre zuvor erbaute Haus an der Adresse in der Hugo Riedl-Straße Nr. 11 auf dem einst „Villa Therese“ zu lesen war (siehe Abbildung im Beitrag zur Hugo Riedl-Straße).

Das Dachgesims des Hauses Oserstraße Nr. 19 nennt den Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Hauses und sein Namen leitete sich von jenem der einstigen Besitzerin Henriette Meeß abDas Dachgesims des Hauses Oserstraße Nr. 19 nennt den Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Hauses und sein Name leitete sich von jenem der einstigen Besitzerin Henriette Meeß ab

Ein 1911 von Otto Meeß gestelltes Ersuchen um Konzessionersteilung betreffend das Gewerbe der Realitätenvermittlung im politischen Bezirk Mistelbach wurde seitens des Gemeindeausschusses (=Gemeinderat) in Ermangelung eines Bedarfs für die Stadt Mistelbach negativ beurteilt.18 Im selben Jahr versuchte Meeß „ein stockhohes Eck- und Mittelhaus in der Oserstraße“ (vermutlich Nr. 15 und 17) zu verkaufen und hatte über einen längeren Zeitraum im Mistelbacher Bote bzw. zeitweilig auch in überregionalen Zeitungen Verkaufsanzeigen inseriert.19 Im Häuserverzeichnis in Fitzkas Ergänzungsband, dass den Hausbestand aus dem Jahr 1912 wiedergibt, scheint als Besitzerin der Häuser Oserstraße Nr. 15 und Liechtensteinstraße Nr. 8 bereits eine Frau Louise Markl auf, weshalb der Verkauf der Häuser im Jahre 1911 erfolgt sein dürfte.20 1912 scheint Henriette Meeß noch als Besitzerin der Häuser Liechtensteintraße 10 und Oserstraße 17, 19, 21 und 23 auf.21 Doch schon im Oktober 1912 kam es auf Betreiben der Mistelbacher Sparkasse zur gerichtlichen Versteigerung der Häuser Oserstraße 15, 19, 21 und 2322 und im Jahre 1915 schließlich auch zur Versteigerung des Hauses Oserstraße 1723. Interessant, dass es auch zur Versteigerung des Hauses Oserstraße 15 (korrekte heutige Hausnummer), dass sich ja wie bereits geschildert nicht mehr im Besitz der Familie Meeß befand. Augenscheinlich hatte sich Otto Meeß erneut verkalkuliert und konnte die bei der städtischen Sparkasse aufgenommenen Schulden zur Realisierung dieses Immobilienprojekts nicht mehr bedienen. Somit scheint der Familie Meeß lediglich ihr erstes Wohnhaus Liechtensteinstraße Nr. 10 verblieben zu sein – zumindest finden sich keine gegenteiligen Hinweise.

Nachdem die Immobilienprojekte offenbar nicht wie geplant verlaufen waren und ihm kein Leben als Privatier, der von den Verkaufserlösen bzw. Mieteinnahmen seiner Häuser lebt, ermöglichten, musste Otto Meeß seinen Unterhalt wieder mit Erwerbsarbeit bestreiten und daher scheint er ab Anfang der 1920er Jahre als Ziegeleiverwalter (offenbar bei der Mistelbacher Ziegelwerksgesellschaft) auf.24 Ein Bericht über das Jubiläum der goldenen Hochzeit des Ehepaares Meeß im Jahre 1942 ist die letzte öffentliche Erwähnung der beiden.25 Nachdem Henriette Meeß 1956 in Mistelbach verstarb, ist davon auszugehen, dass auch ihr Gatte, dessen Todesjahr nicht bekannt ist, ebenfalls bis zu seinem Tode in Mistelbach lebte. Durch die Erbauung dieser prachtvollen Wohnhäuser prägt das Ehepaar Meeß bis heute das  Erscheinungsbild der Liechtensteinstraße sowie der Oserstraße und durch die umgangssprachliche Benennung nach deren Erbauer hat sich der Name Meeß mehr als hundert Jahre im Sprachgebrauch der Bevölkerung erhalten.

Bildnachweise:
-) alte Ansichtskarten (Oserstraße und Liechtensteinstraße): Stadt-Museumsarchiv Mistelbach
-) Foto Dachgesims „Henrietten-Heim“: Thomas Kruspel, 2015
-) Häuser Oserstraße: Thomas Kruspel, 2023

Quellen:

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Der Großbrand in Eibesthal im Jahre 1904

Wohl aufgrund der bevorstehenden Weihe der neuerbauten Eibesthaler Pfarrkirche erschien im Sommer 1951 im “Mistelbacher Bote” eine mehrteilige Artikelreihe unter dem Titel “Aus der Geschichte des Ortes Eibesthal”. Leider wird der Verfasser dieser gut aufbereiteten Beitragsreihe nicht angeführt. In der 3. Fortsetzung (Mistelbacher Bote, Nr. 28/1951 (14. Juli 1951), S. 2 (ONB: ANNO)) dieser Artikelserie wird der Großbrand in Eibesthal im Jahre 1904 ausführlich beschrieben und die anschauliche Darstellung der damaligen Geschehnisse soll an dieser Stelle wiedergegeben werden:

„Eine schwere Katastrophe brach am 29. März 1904 über den Ort Eibesthal herein. Noch heute berichten unsere Großeltern von dem Riesenbrand. Um ¼ 5 Uhr nachmittags brach in der Scheune des Hauses Nr. 155 ein Großfeuer aus, das durch spielende Kinder angefacht worden war. Vom Mittelorte aus gesehen meinte man, die kleine Zeile, eine östlich zum Straßenzuge sich parallel ziehende Häuserreihe, stehe in Flammen. Mehrere Männer der Freiwilligen Feuerwehr trafen bald nach Ausbruch des Feuers beim Zeughaus ein und versuchten, so gut es eben auf dem holprigen Wege ging, die Spritzen der kleinen Zeile zuzuschieben. Der tief durchfurchte Feldweg, der mit Zugtieren fast unpassierbar war, wurde von den wenigen Männern mit der Karrenspritze genommen; ein Bauer raste mit seinen Pferden aus der Straße daher, die zweite Spritze zu holen. Auf der Höhe der kleinen Zeile angelangt, musste man mit Schrecken erkennen, dass man den falschen Weg eingeschlagen hatte: Es brannte nicht auf der kleinen Zeile, sondern seitlich im Oberdorf. Dieses dreht sich derart gegen Osten, daß vom Mittelorte aus gesehen, die kleine Zeile und das Oberdorf in der Richtung sich decken. Dieser Umweg hatte eine schwer ins Gewicht fallende Zeitverzögerung gebracht. Der herrschende Südoststurm hatte, als die Feuerwehr endlich auf dem Brandplatz erschien, die Flammen über mindestens 20 Objekte gejagt. Alle Strohbedachung längs der östlichen Seite des Oberdorfes war entzündet, der Feldfahrweg zwischen den einzelnen Häusern absolut unpassierbar. Der heulende Sturm peitschte die Stichflammen am Erdboden dahin, Rauch, Qualm und Höllenglut erfüllte alle Hofteile, Gassen und Gässchen. Die Feuerwehr musste vor allem versuchen, den Riesenbrand einzudämmen, ansonsten eine ganze Flucht von Häusern der westlichen Straßenseite in Flammen ausgegangen wäre. Ein Augenzeuge aus dieser Zeit weiß zu berichten: „Weiber und Kinder standen jammernd, schreiend und betend auf der noch sicheren Straße: dort stürmte eine Kuh daher, ihrer Bande ledig, mitten hinein in den klagenden Haufen, dort eine zweite, dritte, ängstlich brüllend, in tollem Kreisen einen Ausweg aus dem Höllenpfuhle suchend. Nur mit großer Mühe gelang es einigen beherzten Männern, die scheuen Tiere einzufangen. “Weiber, Kinder, hinaus ins sichere Feld! Fort von hier, auf dass das Unglück nicht noch größer werde!” erschallte es von den zuckenden Lippen der Männer, denn wahrlich, die Gefahr war groß und vorderhand bei dem grässlichen Sturm an einen Stillstand der Flammen gar nicht zu denken.

In fast allen brennenden Stallungen waren noch die Haustiere, da ja beim Ausbruche des Feuers außer einigen kränklichen Frauen und kleineren Kindern niemand zu Hause war, Männer und Burschen befanden sich vielfach noch draußen im Felde bei den Arbeiten. Die verfügbaren männlichen Kräfte mussten auf die Rettung der bedrohten Haustiere bedacht sein. In einer Reihe von Häusern mussten die verschlossenen Haus- und Hoftüren eingerannt werden, um zu den Ställen zu kommen. Das war ein hartes Stück Arbeit. Die Höfe und Treppen mit stickendem Rauch erfüllt, neben den Ställen der brennende Düngerhaufen, zu Häupten das brennende Haus, der brennende Stallboden, nach vorne hin unsägliche Hitze und qualmender Rauch von Seite der mit Futtervorräten gefüllten und nun in Flammen stehenden Scheuer – dieser Feuerpfad musste Haus für Haus von mutigen Männern und Burschen genommen werden, ehe unter unsäglichen Anstrengungen man endlich in den mit Qualm erfüllten Stall kam. So mancher Beherzte musste aber, seines freien Atems beraubt, wieder unverrichteter Dinge zurück, stürzte auf der Treppe zusammen und wurde unter Mühe und Not von anderen Wackeren auf die Straße geschafft. In einer 1/4 Stunde war das Vieh mit den unbeschreiblichsten Anstrengungen geborgen worden. Aus einem brennenden Hause wurden Kinder, welche sich in ihrer Angst eingesperrt hatten, herausgeholt. Ein 17-jähriges Mädchen versuchte im eigenen Hause zu retten, was zu retten noch möglich war, fing aber mit seinen Kleidern Feuer. Die Flammen konnten von einem Feuerwehrmann noch rechtzeitig erstickt werden. Derselbe Wehrmann rettete auch einem armen Weibe das Leben. Diese Frau wollte ihre einzige Ziege aus dem brennenden Stalle retten. Die Flammen schlugen aber derart in den Stall hinein, dass sie nicht mehr zurück konnte und jämmerlich um Hilfe schrie. Der Wehrmann wagte sein Leben und brachte glücklich Weib und Ziege in Sicherheit. Leider war auch ein Menschenleben zu beklagen. Der Kleinhäusler Sebastian Schwenk, der beim Ausbruch des Brandes im Felde arbeitete, kam ins Dorf, als sein Häuschen, der Stall und die Scheuer in Flammen stand. Die einjährige Kalbin gelang es ihm, noch aus dem Stall zu schaffen. Als er in allzu großem Wagemut noch die Schweine bergen wollte, fingen seine Kleider Feuer und brennend stürzte er hinaus auf den Fahrweg, wo ihn die Flammen zu Boden schlugen. Sein Sohn, sowie noch andere Personen, versuchten dem Brennenden nahe zu kommen. Doch links und rechts zu beiden Seiten des nur 3 Meter breiten Fahrweges standen Strohobjekte in hellen Flammen, welche, vom Winde getrieben, den Weg in eine Feuerzeile verwandelten. Ein mehrmaliger Anlauf in diesen Feuerrachen wurde gewagt, doch alles vergebens. Der Rettungsversuch hätte vielleicht noch andere Opfer verschlungen. Ungefähr nach einer Stunde trafen Feuerwehren aus den umliegenden Ortschaften ein. Bei 70 Objekte standen bereits in Flammen, eine weitere Menge von Objekten war schon bedroht. Als der Abend hereinbrach, kamen aus den umliegenden Orten in großen Haufen Leute herbeigeströmt, zu Fuß, zu Rad, per Wagen oder Fiaker, um das grässliche Schauspiel in Augenschein zu nehmen. Die Plätze, Wege und Straßen füllten sich mit Leuten, von denen die wenigsten zu den Spritzen traten, sie waren ja gekommen um zu staunen, sich zu entsetzen, aber nicht um zu helfen. Abends traf der Herr Bezirkshauptmann Freiherr Alfons Klezl von Norberg auf der Brandstätte ein, besichtigte dieselbe eingehend, ließ sich über den entstandenen Schaden berichten und versprach den Abgebrannten seine Unterstützung. Der damalige Oberlehrer Rudolf Wedra veranstaltete Sammlungen in Wien und in vielen Gemeinden Niederösterreichs. Eibesthal war ja durch die Passionsspiele weit und breit bekannt. Die Sammlungen brachten einen so hohen Geldbetrag zustande, so dass sämtliche vom Brandunglück betroffene Eibesthaler ihre Häuser wieder aufbauen konnten, und zwar größer und schöner, als sie vorher waren.“

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„Der Mensch im Stein“ – kein (!) Rechtsdenkmal

Ein häufiges Problem der Lokalgeschichtsforschung ist es, dass Informationen oftmals ungeprüft und lediglich auf eine einzelne Quelle gestützt übernommen werden. Im Falle Mistelbachs kommt hinzu, dass immer wieder auf die vor mehr als hundert Jahren erschienenen Bände der „Geschichte der Stadt Mistelbach“ von Karl Fitzka, zurückgegriffen wird, obwohl seither viele Publikationen erschienen sind, die Fitzkas Darstellungen widersprechen bzw. richtigstellen oder neue Informationen aufgreifen. Zum Teil sind diese von fachkundiger Hand verfassten geschichtlichen Beiträge allerdings nicht in Buchform erschienen, sondern als Beiträge in heimatkundlichen Schriftenreihen (Mistelbach in Vergangenheit und Gegenwart, Heimat im Weinland) oder in Form vom Artikelserien in Lokalzeitungen erschienen und daher heute weniger bekannt bzw. etwas schwieriger zugänglich. Besonders hartnäckig hält sich eine falsche Information betreffend eine im Stadt-Museumsarchiv befindliche Steinskulptur, die auch in Publikationen der jüngsten Vergangenheit – einmal mehr unter Berufung auf die Angaben bei Fitzka – fälschlicherweise als Rechtsdenkmal („Schandbock“) bezeichnet wird.26 Nachfolgend soll das Publikationsgeschehen rund um diese Skulptur dargestellt und alle verfügbaren Informationen zusammengefasst werden. Dabei wird sich zeigen, dass bereits vor mehr als hundert Jahren die Fehleinschätzung zur Bedeutung dieser Skulptur seitens des Urhebers derselben revidiert und richtiggestellt wurde – eine Tatsache, die in Mistelbach allerdings leider nicht zur Kenntnis genommen wurde.

In den 1891 erschienenen „Berichte und Mittheilungen des Alterthums-Vereines zu Wien“ (Band XXVIII) veröffentlichte Dr. Karl Lind einen Beitrag zum Thema „Einige ältere Kirchen in Niederösterreich“ und in diesem wird unter anderem auch die 1904 abgebrochene alte Mistelbacher Spitalskirche beschrieben. Anlässlich eines Lokalaugenscheins im Zuge der Arbeit an diesem Beitrag dürfte der Autor auf eine in nächster Nähe zur Spitalskirche befindliche Steinskulptur aufmerksam gemacht worden sein, und auch diese wird in dem Beitrag mit einer Skizze abgebildet und wie folgt beschrieben:
„An der Ecke eines Privathauses befindet sich eine merkwürdige Sculptur, man könnte sie ein Wahrzeichen des Ortes nenne. Sie hat die Gestaltung einer zusammenkauernden Figur, der Kopf mit lockigem Haupthaar ist ganz deutlich zu erkennen. Füsse und Hände sind ausser allem Verhältnisse klein, der Leib nicht dargestellt, sondern ein fast viereckig behauener Steinklotz“27

Die älteste bildliche Darstellung der Steinskulptur an einer Hausecke aus "Berichte und Mittheilungen des Alterthums-Vereines zu Wien" des Jahres 1891Die älteste bildliche Darstellung der Steinskulptur an einer Hausecke aus „Berichte und Mittheilungen des Alterthums-Vereines zu Wien“ des Jahres 1891

In dem 1899 erschienenen Buch „Wahrzeichen Niederösterreichs“ von Dr. Anton Kerschbaumer wird die Beschreibung und Abbildung aus der Publikation des Alterthums-Vereins Wien exakt gleich wiedergegeben.28 Die obige Beschreibung bzw. bildliche Darstellung scheint insofern irreführend als sich die Figur tatsächlich nicht an der Außenseite einer Haus-/Mauerecke, sondern an deren Innenseite bzw. hofseitig befand und diese versteckte Lage dürfte auch dafür verantwortlich sein, dass die Skulptur in Mistelbach tatsächlich kaum bekannt war. Deshalb erscheint die in Dr. Linds Beitrag getätigte Behauptung es handle sich um ein Wahrzeichen Mistelbachs keineswegs nachvollziehbar. Es ist unklar, ob die vorstehend genannten Veröffentlichungen in Mistelbach registriert wurden, schließlich kam es erst 1898 zur Gründung des städtischen Museums und in der Folge zu einem ersten Aufarbeiten der Geschichte der Stadt. Ein gesteigertes Interesse an der Skulptur dürften sie jedenfalls nicht verursacht haben, schließlich gab es außer der Beschreibung bislang auch keinerlei Einschätzung worum es sich bei diesem Steindenkmal überhaupt handelt.

Im Zeitraum 1903-1906 wurden im Rahmen einer Beitragsreihe teilweise unter dem Titel „Landeskundliche Mitteilungen“ bzw. „Landes- und ortskundliche Mitteilungen“ regelmäßig heimatkundliche Beiträge in der Zeitung „Der Bote aus dem Waldviertel“ veröffentlicht. Der Autor dieser Beiträge war Franz Xaver Kießling, der sich nach einer Erkrankung aus seiner beruflichen Tätigkeit als Ingenieur zurückziehen musste und sich seither intensiv als Heimatforscher betätigte. Kießling war glühender Deutsch-Nationaler, „Schönerianer“, fanatischer Antisemit, und geradezu besessen von allem was mit den Germanen zu tun hatte. Diese Obsession Kießlings, der im Wiener Turnverein früh einen beispielgebenden Arierparagrafen durchsetzte, führte auch zu seinen Bestrebungen germanische Bräuche bzw. pseudoreligiöse Riten innerhalb der deutsch-nationalen Bewegung zu etablieren. In einem Anfang Juni 1904 erschienenen Beitrag widmete sich Kießling unter Bezugnahme auf die Schilderungen in den Mitteilungen des Alterthums-Vereins Wien und Kerschbaumers „Wahrzeichen Niederösterreichs“ der gegenständlichen Steinskulptur. Laut eigenem Bekunden betrieb er zu jener Zeit eine Studie zu mittelalterlichen Rechtsdenkmälern und daher versuchte er nähere Informationen zu dieser Steinskulptur einzuholen. Er schrieb darin, dass er vor einigen Jahren Mistelbach besucht habe und ihm dieses Denkmal bei seinem Besuch nicht untergekommen sei.29 Er hatte auch versucht Erkundigungen zu dieser Figur in Mistelbach einzuholen, aber sein Mistelbacher Kontakt (ein nicht namentlich genanntes Mitglied des hiesigen Deutschen Turnvereins) vermeldete lediglich, dass eine solche Figur in Mistelbach nicht existiere bzw. nichts darüber bekannt sei. Daher äußerte Kießling Zweifel ob es sich nicht um eine Verwechslung der Örtlichkeit handelte oder alternativ vermutete er, dass das Denkmal mittlerweile abgekommen sei. Aufgrund der oben abgebildeten Zeichnung vermutete Kießling hinter der gestauchten quaderförmigen Figur, die Darstellung einer Person, die auf einem Straf- bzw. Schandbock gespannt war. Der Bock (auch Stock genannt) war eine Holzkonstruktion (Holzklotz oder -gestell) mit Ausnehmungen für Arme, Beine und den Kopf, die den Verurteilten in eine unangenehme gebückte bzw. hockende Körperhaltung zwang. Vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert waren derartige „Ehrenstrafen“ durchaus üblich und der Bock/Stock soll eine Strafe für Männer gewesen sein, die sich Raufereien, üble Nachrede, Ehezänkereien, Ungehorsam gegenüber der Ortsobrigkeit, etc. zu Schulden kommen ließen. Ähnlich der Schandfiedel (Halsgeige), bei der Kopf und Hände in ein Brett eingezwängt wurden und die bei den oben genannten Delikten für die Bestrafung von Frauen vorgesehen war, handelte sich um eine Bestrafung, die an einem öffentlichen Ort abgebüßt werden musste. Gerade die Öffentlichkeit und die damit verbundene Schande und Demütigung war ein wesentlicher Teil dieser meist einige Stunden dauernden Tortur. Daher wurden derart bestrafte Personen an prominenten Plätzen, etwa dem Marktplatz bzw. an der Prangersäule oder an sonst stark frequentierten Plätzen und Straßen, zur Schau gestellt. Die obige Zeichnung der Skulptur, die die Anbringung an einer Hausecke nahelegt dürfte Kießling auf die Idee gebracht haben, dass es sich bei dem Steinbildnis um ein Rechtsdenkmal (ähnlich einem Pranger) handelte mit dem eine Häuserecke markiert worden sein könnte, an der die geschilderte Strafe verbüßt werden musste.30 Wie sich in einem Nachtrag in der folgenden Ausgabe herausstellte, waren die Informationen seines Mistelbacher Vertrauten nicht korrekt und Kießling hatte zwischenzeitlich einen Brief vom Leiter des Mistelbacher Museums Karl Fitzka erhalten in dem dieser erläuterte, dass sich das gegenständliche Steinbildnis nicht an einer Straßenecke befinde, sondern sich ursprünglich an der „inneren Garten- und Hof-Mauer des ebenerdigen Hauses in der Bahnstraße Nr. 1“ befunden habe. Aber schon vor Jahren sei die Skulptur vom Besitzer des Hauses dem städtischen Museum übergeben worden. Nachdem nun der Verbleib der Figur geklärt war, blieb Kießling bei seiner Rechtsdenkmal-These und vermutete den Ursprung des Steinbildnisses im 16. oder 17. Jahrhundert.31 Ein drittes und letztes Mal findet sich in der Beitragsreihe dann noch ein Verweis auf die Mistelbacher Skulptur und zwar in Zusammenhang mit einem kurzen Beitrag mit dem Titel „Über Schandsteine und Schand-Ecken“. Kießling vermutete in einer Fußnote zu diesem Beitrag, dass auch dieses Steinbildnis einst über einer solchen „Schandecke“ angebracht war. Er mutmaßt weiter, dass das Denkmal von einem späteren Hausbesitzer abmontiert worden sein dürfte, schließlich konnte ein solches Bildnis in späterer Zeit als ehrenrührig empfunden worden sein bzw. Anlass für Spott geboten haben. So sei es dann schließlich an seinen letzten Standort und zwar die Innenseite einer Garten- bzw. Hofmauer gekommen.32

Links neben dem 1873 errichteten Schulgebäude in der Bahnstraße (heute Teil des Gebäudekomplexes der Mittelschulen) das alte bis ca. 1904 bestehende Gebäude mit der für ein Eckhaus üblichen Doppeladresse Bahnstraße 1/Mitschastraße 2Links neben dem 1873 errichteten Schulgebäude in der Bahnstraße (heute Teil des Gebäudekomplexes der Mittelschulen) das alte bis ca. 1904 bestehende Gebäude mit der für ein Eckhaus üblichen Doppeladresse Bahnstraße 1/Mitschastraße 2

Der Blick vom Schulgebäude in der Bahnstraße über die Dächer des Wiedenviertels hinweg auf die am Kirchenberg thronende Pfarrkirche. Auf dieser Aufnahme aus der Zeit zwischen 1898 und 1904 (möglicherweise 1903) ist am unteren Bildrand teilweise das Haus Bahnstraße Nr. 1 und ein Teil des Gartens, sowie die diesen umgebende Mauer abgebildet. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Skulptur bereits in den Beständen des Museums und es ist ersichtlich, dass die Gartenmauer in die die Skulptur einst eingemauert gewesen sein soll, recht niedrig war und ihre Innenseite ansonsten ohne jegliche sonstige Zierde gestaltet war.Der Blick vom Schulgebäude in der Bahnstraße über die Dächer des Wiedenviertels hinweg auf die am Kirchenberg thronende Pfarrkirche. Auf dieser Aufnahme aus der Zeit zwischen 1898 und 1904 (möglicherweise 1903) ist am unteren Bildrand teilweise das Haus Bahnstraße Nr. 1 und ein Teil des Gartens, sowie die diesen umgebende Mauer abgebildet. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Skulptur bereits in den Beständen des Museums und es ist ersichtlich, dass die Gartenmauer in die die Skulptur einst eingemauert gewesen sein soll, recht niedrig war und ihre Innenseite ansonsten ohne jegliche sonstige Zierde gestaltet war.

Fitzka meldete sich jedoch nicht nur bei Kießling, sondern informierte auch die „k.k. Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der kunst- und historischen Denkmale“ in Wien darüber, dass sich die Skulptur mittlerweile in den Beständen des damals im Rathaus untergebrachten Mistelbacher Heimatmuseums befand.33 Die Kommission ersuchte daraufhin um Übermittlung zweier Fotografien (Front- und Seitenansicht) und diesem Ersuchen leistete Fitzka selbstverständlich umgehend Folge.

Wahrscheinlich die älteste fotografische Darstellung der Skulptur und möglicherweise eines der Fotos, die für die Zentral-Kommission angefertigt wurdenWahrscheinlich die älteste fotografische Darstellung der Skulptur und möglicherweise eines der Fotos, die für die oben erwähnte Zentral-Kommission angefertigt wurden

 

Vorderansicht der Steinskulptur - Höhe: 45 cm, Breite: 27 cmVorderansicht der Steinskulptur – Höhe: 45 cm, Breite: 27 cm

 

Seitenansicht der Steinskulptur - Tiefe: 21 cm; beim rauhen Teil rechts handelt es sich um Mörtelreste aus der Zeit als die Figur Teil einer Mauer warSeitenansicht der Steinskulptur – Tiefe: 21 cm; beim rauen Teil rechts handelt es sich um Mörtelreste aus der Zeit als die Figur Teil einer Mauer war

Fitzka griff die Deutung Kießlings in seiner im „Mistelbacher Bote“ erschienenen Artikelserie „Nachträge und Ergänzungen zur Geschichte der Stadt Mistelbach“ unter dem Titel „Ein altertümliches Rechtsdenkmal“ 1907 auf und lieferte eine Zusammenfassung der zu diesem Steinbildnis bekannten Informationen bzw. auf Kießlings Einschätzung gestützt Beschreibungen von Gerätschaften zur Bestrafung.34 Die in den Jahren 1907-1908 veröffentlichten Nachträge und Ergänzungen wurden später zu einem 1912 vollendeten, jedoch erst 1913 erschienenen „Nachtrags- und Ergänzungsband zur Geschichte der Stadt Mistelbach“ (Band II) zusammengefasst.35 Schon in Fitzkas auszugsweise als Replik auf Kießlings Beitrag im „Bote aus dem Waldviertel“ abgedruckten Brief schreibt er, dass es sich um eine Figur aus Marmor handle. Allerdings um keinen echten Marmor, sondern sogenannten „salzburgischen Marmor“. Dabei handelt es sich um im Flachgau abgebauten hochwertigen Kalkstein, der aufgrund seiner hohen Dichte eine marmorähnliche Polierfähigkeit aufweist und daher bei Bildhauern sehr beliebt war.36 Die Farbe der Steinfigur schwankt je nach Lichteinfall zwischen rosa und beige. Fitzka gibt den Zeitpunkt an dem die Steinskulptur dem Museum durch den Besitzer des Hauses Bahnstraße 1/Mitschastr. 2, Stadtsekretär Alexander Zickl, übergeben wurde mit dem Jahr 1899 an.37 Zickl, der 1915 nach dem Tod Fitzkas die Leitung des städtischen Museums übernahm, sorgte also dafür, dass diese Skulptur bereits einige Jahre vor dem um etwa 1904 erfolgten Abbruch des alten Hauses Bahnstraße 1 und dessen Neuerrichtung als prachtvolles Wohn- und Geschäftshaus in die Bestände des Mistelbacher Heimatmuseums kam. Den Hausbesitzern des Jahres 1900 sind in Fitzkas Geschichte der Stadt Mistelbach auch jene im Jahr 1799 gegenübergestellt und damals scheint als Besitzer des Eckhauses Bahnstraße/Mitschastraße (=Konskr. Nr. 379)  ein Maurermeister namens Franz Poller auf38 und Fitzka mutmaßt, dass dieser die Steinskulptur aufgrund des wertvollen Materials in sein Haus integriert haben könnte. Fitzka schildert die Standortgeschichte soweit nachvollziehbar wie folgt: der Interpretation Kießlings vertrauend vermutete er dass sich das Bildnis einst an einer Häuserecke befand, ob dies tatsächlich die Ecke Bahnstraße/Mitschastraße gewesen sei – lässt er offen. Erwiesenermaßen sei sie dann an der Innenseite der Gartenmauer des Hauses Bahnstraße 1 eingemauert gewesen und später in die Hofmauer desselben Hauses versetzt worden. Dies war der letzte Standort der Skulptur ehe sie dem Heimatmuseum übergeben wurde.

In falscher Deutung des rauen, kreisförmigen Endes über dem Kopf der Figur bzw. einer Fehlinterpretation der gezeichneten Darstellung aus 1891 ließ Fitzka einen spitzen steinernen „Aufsatz“ für die Skulptur anfertigen.

Die in Fitzkas Nachtrags- und Ergänzungsband veröffentlichte Fotografie des Denkmals mit der „falschen Spitze“

Es ist erstaunlich, dass trotzdem sich die Figur offenbar bereits 1899 in den Beständen des städtischen Museums befand, selbige weder von Fitzka in seiner 1901 erschienenen Geschichte der Stadt Mistelbach, noch im von Don Clemens Cžácha verfassten Mistelbach-Beitrag im Rahmen der Topographie des Vereins für Landeskunde Erwähnung findet. Dies deutet darauf hin, dass man offenbar so rein gar nichts mit der Skulptur anzufangen wusste.

1914, also im Jahr nachdem Fitzkas zweiter Band zur Geschichte Mistelbachs erschien, veröffentlichte Kießling einen Teil seiner zuvor im „Bote aus dem Waldviertel“ erschienen Beiträge in Buchform unter dem Titel: „Altertümische Kreuz- und Quer-Züge“.39 Darin fasst er auf den Seiten 85-86 nochmals die bisherigen Erkenntnisse zu diesem Steinbildnis inklusive seiner Deutung der Skulptur als Rechtsdenkmal zusammen. Ebenso erneuerte er seine Datierung auf das 16. – 17. Jahrhundert und widersprach damit einer offenbar von Fitzka geäußerten (oder nur übermittelten) Vermutung, die das Steinbildnis ins 12. – 13. Jahrhundert verortete und zwar mit der Begründung, dass derartige Darstellungen im deutschen Sprachraum zu jener Zeit schlicht nicht gegeben habe. Durch seine Behandlung der Skulptur hatte er ihr jedenfalls einiges an Aufmerksamkeit beschert, denn unter Bezugnahme auf Korrespondenz mit Fitzka schreibt er, dass selbige seither das Interesse vieler Fachleute auf dem Gebiet der Archäologie und Altertumskunde gefunden habe, die Experten aber keine Erklärung zu ihre Bedeutung bzw. Herkunft gehabt hätten.40 Die wirklich bedeutende neue Information findet sich allerdings erst im Anhang, in dem er zu verschiedenen Beiträgen Nachtragsnotizen liefert und hier ist auf Seite 627 zu lesen: „Zu Seite 85: Mistelbach (Merkwürdige Skulptur): Gelegentlich einer Besichtigung der Burg Lichtenstein (sic!) bei Mödling, im Laufe des Monats Mai 1909, bemerkte der Verfasser eine „Skulptur“, die der zu Mistelbach ähnlich erscheint. Sie befindet sich auf dem Kapitäle einer aus Stein gemeißelten Säule, die das linksseitige Gewände einer Tür bildet, die aus dem im ersten Stockwerke gelegenen Büchereizimmer auf einen kleinen Söller hinausführt, der in der Richtung gegen den Gasthof Hodwagner angebracht ist. Möglicherweise ist auch das Mistelbacher, für manche Forscher noch rätselhafte Bildwerk, als ein dem 15. Jahrhunderte zuzuzählendes „Kapitäl“ anzusprechen. …“41 Es erstaunt, dass Kiesling diese wesentliche Erkenntnis, auf die er offenbar schon fünf Jahre vor Erscheinen des Buches gestoßen ist, nicht direkt in den Beitrag aufnahm, sondern selbige im sehr umfangreichen und zahlreiche Nachträge enthaltenden Anhang versteckt. Bedeutsam ist allerdings vielmehr der Inhalt, und zwar, dass der Urheber der „Rechtsdenkmaltheorie“ diese selbst verworfen hat und als erster nunmehr die Skulptur als Teil einer Säule interpretierte. Durch die Tatsache, dass dieses Buch zu spät erschien, um noch in Fitzkas zweiten Band einfließen zu können und den Umstand, dass diese bedeutende Information im Anhang versteckt war, wurde sie in Mistelbach leider nicht zur Kenntnis genommen.

Die nächste Erwähnung findet die Figur in einem Artikel des „Mistelbacher Bote“ zu Beginn des Jahres 1924, wo der Volkskundler Anton Mailly selbige unter dem Titel „Mistelbacher Skulptur“ wie folgt beschreibt und interpretiert:
„Die sogenannte „Mistelbacher Skulptur“ im Museum zu Mistelbach hat die Gestalt einer wie etwa in einem barocken Block eingezwängten Figur, von der nur der Kopf und die verkümmerten Hände und Beine sichtbar sind. Der gelockte Kopf hat ein knabenhaftes Aussehen. Oberhalb des Kopfes ist das Standbild glatt und wagrecht (sic!) abgemeißelt. Die sonderbare Kopfbedeckung wurde in neuerer Zeit in der Meinung angebracht, daß sie zur Vervollständigung der Figur gehöre, weil sie für ein Rechtssymbol (einen in Bock gespannten Mann) gehalten wurde. Das jugendliche, schalkartige Gesicht und vor allem die Platte sprechen schon gegen diese Annahme. Die Figur ist eine gewöhnliche Sockelfigur einer Säule, eines Pfeilers oder eines Bogens gewesen, wie man solche originelle Darstellungen, die den Druck einer schweren Last gar trefflich zum Ausdruck bringen in alten Klöstern, Kirchen und Burgen oft findet. Als Beispiele hiefür könnte man unter anderen den knieenden Mann im Millstätter Klostergang, der auf dem Kopfe eine Säule trägt, und den Träger eines Bogens im Kreuzgang zu Königslutter erwähnen.
Anton Mailly (Wien)“42

Mailly veröffentlichte 1927 ein kleines Büchlein mit dem Titel „Sagen aus dem Bezirk Mistelbach“ und es erscheint wahrscheinlich, dass er bei den Recherchen zu diesem Werk auf die Steinskulptur aufmerksam wurde und sich veranlasst sah eine Richtigstellung bezüglich deren Bedeutung zu veröffentlichen. Doch leider blieb auch Maillys Richtigstellung nicht dauerhaft im Geschichtsgedächtnis der Stadt bzw. fand offenbar nicht den Weg in die Aufzeichnungen des Heimatmuseums.

Univ.-Prof. Dr. Herbert Mitscha-Märheim, der seit den 1930er Jahre selbst im Heimatmuseum als wissenschaftlicher Berater wirkte, widmete der Skulptur, die er als „Mensch im Stein“ titulierte  im Jahre 1976 einen Beitrag in der heimatkundlichen Schriftenreihe „Mistelbach in Vergangenheit und Gegenwart“ in dem er (in Unkenntnis der Richtigstellung Kießlings und der Darstellung Maillys) selbst zu dem Schluss kam, dass es sich um die Sockelskulptur einer Säule („Säulenfuß“) handelte. Die 16 cm messende kreisrunde, raue Fläche über der Figur deutete für ihn klar darauf hin und würde daher für eine Säule ebensolcher Stärke sprechen. Unter Beiziehung von Experten kam er zu dem Schluss, dass es sich um ein Bildnis aus der (Spät)Renaissance handeln dürfte, und zwar vermutlich um den (Sockel-)Fuß eines Portal-/Türpfeilers aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Mitscha-Märheim stellt die bemerkenswerte und durchaus plausible These auf, dass es sich hierbei um einen Überrest der alten, romanischen Pfarrkirche handeln könnte, die zuletzt als Wallfahrtskirche genutzt wurde und Ende des 18. Jahrhunderts abgetragen werden musste (mehr dazu im Beitrag Wallfahrtsort Mistelbach). Er mutmaßt, dass die Figur einst einen Torpfeiler beim Abgang in die unterhalb der alten Pfarrkirche gelegene Gruftkapelle gestützt haben könnte und interpretiert die Figur folgendermaßen: „Der in seine Sündenlast eingeschlossene tote Mensch blickt aus seiner Gruft sehnsuchtsvoll auf Vergebung und Erlösung hoffend dem göttlichen Gericht am Jüngsten Tag entgegen.“ Diese Deutung würde jedenfalls zum düsteren und morbiden, von zahlreichen Schädeln und Knochen geprägten, Erscheinungsbild der Gruftkapelle gepasst haben. Nachdem die Datierung in die Zeit des 30-jährigen Krieges fällt, dessen Schrecken und Verwüstungen auch Mistelbach heimsuchte, scheint es laut Mitscha-Märheim durchaus denkbar, dass vom damaligen Dechant und Pfarrer Paul Pörsi Reparaturen, wie etwa die Wiederherstellung eines Portals, in Auftrag gegeben werden mussten. 43 Wie viele andere Wallfahrtskirchen musste auch die Gruftkapelle mit der samt der darüber befindlichen Kirche 1783 aufgrund eines kaiserlichen Erlasses abgebrochen werden. Möglicherweise war der bei Fitzka erwähnte Maurermeister Poller an den Abbrucharbeiten der alten Pfarrkirche beteiligt und sicherte sich dieses Bildnis, dass er als Zierrat in seine Gartenmauer einbaute. Wenn dem so war, so ist es ihm zu verdanken, dass ein Stück Bausubstanz der alten Pfarrkirche bzw. der Gruftkapelle die Jahrhunderte überdauert hat.

Die Skulptur im Jahre 2019 im StadtmuseumsarchivDie Skulptur im Jahre 2019 im Stadt-Museumsarchiv

Bildnachweise:
-) älteste Abbildung 1891: Berichte und Mittheilungen des Alterthums-Vereines zu Wien, Band XXVIII (1891), S. 60 (online bei Google Books)
-) altes Haus Bahnstraße 1: Stadt-Museumsarchiv Mistelbach
-) Ansicht Innenhof Bahnstraße 1: zVg von Frau Christa Jakob aus der Dokumentation „Verdrängt und Vergessen- Die jüdische Gemeinde in Mistelbach“ (Buch und Dauerausstellung)
-) vermutlich älteste Fotografie: Stadt-Museumsarchiv Mistelbach
-) Front und Seitenansicht der Skulptur: Göstl-Archiv
-) Foto der Skulptur mit „Aufsatz“: Stadt-Museumsarchiv Mistelbach bzw. Fitzka, Karl: Ergänzungs- und Nachtragsband zur Geschichte der Stadt Mistelbach (1912), zw. S. 66-67
-) Foto 2019: Thomas Kruspel, 2019

Quellen:

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Wedra, Rudolf

Reichsratsabgeordneter Kommerzialrat Rudolf Wedra

* 21.3.1863, Littau, Mähren
† 15.3.1934, Hanfthal

Rudolf Wedra wurde als Sohn des Schuhmachermeisters und Wirtschaftsbesitzers Stefan Wedra und dessen Gattin Johanna, geb. Wachler, 1863 im mährischen Littau geboren.44 Sein Vater war zwischen den 1860er Jahren und 1900 mehrere Perioden hindurch erster Gemeinderat und damit Bürgermeisterstellvertreter der Stadt Littau.45 Nach dem Besuch von Volksschule und Unterrealschule absolvierte Rudolf Wedra die vier Jahrgänge umfassende Ausbildung an der Lehrerbildungsanstalt im nordböhmischen Trautenau, wo er 1883 die Reifeprüfung erfolgreich ablegte. Vermutlich leistete er im Anschluss seinen Militärdienst, denn erst ab 1885 ist eine Tätigkeit als Lehrer belegt. Seine erste Station als Probelehrer führte ihn nach Altlichtenwarth und am 3. April 1886 legte er in Wien, damals auch die Hauptstadt des Kronlandes „Österreich unter der Enns“ (=Niederösterreich), erfolgreich die Lehrbefähigungsprüfung für Volksschulen ab. An seinem ersten Dienstort lernte Wedra seine spätere Ehefrau, die Landwirtstochter Maria Marchhart (*1865, †1937), kennen, mit der er schließlich am 2. August 1887 in der Pfarre St. Johann Nepomuk in Wien-Leopoldstadt den Bund der Ehe schloss.46 Doch dem Ehepaar Wedra war kein Familienglück beschieden, da in den folgenden Jahren die fünf dieser Ehe entstammenden Kinder allesamt im Säuglings- bzw. frühen Kleinkindalter verstarben.47 Kurz nachdem 1893 das letzte Kind Wedras verstarb, wurden drei Kinder der Familie Gillich aus Altlichtenwarth, dem Heimatort von Wedras Gattin und seinem vormaligen Dienstort, binnen eines Jahres zu Vollwaisen48 und die Wedras nahmen sich der Gillich-Kinder Josef (7 Jahre)49, Maria (5 Jahre)50 und Theresia (2 Jahre)51 als Zieheltern an. Zwar scheint keine formalrechtliche Adoption erfolgt zu sein, denn eine Änderung des Namens der Kinder blieb aus, aber die Wedras zogen die Gillich-Kinder in der Folge wie ihre eigenen Kinder groß.52 Immer wieder findet sich in verschiedenen Zeitungsberichten auch die Information, dass es sich bei den Kindern um Nichten bzw. einen Neffen Wedras gehandelt hätte, allerdings konnte im Zuge der Recherchen für diesen Beitrag kein wie auch immer geartetes, tatsächliches Verwandtschaftsverhältnis zwischen den Familien Gillich und Wedra bzw. Marchhart festgestellt werden.53

Bereits vor seiner Eheschließung im Sommer 1887 wechselte Wedra als Unterlehrer an die Volksschule im nahegelegenen Hohenau, bevor er schließlich 1888 als Oberlehrer (=Schulleiter) an die drei Klassen umfassende Volksschule nach Eibesthal kam.54 Seine Gattin Maria war ab 1890 als Industrielehrerin (=Handarbeitslehrerin) ebenfalls an dieser Schule tätig. An seinem neuen Dienstort entfaltete Wedra in vielen Bereichen sehr rege Aktivitäten: Er zählte 1889 zu den Initiatoren der Gründung der Raiffeisenkasse Eibesthal, die zu den ersten im Weinviertel zählte, und übernahm ab dem Zeitpunkt der Gründung über 18 Jahre hinweg – unentgeltlich – das Amt des Zahlmeisters.55 Ende der 1880er bzw. in den 1890er Jahren litt der Weinbau in unserer Gegend unter der eingeschleppten Reblaus und Pflanzenkrankheiten wie der Peronospora (falscher Mehltau) und Oberlehrer Wedra versuchte den Eibesthaler Weinbauern mittels Vorträgen und Schulungen das notwendige Wissen für den Kampf gegen diese Plagen zu vermitteln und leistete somit einen Beitrag zur Abwehr dieser existenziellen Bedrohungen für den Hauerstand. Nachdem Wedra sich bereits während seiner Hohenauer Zeit bei der dortigen Freiwilligen Feuerwehr engagiert hatte, wurde er unmittelbar nach seiner Ankunft auch bei der drei Jahre zuvor gegründeten Freiwilligen Feuerwehr Eibesthal aktiv und war von 1895 bis 1903 Hauptmannstellvertreter dieser Wehr.56 Außerdem gehörte er dem Ausschuss des Feuerwehrbezirksverbands Mistelbach (= ehemaliger Gerichtsbezirk Mistelbach) an und stand dem Bezirksverband von 1899 bis 1903 auch als Obmann vor.57 Darüber hinaus erfüllte er auch seine Aufgaben als Schulleiter mustergültig und ließ auf eigene Kosten einen Schulgarten sowie einen Schnittweingarten und kleine Nebengebäude (Wagenschupfen, Stall, …) zum Schulhaus errichten.58

Wie für die damalige Zeit üblich übernahm Wedra als Dorflehrer auch die Leitung der Kirchenmusik als sogenannter „regens chori“ und diente als Organist, wodurch sich natürlich eine enge Zusammenarbeit mit dem damaligen Pfarrer von Eibesthal, Franz Riedling, ergab. Auf Anregung des Pfarrers studierte Wedra ab Beginn der 1890er Jahre mit seinen Schulkindern im Dialekt geschriebene Krippenspiele ein, die an den Weihnachtsfeiertagen im Schulgebäude aufgeführt wurden. Es ist Wedras großer Leidenschaft und seinem Einsatz für dieses Projekt geschuldet, dass diese Aufführungen bald auch Besucher aus den Nachbarorten anlockten und der zunehmende Erfolg ließ in Pfarrer Riedling die Idee reifen, ob aus diesen kleinen Anfängen nicht etwas Großes, nämlich geistliche Festspiele in Form eines Passionsspiels, entstehen könnte. Die Einnahmen aus solch einem Vorhaben würden vielleicht auch den Traum des Pfarrers von einem Neubau der alten, feuchten und ohnedies zu kleinen Eibesthaler Kirche ermöglichen. Auch für die Idee der Etablierung von Passionsspielen fand Riedling in Wedra einen begeisterten Verbündeten. Die Bevölkerung war hingegen zunächst nur schwer von dieser Idee zu überzeugen, aber nach mühsamer Überzeugungsarbeit konnten Pfarrer und Lehrer mit vereinten Kräften siebzig der wohlhabenderen Ortsangehörigen dafür gewinnen, die zu Beginn eines solchen Großprojekts anfallenden Kosten vorzufinanzieren.59 Die Eibesthaler Passionsspiele fanden zwischen den Jahren 1898 bis 1911 insgesamt neun Mal  mit wechselhaftem wirtschaftlichen Erfolg (dazu noch später mehr) statt. Nachdem zu Beginn die Leidensgeschichte aufgeführt wurde, wurden später auch andere Begebenheiten aus dem Leben des Jesus von Nazareth bzw. biblische Szenen dargeboten und somit ist die damals verwendete Bezeichnung „Geistliche Festspiele“ tatsächlich passender. Sogar eine rund 800 Personen fassende Festspielhalle wurde eigens zu diesem Zweck in Form einer Holzkonstruktion errichtet. Bis 1905 wirkte Oberlehrer Wedra als Spielleiter und damit als Hauptverantwortlicher der Aufführungen, die im Laufe ihres Bestehens auch von zahlreicher Prominenz aus der Reichshauptstadt (Bgm. Dr. Lueger, Kardinal Nagl, Erzherzöge, etc.), sowie teils von internationalen Gästen besucht wurden. Sein Ausscheiden, das wohl auch gesundheitlichen Rücksichten geschuldet war, hätte beinahe auch das Ende der Passionsspiele bedeutet, doch glücklicherweise bildete sich nach einiger Zeit der Inaktivität, 1907 ein Komitee das sich erfolgreich um die Fortführung der Festspiele bemühte.60

Nachfolgend zwei Bilder aus der Zeit während der Wedra als Spielleiter wirkte:

"Das Heilige Abendmahl" aus einer Aufführung im Jahre 1899„Das Heilige Abendmahl“ aus einer Aufführung im Jahre 1899

 

"Die Kreuzigung Christi" aus einer Aufführung im Jahre 1904„Die Kreuzigung Christi“ aus einer Aufführung im Jahre 1904

Am 29. März 1904 wütete im Eibesthaler Oberort ein durch den an diesem Tag herrschenden Sturm begünstigter, verheerender Brand bei dem zweiunddreißig Kleinbauernfamilien ihre Wohnhäuser verloren und auch zahlreiche Wirtschaftsgebäude teils samt Nutzvieh, Futtervorräten und landwirtschaftlichen Geräten, wurden vernichtet. (Näheres zu dieser Brandkatastrophe im Beitrag „Der Großbrand in Eibesthal im Jahre 1904„) Ein Todesopfer war zu beklagen, doch es standen auch jene, die mit dem Leben davon gekommen waren vor dem Nichts, da ein Großteil der betroffenen Familien überhaupt nicht oder nur unzureichend versichert war. Unter rastlosem Einsatz organisierte Wedra zusammen mit der Gemeindevertretung und dem Pfarrer von Eibesthal eine Hilfsaktion und mittels der dabei gesammelten Geld- und Sachspenden konnte den Brandopfern geholfen und der Wiederaufbau ihrer Häuser bewerkstelligt werden.61

Wedras große Leidenschaft galt der Musik und sein diesbezüglicher Wirkungsbereich beschränkte sich nicht nur auf Eibesthal, sondern auch im Musikleben der nahegelegenen Stadt Mistelbach war er als Mitglied beider damals dort bestehenden Musikvereine62: „Verein der Musikfreunde“, der sich ab 1908 „Gesangs- und Musikverein Mistelbach“ nannte und dessen Obmannstellvertreter Wedra von 1908 bis 1910 war63, und Männergesangsverein Mistelbach aktiv (1934 fusionierten diese beiden Vereine schließlich). Er war für seine „abgrundtiefe“ Bassstimme bekannt und betätigte sich gelegentlich auch als Komponist. Wedra erteilte in Eibesthal während seiner Zeit als Lehrer auch privaten Musikunterricht und war somit für die Heranbildung des musikalischen Nachwuchses im Ort verantwortlich. Außerdem war er auch Mitglied im Wiener Männergesangsverein und zwar schon lange bevor ihn seine politische Karriere nach Wien führte. Er war es auch der sich tatkräftig dafür einsetzte, dass die Maifahrt des Wiener Männergesangsvereins im Jahre 1909 nach Mistelbach führte.64 Mehr zu diesem Großereignis im Beitrag Mistelbach in der Zeitung – Teil 3 (1908-1918). An dieser Stelle gilt es festzuhalten, dass neben vielen anderen Bereichen auch das Sängerwesen damals ideologisiert und stark deutsch-national geprägt war. Auch nach dem Ende seiner Tätigkeit als Leiter der Kirchenmusik, vermutlich anlässlich seines Übertritts in den Ruhestand, gehörte Wedra weiter dem Eibesthaler Kirchenchor an und zwar bis zu seinem Abschied aus diesem Ort.65

Bevor Wedras politisches Engagement nachfolgend näher beleuchtet wird, ist es notwendig, ein wenig auf seine Herkunft einzugehen, die seine politischen Ansichten sicherlich maßgeblich geprägt hat. Während die Deutschen in Littau zur Mitte des 19. Jahrhunderts, also zur Zeit der Geburt Wedras, klar die Bevölkerungsmehrheit stellten, wandelte sich dieses Verhältnis, sodass die Stadt gegen Ende des 19. Jahrhunderts mehrheitlich von Tschechen bewohnt wurde. In dieser Zeit tobte in der Monarchie bereits der Nationalitätenkonflikt, im Besonderen zwischen Deutschen und Tschechen bzw. ihren jeweiligen nationalistischen Exponenten, der sich unter anderem an Fragen von Amtssprache und Unterrichtssprache vor allem in den Gebieten an der Sprachgrenze entzündete und der die Monarchie in den letzten Jahrzehnten ihres Bestehens politisch lähmte. Letztlich ging es wie in allen Nationalitätenkonflikten darum, wer die älteren Anrechte auf bestimmte Gebiete hatte, die sich dann in der Wahrnehmung der Volksgruppen entweder als „Verteidigung gegen (schleichende) Tschechisierung“ oder „Beendigung Jahrhunderte währender Unterdrückung der tschechischen Nation“ bzw. „Rückabwicklung der Germanisierung“ manifestierte. Insgesamt sahen sich die Deutschen in der Monarchie aufgrund der politischen Entwicklungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in ihrer privilegierten Stellung bzw. dem Bestand ihrer seit Jahrhunderten bewohnten Siedlungsgebiete bedroht und zur Unterstützung der „Grenzlanddeutschen“ wurden sogenannte Schutzvereine gebildet, die bspw. deutschsprachige Schulen an Orten finanzierten, in denen (nunmehr) lediglich deutsche Minderheiten existierten, und die sich stark für das Deutschtum einsetzten. Diese stark national ausgerichteten, nicht selten auch bereits auf Basis völkischer Ideologie agitierenden, Vereine trugen gemeinsam mit der forsch auftretenden tschechischen Nationalbewegung zur immer weiteren Eskalation des Konflikts bei. Wie eingangs bereits geschildert war Wedras Vater in der Gemeindepolitik seiner Heimatstadt engagiert und zusätzlich in zahlreichen deutschen Schutzvereinen aktiv, etwa als Obmann der Littauer Ortsgruppe des „Bundes der Deutschen Nordmährens“ oder als Mitglied im „Deutschen Schulverein“ und weiterer nationaler Vereine.66 Die demografische Veränderung in seiner Heimatstadt nahm er als “Verlust der Heimat” wahr, wie er dies in verschiedenen Reden immer wieder eindrücklich darlegte67, und diese einschneidende Erfahrung war zweifellos die bedeutendste Triebfeder seines späteren politischen Handelns. Mit Sicherheit haben auch die politische Sozialisierung in einem deutsch-nationalen Elternhaus bzw. der väterliche Einfluss maßgeblich zu Wedras politischer (Vor-)Prägung als Deutsch-Nationaler beigetragen.

Wedra bezeichnet sich selbst als einen treuen Katholiken und wurde, insbesondere ob seines Einsatzes für die Eibesthaler Passionsspiele von Zeitgenossen daher zunächst politisch eher in der Nähe der Christlich-Sozialen gesehen. Zweifellos jedoch stets deutschbewusst – ganz dem damaligen Zeitgeist entsprechend – zeigt sich sein politisches Wesen erst eher spät. In einer medial vielbeachteten, wütenden Rede bei einer Volksversammlung im Vorfeld des Lehrertages des niederösterreichischen Landeslehrervereins 1901 in Klosterneuburg wetterte er heftig gegen die Schulpolitik der damals in Niederösterreich (inkl. Wien) regierenden Christlich-Sozialen bzw. deren Umgang mit den Lehrern. Die Schule war damals ideologisches Kampfgebiet, denn als „freisinnig“ bzw. „freiheitlich“ bezeichnete Lehrer (= Sozialdemokraten und Deutsch-Nationale) kämpften seit vielen Jahren dafür den Einfluss der Kirche aus den Schulen zurückzudrängen. Die christlich-soziale Partei, die der katholischen Kirche sehr nahe stand, nutzte ihren Einfluss um politisch anders gesinnte Lehrer zu maßregeln und trachtete deren Einfluss als Teil der Intelligenz auf dem Land einzuschränken. In der Lehrerschaft gärte es ohnedies bereits aufgrund sich seit Jahren verschärfender Missstände: schlechte Bezahlung im Vergleich zu anderen Beamten, der Einschränkung der Zuverdienstmöglichkeiten während der Ferienzeit, der unzureichenden Ruhestandsversorgung, und darüber hinaus empfanden die Lehrer, dass ihr oftmals vielfältiges gemeinnütziges Wirken in den Ortschaften (als Chronist, bei Raiffeisenkasse, Feuerwehr, Chormusik, …) zu wenig geschätzt und gewürdigt werde. Wedras wutentbrannte Rede entzündete sich insbesondere an einer kurz zuvor stattgefundenen Diskussion im niederösterreichischen Landtag in der es um die Maßregelung von Lehrerkollegen aus politischen Gründen ging und bei der seitens der Christlich-Sozialen eine Beschränkung der Lehrer in ihren Grundrechten (zB den Auftritt bzw. die Teilnahme bei politischen Veranstaltungen) angedacht wurde. Im Zuge dieser Debatte äußerten sich führende Christlich-soziale, darunter auch der Wiener Bürgermeister Lueger, abschätzig über die von den politisch motivierten Maßregelungen betroffenen Lehrer. Diese Ereignisse und deren mediale Darstellung in der christlich-sozialen Parteipresse brachte für Wedra das Fass zum Überlaufen und er traf mit seinen von großem Applaus begleiteten Ausführungen den Nerv zahlreicher Lehrerkollegen.68

Dieser erste öffentliche politische Auftritt Wedras markiert einen Wendepunkt in seinem Leben, denn er zog damit den Zorn einflussreicher Christlich-Sozialer auf sich und wurde in der dieser Partei nahestehenden Presse heftig angegriffen. Auch in seinem beruflichen Alltag dürfte er danach einigen Schikanen ausgesetzt gewesen sein. Der vielbeachtete Auftritt beim Lehrertag – seine Rede wurde in allen großen Zeitungen teils wörtlich wiedergegeben – hatte jedoch auch Konsequenzen für die von ihm initiierten Passionsspiele, denn die Christlich-Sozialen und die von ihnen beherrschten Medien wollten ihm sein Verhalten durch einen Boykott dieser Veranstaltung spüren lassen. Da der Ort viel investiert hatte, stand Wedra damit natürlich unter Druck, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass eben genau die Leser christlich-sozialer Zeitungen die maßgebliche Zielgruppe für „geistliche Festspiele“ waren.69 Die Saison 1901 endete jedenfalls mit einem Defizit und nachdem die Spiele von 1898 bis 1901 jährlich stattfanden, war das Pausieren in den Jahren 1902-1903 wohl auch eine Folgeerscheinung des Boykotts, und der Beginn eines unregelmäßigen Spielbetriebs in den Folgejahren. Diese Erfahrungen in Folge seines Auftritts beim Lehrertrag ließen ihn zweifellos zu einem entschiedenen Gegner der Christlich-Sozialen werden und festigte die in ihm, die wohl ohnedies bereits angelegte deutsch-freiheitliche Gesinnung.

Ende April 1906 wurde Wedra auf eigenes Ersuchen in den Ruhestand versetzt, aufgrund eines wohl durch Überarbeitung zugezogenen Nervenleidens („hochgradige Nervosität“).70 Allerdings erholte er sich aufgrund seiner guten Konstitution bald wieder und widmete sich fortan dem Aufbau seines Weinhandels, den er bzw. seine Gattin bereits seit 1904 betrieben.71 Er handelte nicht nur mit Weinen, sondern trieb auch seit einigen Jahren selbst Weinbau und baute seinen Besitz an Weingärten sukzessive aus.72 Entsprechendes Fachwissen dürfte er sich im Zuge seines eingangs bereits geschilderten Engagements im Kampf gegen die Reblaus schon in den 1890er Jahren angeeignet haben. Sein Weinhandel, mit dem er von 1910 bis Ende Juli 1924 im Handelsregister eingetragen war florierte73 und in der Folge ließ er die sogenannte Wedra-Villa samt einem großen Kellerei- und Weinhandelsbetrieb erbauen.

Nach seinem Übertritt in den vorzeitigen Ruhestand konnte sich Wedra auch ohne Furcht vor beruflichen Konsequenzen politisch engagieren und er wurde bei den Gemeindeausschusswahlen des Jahres 1906 als Gemeindebeirat in den Eibesthaler Gemeindeausschuss (=heutiger Gemeinderat) gewählt. Dieses Mandat übte er jedenfalls bis zu seiner Wahl in den Reichsrat im Jahre 1911, vermutlich jedoch sogar bis über diesen Zeitpunkt hinaus bis zum Ablauf der sechsjährigen Amtsperiode, aus. Nicht Listen oder Parteien, sondern einzelne Persönlichkeiten konnten damals gewählt werden, und somit spielten politische Ideologien insbesondere in kleinen Dörfern, wie etwa Eibesthal, faktisch keine Rolle.

Wedras politische Arbeit erstreckte sich zunächst auf die Betätigung in den deutschen Schutzvereinen, und so war er 1908 etwa an der neuerlichen Gründung einer Mistelbacher Ortsgruppe des „Deutschen Schulvereins“ beteiligt74, nachdem eine solche zuvor bereits in den 1890er Jahren für einige Zeit existiert hatte. Ebenso kam es im Frühjahr 1908 auch zur Gründung einer Ortsgruppe des “Bundes der Deutschen in Niederösterreich”75 und ab deren Gründung hatte Wedra das Amt des Obmanns inne76. Der Schutzverein „Bund der Deutschen in Niederösterreich“ war 1903 von Georg Ritter von Schönerer, dem Führer der radikalen Deutschnationalen, explizit zur Abwehr des tschechischen Einflusses auf Niederösterreich ins Leben gerufen worden. Wedra zählte jedoch nicht zu den Anhängern Schönerers, der sich übrigens bereits 1906 im Streit von diesem Bund trennte, und kann wohl eher zu den gemäßigten Deutsch-Nationalen gezählt werden. Als 1909 ein Gau (=Bezirksverband) des „Bundes der Deutschen in Niederösterreich“ für Mistelbach gegründet wurde, übernahm Wedra zunächst das Amt des Obmannstellvertreter auf Bezirksebene77, ehe er kaum ein halbes Jahr später bereits als Obmann genannt wird.78 Übrigens existierte auch eine selbständig organisierte Mädchen- und Frauen-Ortsgruppe in Mistelbach79, und 1910 gelang unter seiner Federführung auch die Gründung einer Ortsgruppe in Eibesthal, wobei Wedra hier lediglich die Funktion eines Beirates übernahm80. Obwohl Wedra auch einigen weiteren Schutzvereinen, etwa dem Schulverein Südmark, angehörte und sich in anderen lokalen deutsch-nationalen Vereinigungen (zB „Deutscher Ortsvolksrat Mistelbach“; regelmäßiger Redner beim Deutschen Turnverein Mistelbach) engagierte, bildete die Arbeit für den „Bund der Deutschen in Niederösterreich“, den Schwerpunkt seiner damaligen nationalen politischen Arbeit und aufgrund der Tatsache, dass er immer wieder auch als „Bundesrat“ tituliert wird, dürfte er wohl auch auf Verbandsebene Funktionen innegehabt haben.45

Der Brennpunkt des Nationalitätenkampfes im Bezirk Mistelbach war die Ortschaft Unter-Themenau in dem nur eine kleine deutsche Minderheit lebte. Nachdem neben den Deutschen hier ursprünglich vor Jahrhunderten angesiedelte Kroaten und Slowaken lebten, wuchs die Bevölkerung des Dorfes Ende des 19. Jahrhunderts massiv durch Zuzug tschechischer Arbeiter, die in der liechtensteinische Glasurziegelfabrik Arbeit fanden. Demgemäß sank der Anteil der deutschen Bevölkerung zusehends und lag zur Jahrhundertwende bei etwa zehn Prozent. Seitens deutsch-nationaler Kreise wurde der zunehmende Zuzug von Tschechen in diese (und andere) Grenzorte, die seit jeher Teil Niederösterreichs waren, als nationale Expansionsbestrebungen seitens der Tschechen gesehen. Als negatives Beispiel wurde Wien angesehen, wo die tschechische Bevölkerung über Jahrzehnte massiv angewachsen war und das gerade die Wiener Sokolvereine – die tschechisch-nationale Turnbewegung – im August des Jahres 1909 eine Großveranstaltung in Unter-Themenau abhalten wollten, wurde als Provokation angesehen. Für zusätzliche Brisanz sorgte die Tatsache, dass in Unter-Themenau kurz zuvor eine tschechische Schule errichtet worden war, der allerdings aufgrund eines Beschlusses der niederösterreichischen Landesregierung bald darauf das Öffentlichkeitsrecht entzogen wurde. Einem Unterstützungsaufruf der deutschen Vereine in Unter-Themenau folgend sollte zeitgleich zur Sokol-Kundgebung eine Gegenveranstaltung abgehalten werden, die sowohl von christlich-sozialen als auch deutsch-nationale Politikern unterstützt und besucht wurde. Auch Wedra beteiligt sich als Funktionär des „Bundes der Deutschen in Niederösterreich“ an der Organisation des Gegenprotests und nahm in seinem Heimatbezirk natürlich auch an vorderster Front teil. Die im Vorfeld befürchteten gewaltsamen Zusammenstöße blieben zwar aus, wohl aber nur aufgrund eines seitens des Mistelbacher Bezirkshauptmanns angeordneten massiven Gendarmerieaufgebots, dass die beiden Lager trennte. Dennoch entwickelte sich phasenweise eine sehr aufgeheizte und aggressive Stimmung und Wedra und seine Kollegen waren bemüht ihre Gefolgsleute zu beruhigen, um eine Eskalation zu vermeiden.81 Die deutsch-nationalen Schutzvereine und ihre Vertreter zeigten sich enttäuscht, dass nur etwa 600 Personen mobilisiert werden konnten, und empfanden den „Tag von Unter-Themenau“ als Niederlage. Allerdings dürfte diese „Niederlage“ bzw. generell die Berichterstattung über diesen Vorfall, als eine Art Weckruf gewirkt haben, der das Mobilisierungspotential für die „nationale Sache“ weit über die üblichen Kreise hinaus erweitert haben dürfte. Unter-Themenau (Poštorná) ist heute ein Vorort von Lundenburg (Břeclav) und musste 1919 gemeinsam mit Feldsberg, Garschönthal, Bischofswarth und Ober-Themenau (die allesamt seit Jahrhunderten ein Teil Niederösterreichs waren), gemäß dem Vertrag von St. Germain aus verkehrstechnischen Gründen an die neu gegründete Tschechoslowakei abgetreten werden.

Wedras oben geschilderte und auf vielfältige Weise erlangte Bekanntheit und das hohe Ansehen, das er weit über Eibesthal bzw. die Region um Mistelbach hinaus genoss, ließen in ihm weitere politische Ambitionen reifen. Durch das Ableben des christlich-sozialen Reichsrats- und Landtagsabgeordneten Ignaz Withalm aus Gaweinstal – ein Großvater des späteren ÖVP-Vizekanzlers Hermann Withalm – ergab sich unerwartet die Möglichkeit einer Kandidatur. Aufgrund des damals vorherrschenden Persönlichkeitswahlrechts, gab es im Gegensatz zum heutigen Listenwahlrecht, keine automatisch nachrückenden Mandatare und somit waren im Falle des Ausscheidens eines Abgeordneten Ersatzwahlen abzuhalten. Wie aus der Doppelfunktion Withalms hervorgeht, war es damals möglich sowohl dem Landtag als auch dem Reichsrat anzugehören und somit war auch eine gleichzeitige Kandidatur für beide Mandate möglich. Nachdem Withalm im September 1910 verstorben war, waren Ergänzungswahltermine für seine Wahlkreise (Landtag: Landgemeinden Mistelbach-Poysdorf; Reichsrat: Landgemeinden Mistelbach-Matzen) für das Frühjahr 1911 angesetzt worden. Doch schon vor der offiziellen Ausschreibung der Ersatzwahlen hatte sich Wedra als selbständiger deutsch-nationaler Wahlwerber in Stellung gebracht und hatte bereits im November 1910 mehrere Wählerversammlungen an verschiedenen Orten abgehalten.82 Seine politische Ausrichtung war zwar hinlänglich bekannt, aber er kandidierte ohne von irgendeiner Partei oder Wahlkomitees nominiert worden zu sein. Wedra wird im Zuge des Wahlkampfes teils als deutsch-sozialer83, aber mehrheitlich als deutsch-freiheitlicher Kandidat tituliert. Die unterschiedlichen politischen Strömungen innerhalb der Deutsch-Nationalen unterschieden sich etwa in ihrer Haltung zu einem eigenständigen österreichischen Staat bzw. zum Herrscherhaus, zur römisch-katholischen Kirche und der Ausprägung des Antisemitismus. Der permanente (zum Teil auch begriffliche) Wandel der sich innerhalb des nationalen Lagers vollzog und die Tatsache, dass sich die Fraktionen zum Teil in erbitterter Feindschaft gegenüberstanden, verunmöglicht eine konkrete politische Einordnung aus heutiger Sicht. Der Begriff „deutsch-freiheitlich“ diente damals wie auch heute noch als Überbegriff für die deutsch-nationale Bewegung mit ihren diversen Strömungen und Wedra kann, wenn man sein gesamtes politisches Wirken betrachtet, vermutlich als gemäßigter Deutsch-Nationaler bezeichnet werden.

Im Zuge des Wahlkampfs positionierte sich Wedra als Vertreter der Gewerbetreibenden, Kleinbauern, Lehrer und Beamten und seine Wahlkampfauftritte in den Wahlkreisen brachten ihm durchaus Zustimmung und Anerkennung. Obwohl er sich – für einen deutsch-nationalen Politiker ungewöhnlich, aber zu seiner Biografie natürlich passend – für den Religionsunterricht und religiöse Übungen in der Schule aussprach, stieß er auf starken Widerstand der in den ländlichen Gemeinden einflussreichen Geistlichkeit, die für den christlich-sozialen Gegenkandidaten, den Asparner Bürgermeister Josef Bogendorfer, warben.84

Rudolf Wedra im Jahr 1911, als er die große politische Bühne betrat

Nachdem der Reichsrat im Frühjahr des Jahres 1911 vorzeitig aufgelöst und Neuwahlen angesetzt wurden, war eine gesonderte Ergänzungswahl für das Mandat des Abgeordnetenhauses des Reichsrats nicht notwendig. Somit kam es im April 1911 lediglich zur Ersatzwahl betreffend das vakant gewordene Landtagsmandat und das Reichsratsmandat sollte im Zuge der für Juni anberaumten Neuwahlen nachbesetzt werden. Unabhängig von der Landtagswahl und deren späteren Ausgang meldete Wedra jedenfalls seine Kandidatur für die Reichsratswahl bereits Anfang April 1911 an.85 Vielleicht ist die Meldung der Kandidatur für den Reichsrat auch einem Eingeständnis der schlechten Ausgangslage für die Landtagswahl geschuldet. Denn trotz grundsätzlichen Wohlwollens sah er sich einer Übermacht der Christlich-Sozialen gegenüber und auch die Tatsache, dass er als selbständiger Kandidat keine organisierte Unterstützung hatte war ein gewaltiger Nachteil, aber auch eine lehrreiche Lektion in Sachen Wahlkampf. Dementsprechend fiel auch das Ergebnis der Landtagswahl im Landgemeinden-Wahlbezirk Poysdorf-Mistelbach aus: Wedra erhielt lediglich 75 von 4171 abgegebenen gültigen Stimmen, oder anders ausgedrückt 1,8%, während der christlich-soziale Kandidat Bogendorfer triumphierte.86

Nach diesem ernüchternden Wahlausgang erkannte Wedra, dass er sich unbedingt die Unterstützung der Wahlkomitees des traditionell in viele Fraktionen zersplitterten deutsch-nationalen Lagers sichern musste, um überhaupt Chancen zu haben. Natürlich bot die politische Gemengelage im Zuge der Neuwahl des Abgeordnetenhauses des Reichsrats eine völlig andere Ausgangslage als die auf einen Wahlkreis beschränkte Ersatzwahl und es bot sich die Möglichkeit Teil der großen Wahlbewegung des nationalen Lagers zu sein. Es gelang ihm schließlich in mühsamer Überzeugungsarbeit bei zahlreichen Wahlmännerversammlungen in der Region sich große Unterstützung zu sichern und im Zuge einer Versammlung der Deutsch-Nationalen Niederösterreichs, die am 19. April 1911 in Wien stattfand, wurde Wedra als Kandidat für die Reichsratswahl nominiert.87 Ursprünglich beabsichtigte er eine Kandidatur im  54. niederösterreichischen Reichsratswahlkreis (Landgemeinden Mistelbach-Matzen), dem vormaligen Wahlkreis Withalms, schließlich hatte er seinen bereits seit einigen Monaten laufenden Wahlkampf darauf ausgerichtet. Im Zuge dieser Nominierungsveranstaltung wurde er jedoch für den 38. Städtewahlkreis (Städte Mistelbach, Bruck/Leitha, Retz, Oberhollabrunn, Poysdorf, Zistersdorf, Hainburg, Feldsberg und Laa/Thaya) aufgestellt88 und wie hieraus klar ersichtlich ist, waren  Städte (und andere größere Gemeinden, wie zB Poysdorf) und Landgemeinden nach dem damals gültigen Wahlrecht in unterschiedliche Wahlkreise eingeteilt. Es galt das Mehrheitswahlrecht, also pro Wahlkreis wurde nur ein Abgeordnetensitz vergeben und zwar an jenen Kandidaten, der die absolute Mehrheit der Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte.

Durch den Wechsel des Wahlkreises hieß sein Gegner nun nicht Bogendorfer (der auch für den Reichsrat kandidierte), sondern Dr. Albert Geßmann – ein ganz anderes politisches Kaliber. Geßmann zählte zu den Gründern der christlich-sozialen Partei, gehörte seit 1891 dem Reichsrat an, war zeitweilig Minister gewesen und seit 1910 Führer des christlich-sozialen Verbands (=Klub) im Reichsrat. Geßmann hatte zwar keinen heimatlichen Bezug zu diesem Wahlkreis, war allerdings nach den umfassenden Änderungen des Wahlrechts und der Schaffung dieses Wahlkreises im Jahre 1907 hier mit großem Erfolg gewählt worden. Auch heute ist es noch üblich, dass die Spitzenkader einer Partei auf „sicheren“ Plätzen kandidieren und das Weinviertel galt als schwarzes Kernland und daher als eine Bank. Der Reichsratswahlkampf 1911 wurde auch auf lokaler Ebene mit erbitterter Härte geführt, und selbst die Mistelbacher Barnabiten mischten sich zugunsten der Christlich-Sozialen in den Wahlkampf ein. Es kam sogar zu Boykottdrohungen bzw. -aufrufen im Geschäftsleben der Stadt, und die Geschehnisse in diesem Wahlkampf hatten in Form mehrerer Privatanklagen schließlich ein gerichtliches Nachspiel.89

Ein Werbeeinschaltung für den Kandidaten Wedra im Mistelbacher BoteEin Werbeeinschaltung für den Kandidaten Wedra im Mistelbacher Bote90

Der erste Wahlgang am 13. Juni 1911 brachte nachfolgendes Ergebnis91:

Kandidat Stimmenanteil in %
Dr. Albert Geßmann (christlich-sozial) 46,3%
Rudolf Wedra (deutsch-freiheitlich) 37,1%
Adolf Laser (sozialdemokratisch) 16,6%

Nachdem es Geßmann nicht gelungen war die absolute Mehrheit zu erlangen, musste er in eine Stichwahl mit dem Zweitplatzierten Wedra, die am 20. Juni 1911 abgehalten wurde. Die aus dem Rennen ausgeschiedenen Sozialdemokraten mobilisierten nunmehr für Wedra, da ihnen Geßmann als Führer der Christlich-Sozialen besonders verhasst war und mit vereinten Kräften gelang es Sozialdemokraten und Deutschnationalen für eine Sensation zu sorgen.

Der zweite Wahlgang am 20. Juni 1911 brachte folgendes Ergebnis92:

Kandidat Stimmenanteil in %
Rudolf Wedra (deutsch-freiheitlich) 52,6%
Dr. Albert Geßmann (christlich-sozial) 47,4%

Insgesamt verlief die Wahl für die Christlich-Sozialen wenig erfreulich, doch die Niederlage des Parteiführers Geßmann im Mistelbacher Wahlkreis war ein Debakel und hatte mit dem Rückzug Geßmanns aus der Politik erhebliche Auswirkungen weit über den Regionalwahlkreis hinaus. Die Begeisterung von Wedras Anhängern über dessen Wahlsieg war riesig, viele Häuser in Mistelbach zeigten sich in schwarz-rot-goldenem Fahnenschmuck, und bei der abendlichen Siegesfeier im Hotel Rathaus wurde Wedra mit begeisterten Ovationen gefeiert. Die Eibesthaler Feuerwehrmusikkapelle zog mit Fackeln nach Mistelbach und brachte dem Wahlsieger mehrere Ständchen dar bzw. sorgte diese später für die musikalische Umrahmung der Feier. Doch auch in der Mistelbacher Gemeindepolitik hatte dieses politische Erdbeben Auswirkungen und führte schließlich zum Rücktritt von Bürgermeister Thomas Freund. Der ursprünglich Deutsch-Nationale Freund, der seit mehr als 20 Jahren das Amt des Bürgermeisters bekleidete, war im Zuge des Landtagswahlkampfes 1908 zu den Christlich-Sozialen übergetreten und vertrat diese seither im Landtag. Dieser Wechsel hatte natürlich für Unmut bei seinen früheren Gesinnungsgenossen geführt und seinen Rückhalt im Gemeindeausschuss geschwächt. Nach dem Wahlsieg Wedras musste Freund, der sich für seinen christlich-sozialen Parteikollegen Geßmann stark eingesetzt hatte, erkennen, dass er aufgrund der geänderten politischen Stimmungslage, nicht mehr das Vertrauen der Mehrheit im Gemeindeausschuss genoss und er zog hieraus die Konsequenzen.

Der Reichsratsabgeordnete Rudolf Wedra bei der Eröffnung der groß angelegten Feierlichkeiten zu "500 Jahre Bestätigung der Marktprivilegien der Stadt Laa" im Jahre 1912Der Reichsratsabgeordnete Rudolf Wedra bei der Eröffnung der groß angelegten Feierlichkeiten zu „500 Jahre Bestätigung der Marktprivilegien der Stadt Laa“ im Jahre 1912

Im Reichsrat schloss sich Wedra dem Parlamentsklub „Deutscher Nationalverband“, dem erst kurz zuvor gegründeten Sammelbecken der deutsch-nationalen Politiker im Reichsrat, an. Sein Betritt zu diesem Klub im Falle einer erfolgreichen Wahl, war übrigens Bedingung für seine Nominierung durch die oben erwähnte Wahlmännerversammlung gewesen. Allerdings gab es innerhalb dieses Verbands zahlreiche Untergruppierungen der unterschiedlichen deutsch-nationalen Strömungen und Wedra gehörte im Laufe seiner Tätigkeit als Abgeordneter verschiedenen Vereinigungen an:
Ab Oktober 1912 der jungdeutschen Vereinigung (die sich ab 1914 Deutschvölkische Vereinigung nannte) und ab September 1916 bis zu deren Auflösung im Oktober 1917 zusätzlich der „Deutschen Arbeitsgemeinschaft“ – einer Sammlungsbewegung innerhalb der Sammlungsbewegung. Das Ende der „Deutschen Arbeitsgemeinschaft“ läutete schließlich auch das Ende des „Deutschen Nationalverbands“ ein und es kam zu einer neuerlichen Aufsplittung des deutsch-nationalen Lagers, und in weiterer Folge zur Gründung der „Deutschnationalen Partei“, zu deren Gründern auch Wedra später zählte.93 Im Zuge der Konstituierung des Abgeordnetenhaus im Herbst des Jahres 1911 wurde Wedra in den Weinkulturausschuss und den Geschäftsordnungsausschuss gewählt.94

Wie bereits dargestellt war das deutsch-nationale Lager traditionell tief gespalten und Wedra beteiligte sich an Einigungsversuchen bzw. den Bestrebungen einen politischen Verband auf Landesebene zu schaffen. Daher beteiligte er sich 1913 maßgeblich an der Gründung des „Niederösterreichischen Volksbundes“ und war später auch dessen Obmann.95 1915 gelang dann ein bedeutender Schritt zu Einigung durch die Schaffung der „Deutsch-Nationalen Vereinigung Niederösterreichs“, innerhalb der sich die deutsch-freiheitlichen Parteien Niederösterreichs zusammenschlossen und bei dessen Gründung Wedra als Obmann gewählt wurde.96 Der Reichsrat wurde im Frühjahr 1914, also bereits vor Ausbruch des Ersten Weltkrieg, wegen Arbeitsunfähigkeit aufgrund der heillos zerstrittenen Abgeordneten der verschiedenen Nationalitäten, durch den Kaiser vertagt. Die Vertagung dauerte mit Ausnahme einer kurzen Phase im Frühjahr bzw. Sommer 1918 bis zum Ende des  Krieges bzw. der Monarchie an.

Nachdem sich der Zerfall der Monarchie bereits deutlich abzeichnete versammelten sich am 21. Oktober 1918 die 1911 gewählten deutschen Reichsratsabgeordneten zur konstituierenden Sitzung der „provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich“ im Niederösterreichischen Landhaus in der Wiener Herrengasse. Dieses Gremium schuf in den folgenden Wochen den neuen Staat Deutschösterreich (erst ab Herbst 1919: Österreich) in Form einer Republik, wählte eine provisorische Staatsregierung und traf Vorbereitungen für die konstituierenden Nationalversammlung, die ab Februar 1919 tagte.

Die provisorische Nationalversammlung am 21. Oktober 1918, wahrscheinlich handelt es sich bei der mit dem roten Pfeil markierten Person um Wedra (Foto: Charles Scolik jun.)Die provisorische Nationalversammlung am 21. Oktober 1918, wahrscheinlich handelt es sich bei der mit dem roten Pfeil markierten Person um Wedra (Foto: Charles Scolik jun.)

Bei der Wahl zur konstituierenden Nationalversammlung im Februar 1919 führte Wedra die Liste der deutsch-nationalen Kandidaten im Wahlkreis für das Viertel unter dem Manhartsberg (=das heutige Weinviertel) an. In der Republik galt im Gegensatz zur Monarchie das bis heute gültige Listen- und Verhältniswahlrecht und er wurde als einziger Vertreter der Deutschnationalen aus diesem Wahlkreis in die Nationalversammlung gewählt.97 Den Eibesthaler Wählern hat Wedra seine Wahl jedenfalls nicht zu verdanken, denn hier erhielt er lediglich 80 von 490 Stimmen, also knapp 16%, während die überwiegende Mehrheit christlich-sozial wählte.98 In der konstituierenden Nationalversammlung schlossen sich die deutsch-nationalen Abgeordneten, darunter natürlich auch Wedra, zum Parlamentsklub “Großdeutsche Vereinigung” zusammen, aus der im Sommer 1920 die Großdeutsche Volkspartei hervorgehen sollte. Nachdem die konstituierende Nationalversammlung das Bundesverfassungsgesetz 1920 beschlossen hatte und damit auf Bundesebene neue gesetzgebende Organe (Nationalrat und Bundesrat) geschaffen wurden, hatte die Nationalversammlung ihren Zweck erfüllt und wurde aufgelöst. Für die erste Nationalratswahl im Oktober 1920 verzichtete Wedra auf eine neuerliche Kandidatur und zog sich aus der Politik zurück.99

Karikatur aus dem sozialdemokratischen Blatt "Volksbote" im Jahr 1919Karikatur aus dem sozialdemokratischen Blatt „Volksbote“ im Jahr 1919100: Wedra „hoch zu Ross“ auf einem Spielzeugpferd im Kreise weiterer „illustrer“ deutsch-nationaler Abgeordneter (Viktor Wutte, Leopold Stocker, Leopold Waber, Hans Schürff). Besonders auffällig: das an der Seite baumelnde Programm „Autonomie von Mistelbach“ und der Fliegenpracker mit dem Schriftzug „Los von Wien“ in Anspielung an das Deutsch-Nationale Mantra „Los von Rom“.

Tatsächlich gehörte Wedra nicht nur dem Gründungsgremium der neuen Republik an, sondern auch der provisorischen Landesversammlung für Niederösterreich. Die Landesversammlung setzte sich aus den Landtagsabgeordneten, die bei der letzten Wahl 1908 gewählt wurden (allerdings ohne die ständischen Vertreter von Kirche, Großgrundbesitz und Handelskammern), und den bei der letzten Reichsratswahl 1911 in Niederösterreich gewählten Abgeordneten, zusammen. Insgesamt sollten der provisorischen Landesversammlung somit 120 Personen angehören, von denen sich allerdings zunächst lediglich 71 (unter ihnen auch Wedra) am 5. November 1918 zur konstituierenden Sitzung dieses Gremiums im Landtagssitzungssaal im niederösterreichischen Landhaus in der Herrengasse einfanden.101 Vordringlichste Aufgabe der provisorischen Landesversammlung war es, die bisherige landesfürstliche Verwaltung in die Hände einer zu wählenden Landesregierung, mit einem Landeshauptmann an der Spitze, zu übertragen.102 Neben der Klärung drängender Fragen, wie der Versorgung mit Nahrungsmitteln und der Grenzziehung zu den neuen Nachbarstaaten, war es außerdem notwendig eine Landtagswahlordnung zu beschließen und weitere Vorkehrungen für die Abhaltung einer Landtagswahl zu treffen. Nach Erfüllung dieser Aufgaben löste sich die provisorische Landesversammlung am 2. Mai 1919 damit und wenige Tage vor der Landtagswahl auf.103 Aufgrund seiner Zugehörigkeit zur provisorischen Landesversammlung zählte im Dezember 1918 zu den Gründern des deutschnationalen Landtagsklubs im niederösterreichischen Landtag und wurde zu dessen Schriftführer gewählt.104 Auch die Einigungsarbeit innerhalb des deutsch-nationalen Lagers setzte er in der jungen Republik fort und Wedra wurde in die vorläufige Leitung des „Zusammenschlusses der deutschnationalen Parteigruppen Niederösterreichs“ gewählt.105

Aus Anlass seines 60. Geburtstags beschloss der Eibesthaler Gemeinderat 1923 dem vormaligen Abgeordneten des Reichsrats bzw. der National- und Landesversammlung aufgrund seiner vielfältigen Verdienste um das Gemeinwohl in Eibesthal das Ehrenbürgerrecht zu verleihen106 und in Würdigung seiner erfolgreichen wirtschaftlichen Tätigkeit wurde ihm einige Zeit später außerdem der Titel eines Kommerzialrates verliehen.107

Nach dem Rückzug aus der Politik hatte sich Wedra wieder intensiv seinen Geschäften im Weinhandel gewidmet und er zählte im November 1923 zu den Gründern der „Österreichische Weinproduzenten und -händler Aktiengesellschaft“ (ÖWA), wobei er ab der Gründung auch dem Verwaltungsrat dieses Unternehmens angehörte. Zweck dieses geschäftlichen Zusammenschlusses zahlreicher bedeutender Weinhändler war die gemeinsame Erschließung neuer Absatzmärkte.108 Doch bereits im Mai 1924 schlitterte der Weingroßhändler Friedrich Teltscher, der maßgeblich an der „Österreichische Weinproduzenten und -händler Aktiengesellschaft“ beteiligt war, in die Insolvenz bzw. wurde er kurz darauf wegen des Verdachts auf betrügerische Krida festgenommen. Der gewaltige Finanzbetrug rund um Teltscher, bei dem es um zig Milliarden Kronen ging, und der damit verbundene Ausfall eines Hauptanteilseigners stürzte die ÖWA in erhebliche finanzielle Turbulenzen, und nur die Aufnahme von Krediten in Milliardenhöhe verhinderte den unmittelbar drohenden Zusammenbruch. Im Frühjahr 1925 wurde Wedra als Direktionsmitglied der „Österreichische Weinproduzenten und Händler AG“ eingetragen109, allerdings war absehbar, dass das Unternehmen, dass seit Anbeginn unter einer gewaltige Schuldenlast und einer gesamtwirtschaftlich schwierigen Lage litt, keine erfolgreiche Tätigkeit mehr entfalten würde. Es scheint vielmehr, dass versucht wurde die Firma geordnet zu liquidieren, was schließlich auch im Februar 1926 geschah.110

Wedra dürfte mit Teltscher auch abseits der ÖWA geschäftlich verbunden gewesen sein und er zählte wie viele andere zu den Opfern dieses Betrugsskandals. Durch die dabei erlittenen, offenbar massiven Verluste, schlitterte er selbst in die Insolvenz und über Wedras Vermögen und das seiner Gattin wurde schließlich im Herbst 1924 ein Ausgleichsverfahren eröffnet.111 Durch den bereits kurz zuvor erfolgten Verkauf seiner Eibesthaler Villa und der freiwilligen Versteigerung der Ausstattung seines Weinhandelsgeschäfts und seines Hausrates, in Verbindung mit erheblichem Forderungsverzicht seitens der Gläubiger, konnte schließlich ein außergerichtlicher Ausgleich erzielt werden und die über das Ehepaar Wedra eröffneten Ausgleichsverfahren wurden geschlossen.112 Seit Ende der 1930er Jahre befindet sich die Wedra-Villa samt Weinkellerei im Besitz der Fleischhauerfamilie Schöfbeck, und während der Weinhandel 1984 aufgegeben wurde, besteht der Fleischereibetrieb bis heute hier.113

Die wirtschaftliche Verflechtung eines ehemaligen deutsch-nationalen Politikers mit einem jüdischen Weinhändler, der durch betrügerische Machenschaften diesen in wirtschaftliche Schieflage brachte, sorgte bei den den (einstigen) politischen Gegnern für Spott und Häme. In den in diesem Zusammenhang erschienenen Artikeln wurde Wedra als strammer Antisemit oder gar als „Judenfresser“ dargestellt, und eine derartige Einstellung war unter den Deutsch-Nationalen tatsächlich eher die Regel als die Ausnahme. Dokumentierte antisemitische Agitation seitens Wedra wurde im Zuge der Recherche zu diesem Beitrag allerdings kaum vorgefunden114, von manchen Hardlinern wurde er allerdings gar als „Anhängsel“ von Juden dargestellt115 bzw. behaupteten christlich-soziale Blätter, dass nach deren Boykott (siehe hierzu weiter oben Wedras Auftritt in Klosterneuburg), die „Judenzeitungen“ für die Eibesthaler Passionsspiele geworben hätten um den Christlich-Sozialen (die sich damals auch explizit Antisemiten nannten) eins auszuwischen.116 Wie oben bereits geschildert profilierte sich Wedra vor allem im „Volkstumskampf“ mit den Tschechen und da sich die Juden in Böhmen und Mähren in der Nationalitätenfrage größtenteils als Deutsche bekannten könnte sie Wedra in diesem Kontext durchaus als wichtige Verbündete angesehen haben. In der Berichterstattung über Wedras Verwicklungen in diesen Betrugsfall finden sich auch Behauptungen, dass er für einige der lokalen Bankinstitute in Mistelbach (die von ihm mitbegründete Lehrer-Spar und Vorschusskasse – aus der später die Volksbank hervorgehen sollte – und die Raiffeisenkasse (Eibesthal und/oder Mistelbach?)) Gelder angelegt hätte, die nun ebenfalls verloren seien. Außerdem seien auch die Gelder einiger Bauernbündler verloren gegangen.117

Der Abschied Wedras aus Eibesthal im September 1924 war überschattet von dessen finanziellen Problemen und erfolgte völlig sang- und klanglos. Kein Bericht über eine offizielle Verabschiedung, keine Feier oder ähnliches – die einzige Spur ist eine Abschiedsanzeige im Mistelbacher Bote.118 Dies deutet daraufhin, dass der Pleitier Wedra durch seinen wirtschaftlichen Niedergang im Ansehen der Menschen stark eingebüßt hatte und vermutlich ist auch ein Zusammenhang mit jenen Geldern zu sehen, die angeblich im Vertrauen auf Wedra investiert und nunmehr verloren waren. Dies erscheint besonders bitter in Anbetracht der Tatsache, dass Wedra noch im Jahr zuvor mit großem Zeremoniell zum Ehrenbürger ernannt worden war, und seine Gattin wenige Monate zuvor im April 1924 noch als Glockenpatin bei der Weihe der neuen Kirchenglocken (Ersatz für die im Ersten Weltkrieg zur Rüstungszwecken abgelieferten Glocken) fungierte.119 Von politischen Gegner wurde sein hastiger und unrühmlicher Abschied gar als Flucht gedeutet vor jenen die im Zuge des Finanzskandals geschädigt worden waren. Nach seinem Abschied aus Eibesthal lebten Wedra und seine Gattin in einer Wohnung in der Wassergasse im dritten Wiener Gemeindebezirk.

Erstaunlicherweise findet sich Wedra kurz nachdem er selbst ein Ausgleichsverfahren über sich ergehen lassen musste, auf der von der Handelskammer herausgegebenen Liste der Ausgleichsverwalter und war hier für das Fachgebiet Weinbau bzw. -handel in der Periode 1925 bis 1930 gelistet.120 Tatsächlich dürfte er auch noch in der Folgeperiode auf dieser Liste gestanden habe, ehe er Wien 1933 verließ. Zwar sind seine Fachkenntnisse in diesem Gebiet unbestritten, aber dass jemand über den wenige Woche zuvor noch ein Ausgleichsverfahren eröffnet worden war, nun selbst als Ausgleichsverwalter tätig sein sollte sorgte für einige Irritation. Wohl nicht zu Unrecht wurde hier das Zuschanzen der durchaus lukrativen Tätigkeit als Ausgleichsverwalter für einen Gesinnungsgenossen vermutet.121 Vielleicht konnte er die Erfahrungen als Ausgleichsverwalter bereits einige Monate später im Zuge seiner Tätigkeit als Direktionsmitglied der hochverschuldeten „Österreichische Weinproduzenten und -händler Aktiengesellschaft“ einsetzen, schließlich ging es bei der Führung dieser Gesellschaft augenscheinlich auch um die geordnete Abwicklung des Unternehmens.

1928: Die letzte bekannte Aufnahme Wedras zeigt ihn im Kreise der noch lebenden Mitglieder des ehemaligen "Deutschen Nationalverbands" im Reichsrat - 10 Jahre nach der Republiksgründung1928: Die letzte bekannte Aufnahme Wedras zeigt ihn im Kreise der noch lebenden Mitglieder des ehemaligen „Deutschen Nationalverbands“ im Reichsrat – 10 Jahre nach der Republiksgründung

Als Rudolf Wedra und seine Gattin 1933 Wien verließen zogen sie zum Ehepaar Frank nach Hanfthal. Ihre Ziehtochter Therese hatte den Lehrer Rudolf Frank geheiratet, der seit 1923 als Oberlehrer in Hanfthal wirkte122 und an deren Wohnsitz im Hanfthaler Schulhaus fand das mittlerweile betagte und vermutlich zum Teil bereits pflegebedürftige Ehepaar Wedra nun Aufnahme. Der Schwiegersohn Rudolf Frank war als Sohn eines liechtensteinischen Hegers in Eibesthal aufgewachsen und einst selbst Schüler Wedras, und es scheint durchaus plausibel, dass er Einfluss auf dessen spätere Berufswahl hatte bzw. ihn auf seinem Weg zum Lehrerberuf unterstützte.

Nach langem schweren Leiden erlag Wedra am 15. März 1934 den Folgen einer Gehirnblutung und wurde zwei Tage später im Hanfthaler Ortsfriedhof beigesetzt.123 Trotz des eher unrühmlichen Abschieds aus Eibesthal wurde seitens des Eibesthaler Lokalberichterstatters ein seine Verdienste würdigender Nachruf im Mistelbacher Bote veröffentlicht.124

Im Zuge der Einführung offizieller Straßenbezeichnungen in Eibesthal im Jahre 1983 beschloss der Mistelbacher Gemeinderat die zur ehemaligen Wedra-Villa führende Zufahrtsstraße im Gedenken an den Initiator der Passionsspiele und Ehrenbürger Eibesthals Wedragasse zu benennen.

Wo befindet sich die Wedragasse (Eibesthal)?

 

Bildnachweise:
Portrait: biografischer Beitrag zu Wedra auf der Webseite des Österreichischen Parlaments
Passionsspielszenen:
Das interessante Blatt, 22. Juni 1899, S. 4 (ONB: ANNO)
Wiener Bilder, 31. August 1904, S. 4 (ONB: ANNO)
Portrait 1911: Das interessante Blatt, 29. Juni 1911, S. 5 (ONB: ANNO)
Feierlichkeit in Laa 1912: Fürnkranz, Dr. Rudolf: „Das große Fest 1912“, Kulturhefte Laa Nr. 6 (November 1988), S. 6
provisorische Nationalversammlung: Charles Scolik jun. – Das interessante Blatt, 31. Oktober 1918 (37. Jg. – Nr. 44), S. 3 (ONB: ANNO)
Karikatur: Volksbote – Wochenblatt für das Viertel unter dem Manhartsberg, 12. Juli 1919 (Nr. 28), S. 3
Wedra im Kreise der Mitglieder des ehemaligene Deutschen Nationalverbands: Wiener Bilder, 15. Juli 1928 (33. Jg. – Nr. 29), S. 11 (ONB: ANNO)

Quellen:
-) allgemeine Biografische Infos: Der Bezirksbote für den politischen Bezirk Bruck an der Leitha, 13. Jg. – Nr. 299 (16. Juli 1911), S. 2 (ONB: ANNO)
-) zur Reichsratswahl 1911: Fitzka, Karl: Ergänzungs- und Nachtragsband zur Geschichte der Stadt Mistelbach (1912), S. 206ff

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Sklenař, Försterfamilie

Von 1850 bis 1975, also 125 Jahre lang und in drei Generationen, bekleideten Mitglieder der Familie Sklenař das Amt des Mistelbacher Gemeindeförsters und waren somit für die Pflege einer der wichtigsten natürlichen Ressourcen im Besitz der Gemeinde verantwortlich. Nachfolgend eine kurze biografische Darstellung der Sklenař Förster und ihrer Leistungen im Dienste der Stadt. Obwohl sich auch der später in Mistelbach wohnhafte berühmte Bienenköniginnenzüchter Guido Sklenar ursprünglich Sklenař schrieb, bestand kein verwandtschaftliches Verhältnis zur gleichnamigen Försterdynastie. Auch bei der Försterfamilie ging der Hatschek im Familiennamen, der eine deutlich andere Aussprache signalisiert, im Laufe der Zeit jedenfalls in den schriftlichen Quellen „verloren“.

Martin Sklenař sen. (*1821, †1897125) stammte aus Holleschau in Mähren und war zunächst Forstgehilfe („Jägerjung“) bei der Herrschaft Asparn an der Zaya. Am 14. Oktober 1850 wurde er als Revierförster („Gemeindejäger“) bei der Gemeinde Mistelbach angestellt und ab Beginn des Jahres 1851 wurde ihm die Mistelbacher Jagd für die Dauer des Dienstverhältnisses unentgeltlich überlassen.126 Schon 1850 heiratete er Franziska Ehrenreich, die Tochter des Schafmeisters der Gutsverwaltung Asparn127 und das Ehepaar erwarb 1859 das Haus Wiedenstraße Nr. 14128. Nach dem Tod seiner ersten Gattin ehelichte Sklenař 1863 die aus Wilfersdorf stammende Kaufmannstochter Theresia Himmelbauer129 Mit Ende des Jahres 1894 trat Sklenař in den Ruhestand über und verstarb drei Jahre später.130

 

Martin Sklenař jun. (*1870131, †1940) folgte seinem gleichnamigen Vater beruflich nach und war ab 1884 zunächst als Praktikant und später als Adjunkt bei der Mistelbacher Forstverwaltung beschäftigt. Erste forstwirtschaftliche Prüfungen legte er 1888 ab132 und nachdem sein Vater Ende des Jahres 1894 in den Ruhestand übertrat, folgte er ihm als Leiter der Forstverwaltung nach.133 Im selben Jahr ehelichte er Magdalena Hofecker, die Tochter eines Mistelbacher Landwirts134 und gemeinsam erbauten sie im Jahr 1900 das Haus an der Adresse Oberhoferstraße Nr. 99, in dem später auch die Forstverwaltung untergebracht war. Zur Erinnerung an die einst hier wohnhafte Oberförster Martin Sklenař wurde 1978 der neben diesem Haus verlaufende Verbindungsweg zwischen Oberhoferstraße und Franz Josef-Straße mittels Gemeinderatsbeschluss „Försterweg“ benannt.135

Das Haus von Forstmeister Martin Sklenař jun. in der Oberhoferstraße Nr. 99, das an den Försterweg angrenzt, war bis 1957 auch Sitz der Forstverwaltung der Gemeinde. Der Hirschkopf über der Toreinfahrt weist noch heute auf den einstigen Wohnsitz des Gemeindeförsters hin.Das an den Försterweg angrenzende Haus Oberhoferstraße Nr. 99 – Wohnhaus von Martin Sklenař jun. und ehemals auch Sitz der Forstverwaltung

Der Kirchenberg diente einst als Hutweide und war daher in früherer Zeit nahezu ohne Baumbewuchs – also etwas was man gemeinhin als „Gstettn“ bezeichnet. Diese Bezeichnung für den Kirchenberg findet sich übrigens auch in Zusammenhang mit der einst hier befindlichen Wallfahrtskirche “Maria in der Gstetten” dokumentiert (siehe den Beitrag Mistelbach Wallfahrtsort). Erst nachdem das Areal, das sich einst großteils im Besitz der Fürstenfamilie Liechtenstein befand, der Gemeinde übergeben wurde, schritt man in den 1880er Jahren unter Federführung des Verschönerungsvereins zur Schaffung einer Parkanlage. Beginnend mit dem „Liechtenstein-Anlage“ benannten Park rund um die einstige Burganlage wurden zahlreiche Waldbäume, Akazien und Sträucher vom damaligen Forst-Adjunkt Sklenař jun. angepflanzt und von hier nahm die weitere Begrünung des Kirchenbergs ihren Ausgang.

Doch auch ein weiteres Naherholungsgebiet verdankt die Stadt Martin Sklenař jun. und zwar den Stadtwald – vor dem Zweiten Weltkrieg zumeist als Stadtwäldchen bezeichnet – der nach einer alten Flurbezeichnung auch Totenhauer (Wald) genannt wird. Dieser ist nicht zu verwechseln mit dem einige Kilometer weiter nördlich gelegenen großen Mistelbacher Gemeindewald, obgleich beide Gebiete durch einen langgezogene Grüngürtel entlang der Viehtrift (ebenfalls ein Werk Sklenařs) miteinander verbunden sind. Diese begriffliche Trennung ist insofern wichtig, da zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Stadtwald in seiner heutigen Form noch nicht oder lediglich als Jungwald existierte, auch der große Gemeindewald häufig als Stadtwald bezeichnet wurde. Das bebaute Stadtgebiet endete damals im Bereich der Steinernen Brücke (=Brücke beim Kreuzungsbereich Oberhoferstraße/Waldstraße/Grüne Straße) und nördlich davon, im Gebiet der heutigen Stadtwaldsiedlung, befanden sich ausgedehnte Viehweiden. Ähnlich dem Kirchenberg fanden sich daher auch hier einstmals kaum Sträucher oder Bäume und das weitläufige Weidegebiet wurde unter anderem durch die einst hier gelegene liechtensteinische Schäferei – den Schafflerhof – genutzt. Die Aufforstung des Totenhauers ist das Werk Sklenařs, der in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts beginnend dieses Gebiet sukzessive bepflanzte.136 Bereits 1904 hatte der hiesige Verschönerungsverein die Pflanzung einer Allee, vom Stadtrand entlang der Viehtrift über den Totenhauerwald hinaus zum Gemeindewald angeregt. 1906 wurde schließlich ein entsprechender Gemeinderatsbeschluss gefasst137 und die Durchführung erfolgte unter fachkundiger Leitung von Forstmeister Sklenař. Seither gibt es einen durchgängigen Grüngürtel der etwa ab der Kirche Maria Rast bis in den Gemeindewald führt. Einer gewissen Romantik bzw. einem gesteigerten Erholungsbedürfnis Rechnung tragend wurden Ausflüge in den Wald Ende des 19. Jahrhunderts sehr populär und somit ist die Schaffung des Totenhauer Waldes neben forstwirtschaftlichen Überlegungen, bestimmt auch aus diesem Gesichtspunkt zu betrachten. Die in der Folge immer zahlreicher werdenden Waldbesucher wollten auch verpflegt werden und deshalb eröffnete Forstmeister Sklenař im Juni 1906 in der im Besitz der Gemeinde befindlichen ersten Jägerhütte im Gemeindewald das Ausflugslokal „Restauration zur Waldhütte“, wo den Ausflüglern Getränke und kalte Speisen gereicht wurden.138 Schon bald etablierte sich jedoch die Bezeichnung Waldschenke für dieses Lokal139 und auch heute noch findet sich an dieser Stelle (so gerade ein Pächter vorhanden ist) eine Gaststätte mit demselben Namen. Die Waldschenke im Gemeindewald entwickelte sich in der Folge zu einem beliebten Ausflugsziel und der Deutsche Turnverein errichtete wenige Wochen vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs gleich neben dem Lokal einen Waldturn- und Spielplatz auf dem regelmäßig Turnübungen abgehalten werden sollten.140

Eröffnungsanzeige der ersten Waldschenke im Mistelbacher Gemeindewald aus dem Jahre 1906Eröffnungsanzeige der ersten Waldschenke im Mistelbacher Gemeindewald aus dem Jahre 1906141

Die von Sklenar begründete erste Waldschenke im Mistelbacher Wald unmittelbar nach ihrer Eröffnung im Jahr 1906Die von Sklenar begründete erste Waldschenke im Mistelbacher Wald unmittelbar nach ihrer Eröffnung im Jahr 1906

Die Waldschenke im Mistelbacher Wald - in der Bildmitte (rotes X) vermutlich Oberförster Martin SklenarLaut dem Buch „Mistelbach in alten Ansichten Band II“ angeblich die Waldschenke im Mistelbacher Wald etwa zu Beginn der 1910er Jahre. In der Bildmitte (rotes X) vermutlich Oberförster Martin Sklenař, rechts neben ihm in schwarz gekleidet Bürgermeister Freund

Dem aufmerksamen Beobachter werden einige Unterschiede zwischen den beiden obigen Fotos auffallen, obgleich sie das selbe Gebäude zeigen sollen und nur wenige Jahre zwischen deren Aufnahme liegen dürften. Nachdem die erste Aufnahme von einer im Jahr 1908 gelaufenen Ansichtskarte stammt, dürfte es sich um zweifellos um das ältere der beiden Bilder handeln, insbesondere da bei zweiterem Bild konkrete und gesicherte Anhaltspunkte zur Datierung fehlen. Nicht nur die Aufnahmeperspektive ist ein andere (darüber hinaus ist eine falsche Spiegelung eines der Bilder aber auch nicht auszuschließen), sondern jedenfalls auch betreffend den Dachstuhl sind Unterschiede augenscheinlich. Letztere lassen sich vermutlich durch einen Brand in der Waldschenke im Jahre 1909 erklären, in dessen Zuge der Dachstuhl der Hütte abbrannte und ein Mann in den Flammen auf tragische Weise ums Leben kam.142 Schwieriger zu erklären sind allerdings die Unterschiede in dem die Hütte umgebenden Baumbestand – die Bäume scheinen auf der oberen, älteren Aufnahme deutlich dicker und dichter zu sein, als auf der unteren, späteren Aufnahme. Auch erscheint das Gebäude auf dem obigen älteren Bild deutlich größer. Handelt es sich entgegen den Angaben im Buch „Mistelbach in alten Ansichten, Band II“143 beim unteren Bild vielleicht doch um ein Foto der zweiten, erst 1920 gegründeten Waldschenke im Totenhauer (der späteren Martinsklause)? Der junge Baumbestand könnte dies durchaus nahelegen. Die Beschreibung auf der unteren Ansichtskarte „Gastwirtschaft „zur Waldhütte“ im Mistelbacher Stadtwald“, ist aufgrund der oben geschilderten sehr wechselhaften Verwendung des Begriffs „Stadtwald“ leider nicht eindeutig. Zwar wurde ursprünglich die Jägerhütte im Gemeindewald als „Gaststätte zur Waldhütte“ bezeichnet, aber 1921 taucht die ansonsten unübliche Bezeichnung „Waldhütte“ auch einmal für die Waldschenke im Totenhauer auf.144 Eher unwahrscheinlich scheint hingegen eine weitere Möglichkeit nämlich, dass es sich bei der ersten Aufnahme mit der Beschreibung „Schutzhütte im Mistelbacher Stadtwald“ gar nicht um die erste Jägerhütte (=Waldschenke) im Gemeindewald sondern um eine andere (die zweite?) Jägerhütte im Gemeindewald handeln könnte.

Ab 1912 erhielt Sklenař jedenfalls auch die Konzession zur Durchführung von Personentransporten mittels großem Pferde-Stellwagen zu der von ihm gepachteten Jägerhütte im großen Wald.145 und das Fahrangebot war natürlich ebenso wie auch der Saisonbetrieb der Waldschenke auf den Zeitraum April bis September beschränkt. In dieser Zeit hatte die Waldschenke stets an Sonn- und Feiertagen, sowie teilweise auch wochentags geöffnet, wobei sich die Öffnungszeiten im Laufe der Jahre natürlich immer wieder änderten. Aufgrund seiner Verdienste bei der vollständigen Aufforstung der Viehtrift und der Grundstücke am Totenhauer wurde Sklenař seitens des Gemeindeausschusses 1912 der Titel eines Oberförsters samt einer Gehaltsaufbesserung verliehen. Für das Frühjahr 1913 wurden hochtrabende Pläne bezüglich des Neubaus einer Waldschutzhütte in Fitzkas Nachtrag- und Ergänzungsband zur Geschichte Mistelbachs angekündigt und zwar sollte diese Schutzhütte Platz für 500 Personen bieten.146 Vermutlich hätte diese anstelle der Waldschenke errichtet werden sollen, aber die Pläne für das Projekt, das hauptsächlich großteils über Spenden finanziert werden sollte, dürften sich bald zerschlagen haben und spätestens der wenig später entfesselte Erste Weltkrieg hätte einem derartigen Projekt wohl ohnedies ein Ende bereitet. Nach dem Ersten Weltkrieg setzte Oberförster Sklenař entlang des zum Totenhauer führenden Teils der Viehtrift im Abstand von je sieben Metern eine Eiche für jeden im 1. Weltkrieg gefallenen Sohn der Stadt. Ursprünglich war auch angedacht an die Bäume, wenn sie entsprechend groß gewachsen waren, Tafeln mit den Namen der Krieger anzubringen.147 Noch heute bestehen viele dieser regelmäßig angeordneten Eichenbäume im Grüngürtel entlang der Viehtrift, das Vorhaben diese mit Namenstafeln zu versehen wurde jedoch nie in die Tat umgesetzt.

Die Jägerhütte, die die alte Waldschenke beherbergte, wurde im Laufe der Jahre immer wieder neu errichtet, behielt dabei allerdings stets ihre rustikale Schlichtheit. Heute befindet sich an ihrer Stelle das 1958 fertiggestellte Forsthaus der Stadtgemeinde Mistelbach148 und durch die in diesem Gebäude untergebrachte Waldschenke lebt von die Sklenař begründete Tradition eines Ausflugslokals im Mistelbacher Wald seit bald 120 Jahren fort. Bis 1939 und somit über mehr als drei Jahrzehnte war Martin Sklenař jun. Pächter der Waldschenke, wobei er das Lokal teilweise durch einen seiner Heger führen ließ.149 Während seiner Dienstzeit stand Oberförster Sklenař, selbst begeisterter Waidmann, den jeweiligen Jagdpächtern stets als Jagdbetreuer und Fachmann für Wald und Wild zur Verfügung.

Nachdem das Stadtwäldchen nunmehr bereits gediehen war und als Naherholungsgebiet genutzt werden konnte, errichtete Oberförster Sklenař 1919 auf eigene Kosten und eigenem Grund eine Waldschenke im Totenhauer. Seitens der Gemeinde hatte man keine Einwände gegen eine zweite Waldschenke150, seinem Ansuchen dadurch die gemeindeeigene Waldschenke im Gemeindewald zu ersetzen bzw. diese an den Standort im Totenhauer zu verlegen stimmte man allerdings nicht zu.151 Somit gab es nunmehr zwei Waldschenken, denn auch jene im Gemeindewald wurde wie weiter oben beschrieben weiterhin von Sklenař gepachtet und betrieben. Zum oben bereits geschilderten missverständlichen Gebrauch des Wortes Stadtwald, gesellt sich nunmehr die Tatsache hinzu, dass die beiden Ausflugslokale denselben Namen „Waldschenke“ tragen, allerdings ist durch eine recht konsequente Verwendung der Zusätze Stadtwäldchen bzw. Totenhauer oder Stadtwald (Gemeindewald bzw. großer Wald) in er zeitgenössischen Berichterstattung zumeist nachvollziehbar um welchem Standort es sich handelt152 Nachdem Sklenař zunächst einen Erdkeller und darauf eine (Holz-)Hütte erbaut hatte153, konnte er seine Waldschenke im Totenhauer (den Vorläufer der späteren Martinsklause) im Mai endlich 1920 eröffnen.154

Der Totenhauer Wald und mit ihm die dortige Waldschenke wurden ein äußerst beliebter Ausflugs- und Veranstaltungsort (Vereinsfeiern, Konzerte, Sonnwendfeiern, …) 155, und sogar dem Kegelspiel konnte dort gefrönt werden.156 Trotz der Nähe zur Stadt wurden auch hierher Fahrten ab dem Hauptplatz angeboten. Wie geschildert befand sich dieses später erheblich ausgebaute Ausflugslokal – im Gegensatz zur Waldschenke im Gemeindewald, die  Sklenař weiterhin gepachtet hatte – in seinem Besitz und ab 1933 bis jedenfalls 1939 hatte er die Waldschenke im Totenhauer an den Gastwirt Filippinetti verpachtet157 Erst nach dem Zweiten Weltkrieg und vermutlich in Zusammenhang mit der Entwicklung vom Ausflugslokal zum vollwertigen Gasthaus im Gefolge der Errichtung der nahegelegenen Totenhauersiedlung Anfang der 1950er Jahre dürfte der Gasthof unter Bezugnahme auf seinen Begründer den Namen „Martinsklause“ erhalten haben.158 Jedenfalls dürfte die Martinsklause bis Ende der 1960er Jahre weiterhin im Besitz der Familie Sklenař gewesen sein.159

Die von der Familie Sklenar begründete Martinsklause in den 1960er JahrenDie von Martin Sklenař begründete Martinsklause in den 1960er Jahren

Mit Ablauf des Jahres 1934 trat Oberförster Martin Sklenař nach 40-jähriger Dienstzeit in den Ruhestand über und er verstarb nach längerer Krankheit am 24. Juni 1940 im 70. Lebensjahr.

Nachdem Sklenařs Verdienste ausführlich gewürdigt wurden, soll gegen Ende des Beitrags zu seiner Person noch ein Vorfall aus dem Jahr 1902 rund um einem Kirschendiebsthal thematisiert werden, der aufzeigt, dass der Oberförster selbst bei kleinen Eingriffen in seine Besitzrechte alles andere als zimperlich vorging. Als Sklenař, zufällig in Begleitung des Bürgermeisters und mehrerer weiterer Mitglieder der Gemeindevertretung, auf dem Heimweg aus dem Wald entdeckte, dass zwei Frauen aus dem ärmeren Teil der Bevölkerung, sich an von ihm gepachteten Kirschenbäumen bedienten, verlor er völlig die Fassung und verprügelte beide auf brutale Weise. Niemand aus der honorigen Begleiterschaft des Rasenden, versuchte diesen zu bremsen bzw. einzuschreiten, lediglich der zufällig an der Szenerie vorbeifahrende Gemeinderat Strasser versuchte erfolglos Sklenař zur Vernunft zu mahnen. Die Sache hatte ein Nachspiel vor dem hiesigen Bezirksgericht und im Zuge des von Sklenař angestrengten Prozesses wegen Diebstahls wurden zwar die beiden Frauen wegen einfachen Diebstahls zu geringen Arreststrafen verurteilt, allerdings wurde Forstmeister Sklenař aufgrund des Gewaltexzesses zu deutlich höheren Strafen (Arrest- und Geldstrafe), sowie zur Leistung von Schmerzensgeld und Übernahme der Prozesskosten verurteilt. 160 Diese Begebenheit ist (bislang) lediglich durch die Berichterstattung im sozialdemokratischen „Volksbote“, in der der Förster als eingefleischter Christlich-Sozialer dargestellt wird, dokumentiert und natürlich beinhaltet diese damit auch eine politische Komponente. Obwohl am grundsätzlichen Sachverhalt der Körperverletzung und der daraus folgenden Verurteilung wohl nicht zu zweifeln ist, ist insbesondere in Ermangelung weiterer Quellen, bei ideologisch aufgeladener Berichterstattung wie im vorliegenden Fall stets eine kritische Quellenwürdigung angebracht.

 

Ing. Oskar Sklenař (*1910161, †1998)
Nach der Pflichtschulbildung absolvierte Oskar Sklenař, der Sohn von Martin Sklenař jun., die einjährige Försterschule und daran anschließend die Höhere Forstlehranstalt für österreichische Alpenländer (=Forstakademie) in Bruck a.d. Mur. Nach der Forstpraxis in verschiedenen Forstbetrieben des Bezirks legte er im Herbst 1934 die Staatsprüfung für Forstwirte ab. Mit dem Beginn des Jahres 1935 folgte er seinem Vater als Leiter des Forstbetriebs der Stadt nach und übte dieses Amt, unterbrochen lediglich in den Jahren 1940-1945 aufgrund von Kriegsdienst und britischer Gefangenschaft, bis zu seinem Übertritt in den Ruhestand im Juni 1975 aus.162 1947 ehelichte Oskar Sklenař die Kriegerwitwe Katharina Franz (geb. Sobek) und gemeinsam mit seiner Gattin und deren Schwester Leopoldine Sobek lebte er im Haus Karl Fitzka-Gasse Nr. 9.

Während seiner Amtszeit erfolgte die Umstellung der Bewirtschaftung der Wälder von Brennholz- auf die Nutzholzwirtschaft und die Rationalisierung der Forstarbeit durch Einsatz von Maschinen und Einführung effizienterer Arbeitsmethoden. Als Forstfachmann war er über die Grenzen Österreichs auch in Deutschland anerkannt und immer wieder war der von ihm geführte Mistelbacher Wald, in dem auch von ihm geleitete forstwirtschaftliche Versuche durchgeführt wurden, Ziel von Exkursionen aus dem Ausland. Weiters war Sklenař als Experte für die Mittelwaldbewirtschaftung an der Entwicklung neuer forstwirtschaftlicher Maschinen beteiligt, etwa gemeinsam mit der Firma Heger. In Anerkennung seiner Verdienste wurde Ing. Sklenař 1971 schließlich zum Oberforstmeister ernannt.163
Neben seiner Tätigkeit für die Stadt Mistelbach war Ing. Sklenař jedenfalls von 1948 bis 1965 Forstverwalter der damals noch selbstständigen Gemeinde Hüttendorf.164 Außerdem war er über viele Jahre hinweg forstwirtschaftlicher Berater zahlreicher Agrargemeinschaften aus den Gemeinden rund um den Mistelbacher Wald (u.a. Kleinhadersdorf und Ketzelsdorf).

In seiner Freizeit engagierte sich Oberforstmeister Sklenař seit deren Gründung Mitte der 1950er Jahre in der Volkshochschule Mistelbach und wirkte dort als Leiter des Arbeitskreises Vorträge und Obmannstellvertreter. Für seinen Berufstand wenig überraschend war er auch als Waidmann aktiv, und damit ebenso wie seine Vorfahren Mitglied im Mistelbacher Schützenverein bzw. über einige Zeit auch Obmann dieser traditionsreichen Vereinigung. Darüber hinaus übernahm er auch Funktionen im niederösterreichischen Landesjagdverband.165

 

Das mittlerweile abgekommene Grab der Familie Sklenař auf dem Mistelbacher Friedhof (leider unter nicht optimalen Lichtbedingungen aufgenommen)Das mittlerweile abgekommene Grab der Familie Sklenař auf dem Mistelbacher Friedhof (leider unter nicht optimalen Lichtbedingungen aufgenommen)

Am 3. August 1998 starb mit Oberforstmeister Ing. Oskar Sklenař der letzte Vertreter der Mistelbacher Försterdynastie Sklenař.

Bildnachweise:
-) Haus Oberhoferstraße Nr. 99: Thomas Kruspel, 2018
-) Ansichtskarte der Waldschenke: Göstl-Archiv
-) Ansichtskarte der Waldschenke: Jakob, Christa/Steiner, Oskar: Mistelbach in alten Ansichten, Band 2 (2001), S. 67
-) Ansichtskarte Martinsklause (1960er Jahre) aus der Sammlung von Herrn Gerhard Lichtl, digitalisiert von Otmar Biringer
-) Portrait Martin Sklenař jun.: Fototafel „Gemeindevertretung 1900-1905“ – zwar gehörte er nicht der Gemeindevertretung an, aber der Gemeinde-Sekretär und der Gemeinde-Förster waren neben den Mitgliedern der Gemeindeausschusses (=damaliger Gemeinderat) abgebildet – StadtMuseumsarchiv Mistelbach
-) Portrait Oskar Sklenař: Wilhelm Mliko – Stadtmuseumsarchiv Mistelbach
-) Sklenař-Grab: Thomas Kruspel, 2018

Quellen:

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Feuerwehrgasse (Frättingsdorf)

In Frättingsdorf kam es erst 1909, und damit vergleichsweise spät, zur Gründung einer Freiwilligen Feuerwehr – siehe hierzu auch die zeitgenössische Berichterstattung über das Gründungsfest der Freiwilligen Feuerwehr Frättingsdorf vom 9. Juli 1909 im Beitrag Mistelbach in der Zeitung Teil 1 1903-1909. Zu diesem Zeitpunkt bestanden bereits in allen heutigen Katastralgemeinden von Mistelbach zum Teil schon seit vielen Jahren Feuerwehren, mit Ausnahme der besonders nahe gelegenen und eng mit Mistelbach verbundenen Orte Lanzendorf und Ebendorf, wo sich erst in den 1920er Jahren eigene Wehren bildeten. Die späte Gründung erstaunt umso mehr, da es sich doch bei Frättingsdorf um den einzigen Industriestandort unter den Katastralgemeinden handelte, der mit seiner Ziegelfabrik noch dazu einen Industriebetrieb von bedeutender Größe beheimatete bei dem Feuer einen elementaren Bestandteil des Produktionsprozesses bildete. Warum es in Frättingsdorf erst so spät zur Errichtung einer Feuerwehr kam, nachdem die Bezirkshauptmannschaft bereits 1906 die wenigen verbliebenen feuerwehrlosen Orte nachdrücklich zur Errichtung solcher Vereine aufgefordert hatte, ist unklar.166 Die Frättingsdorfer Feuerwehr wurde ab ihrer Gründung von der Familie Steingassner, den Besitzern der Ziegelfabrik, finanziell großzügig unterstützt und Frau Mizzi Steingassner, die Tochter des Firmenchefs, fungierte als Fahnenpatin bei der im Rahmen des Gründungsfests vorgenommenen Fahnenweihe.

Das erste Zeughaus der Freiwilligen Feuerwehr Frättingsdorf dürfte noch im Gründungsjahr errichtet worden sein und selbiges befand sich an der Kreuzung der heutigen Straßen Laternengasse und Marterlweg. Der damals etwas hinter dem Ort gelegene Standort dürfte wohl aufgrund seiner direkten Lage am Mistelbach und der dadurch einfach sichergestellten Versorgung mit Wasser gewählt worden sein.

Das alte Zeughaus der Freiwilligen Feuerwehr FrättingsdorfDas alte Zeughaus der Freiwilligen Feuerwehr Frättingsdorf

Ende der 1980er Jahren war man innerhalb der Frättingsdorfer Feuerwehr übereingekommen, dass ein den geänderten Anforderungen entsprechendes, modernes Zeughaus benötigt wird. Bald wurden die Planungen konkreter und betreffend die Standortfrage fiel die Entscheidung nach intensiven Diskussionen schließlich zugunsten einer Errichtung hinter dem alten Gemeindehaus an der Verbindungsgasse zwischen der Dorfstraße (Anton Haas-Straße bzw. Holzleitenstraße) und der Hintausstraße (Werkstattstraße) aus. Im Herbst 1990 konnte schließlich mit den großteils in Eigenregie vorgenommenen Arbeiten begonnen werden und im Verlaufe der etwa zweieinhalb Jahre währenden Bauzeit wurde auch die nebenan gelegene alte Gemeindescheune renoviert, die seither als zusätzlicher Lagerraum dient. 167

Das neue Feuerwehrhaus konnte schließlich im Mai 1993 feierlich eröffnet werden168 und im Jahr darauf wurde auch das alte Gemeindehaus abgebrochen und an seiner Stelle ein neues Gemeindezentrum mit Postamt und Nahversorger errichtet.169 Das alte Zeughaus wird seither als Lagerraum durch den Dorfverschönerungsverein genutzt.170

Das 1993 eröffnete neue Feuerwehrhaus von dem sich der Name der Feuerwehrgasse ableitetDas 1993 eröffnete neue Feuerwehrhaus von dem sich der Name der Feuerwehrgasse ableitet

Im Zuge der Einführung von Straßenbezeichnungen in Frättingsdorf beschloss der Mistelbacher Gemeinderat am 6. Mai 2002 der am Feuerwehrhaus vorbeiführenden Straße den Namen Feuerwehrgasse zu geben.171

Wo befindet sich die Feuerwehrgasse (Frättingsdorf)?

 

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Mühlweg (Siebenhirten)

Die älteste schriftliche Erwähnung dieses Weges findet sich laut dem umfangreichen Werk von Prälat Stubenvoll zur Geschichte Siebenhirtens auf einem Flurplan aus dem Jahr 1727 der ihn als „Schönmühlweg“ bezeichnet, um 1787 scheint er dann auch als „Millweg“ (“Mill” → Mühl) auf.172 Damit wird auch die Bedeutung dieses Weges, der zu den nächstgelegenen Getreidemühlen entlang der Zaya im Bereich Asparn und Hüttendorf führte, klar. Nachdem die Mühlen dort schon lange vor der ersten Erwähnung dieses Wegnamens bestanden und eine verkehrstechnische Anbindung an Getreidemühlen von großer Bedeutung war, kann zweifellos davon ausgegangen werden, dass der Weg unter diesem Namen bereits lange zuvor bestand. Bei der in einer Namensvariante erwähnten Schönmühle handelt es sich um den zwischen Hüttendorf und Asparn/Zaya gelegenen und heute als Lindenhof bekannten Gutshof, der über Jahrhunderte eine Getreidemühle war und noch heute als eines der am vollständigsten erhaltenen Mühlenensembles in diesem Abschnitt der Zaya gilt. Die Schönmühle stand bereits auf dem Gemeindegebiet von Asparn und befand sich (wie auch zahlreiche andere Mühlen flußauf- und abwärts) lange Zeit im Besitz der Familie Breuner – der Asparner Herrschaft.173 Diese verfügte in Siebenhirten zwar nur über sehr wenig Grundbesitz bzw. Untertanen, hatte aber dennoch das Landgericht und die Dorfobrigkeit für den Ort inne. Dieser Einfluss mag neben der räumlichen Nähe auch dazu beitragen haben, dass die an der Zaya gelegenen Mühlen der Herrschaft Asparn bevorzugtes Ziel der Getreidelieferungen der Siebenhirtner Bauern waren und sich so diese Bezeichnung etablierte. Der Mühlweg teilte sich außerhalb des Siebenhirtner Ortsgebiets in einen linken Zweig der über die Hohlwegkellergasse nach Hüttendorf führte und in einen rechten Zweig der zwischen Schön- und Entenfellnermühle in die Straße zwischen Hüttendorf und Asparn einmündete. Obwohl es auch direkt in Hüttendorf eine Mühle gegeben hat, dürfte wohl der letztgenannte Zweig der eigentliche und für die Namensgebung maßgebliche “Mühlweg” gewesen sein.

Auf obigem Ausschnitt aus der Josephinischen Landesaufnahme (der Niederösterreich-Teil entstand 1773-1881) ist der in seiner Nord-Süd-Ausrichtung relativ gerade verlaufende Verbindungsweg zwischen Siebenhirten und Hüttendorf in der Bildmitte erkennbar. Etwas dünner eingezeichnet, die Abzweigung, die zur Schön-Mühle führte (aus Sicht des Betrachters links daneben). Unter Anwendung einer höheren Zoomstufe ist erkennbar, dass entlang des Weges gleich außerhalb von Siebenhirten einige als (Wein)Keller zu deutende Gebäude verzeichnet sind. Dies ist insofern bemerkenswert als es sich um eine kleine Kellergasse gehandelt haben dürfte, von der heute keine Spur mehr besteht.

Die Bedeutsamkeit dieses Weges ist auch durch die Tatsache belegt, dass an dessen Kreuzung mit der 1870 eröffneten Staatsbahnstrecke ein Bahnwächterhaus (Nr. 36) samt einem beschrankten und für die Überfuhr mit Wagen tauglichen Bahnübergang errichtet wurde. Der ehemalige Mühlweg verlor später seine Bedeutung und dürfte der Kommassierung ab Mitte des 20. Jahrhunderts zum Opfer gefallen sein, denn heute besteht der Weg nicht mehr. Auch der Bahnübergang wurde stillgelegt und stattdessen etwas weiter nördlich beim Metzenweg eine sichere Bahnunterführung geschaffen. Im Zuge der Einführung von Straßennamen als Adressbezeichnung in der Katastralgemeinde Siebenhirten beschloss der Mistelbacher Gemeinderat am 7. März 2001 dieser nunmehr lediglich bis zur Bahnstrecke reichenden Gasse auch offiziell den überlieferten Namen „Mühlweg“ zu geben.174

Wo befindet sich der Mühlweg?

 

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Devenne, Bürgerfamilie

Am Schicksal des Mistelbacher Zweigs der Familie Devenne (in verschiedenen Schreibweisen überliefert: Devenna, De Venne, von der Venne, etc.) lässt sich über mehrere Generationen hinweg der Aufstieg und Fall einer wohlhabenden Bürgerfamilie im 17. bzw. 18. Jahrhundert beobachten. Die Mitglieder dieser Familie prägten Mistelbach  in ihrer Zeit nicht nur als Unternehmer und gewählte Gemeindevertreter (Ratsbürger bzw. Marktrichter), sondern darüber hinaus durch den Bau des Barockschlössls, dass der letzte Vertreter dieser Familie als seinen Wohnsitz erbauen ließ.

Michael Devenne (1611-1664)

Die Geschichte der Devenne in Mistelbach beginnt mit Michael Devenne, der als Apothekergeselle nach Mistelbach kam, wo er am 12. Mai 1641 Maria Schütz (Schücz), die Witwe des sieben Monate zuvor verstorbenen Apothekers Johann Baptist Schütz, ehelichte.175 Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gab es in Mistelbach eine Landschaftsapotheke, die von der damaligen politischen Vertretung des Landes – den Landständen – errichtet und betrieben wurde und die das östliche Weinviertel versorgen sollte. Diese befand sich zur Zeit als Devenne hierher kam im Besitz von Hans Simon Kelter (Khelter, Käldterer) und jedenfalls zu Beginn des 17. Jahrhunderts existierte auch eine zweite Apotheke im Besitz von Johann B. Schütz. Die Witwe Schütz war die Tochter des Apothekers Kelter und somit hatte Devenne durch die Eheschließung mit ihr nicht nur in eine Apotheke eingeheiratet, sondern hatte auch die Aussicht die Landschaftsapotheke seines Schwiegervaters mit seiner zu vereinigen. Im Zuge der einige Jahre dauernden Abhandlung der Verlassenschaft nach dem Tod von Kelter im Jahre 1646 dürfte dies auch so geschehen sein und in den folgenden Jahrhunderten bestand stets nur eine Apotheke in Mistelbach.176 Prof. Spreitzer mutmaßt wohl zu Recht, dass Devenne wahrscheinlich bereits einige Zeit bei seinem künftigen Schwiegervater oder dem ersten Ehegatten seiner Frau beschäftigt gewesen sein dürfte bzw. im Zuge der damals in vielen Berufen üblichen Wanderschaft nach Mistelbach gekommen war. Apotheken zählten damals als Gewerbe und beim Beruf des Apothekers handelte es sich also um einen Lehrberuf.

Michael Devenne wurde am 30. September 1611 in Regensburg protestantisch getauft und sein Vater Cornelius Devenne war zunächst Spitalsschreiber und später Spitalsverwalter und Stadtgerichtsbeisitzer in Regensburg. Der Großvater von Michael Devenne, der Maler Hieronymus Devenne, stammte aus der Stadt Mechelen im Herzogtum Brabant, damals Teil der im Besitz der spanischen Habsburger stehenden Niederlande (heute: Belgien), und hatte 1564 in eine Regensburger Bürgerfamilie eingeheiratet. Michael Devenne hatte neun Geschwister die allesamt angesehene Stellungen erlangten, und auch einer seiner Brüder, Cornelius jun., wurde Apotheker in Regensburg.177

Wappen der "Devene" aus Regensburg im großen Weiglschen Wappenbuch des Jahres 1734 - in den Farben rot und silber gehaltenWappen der „Devene“ aus Regensburg im großen Weiglschen Wappenbuch des Jahres 1734 – in den Farben Rot und Silber gehalten178

Aus der Ehe mit Maria, verwitwete Schütz bzw. geb. Kelter, entstammten drei Kinder: die 1643 geborene Tochter Anna Maria, die später im Alter von 16 Jahren den um 30 Jahre älteren Witwer und Oberbeamten der Liechtensteinischen Herrschaftsverwaltung in Wilfersdorf, Peter Antreich, ehelichte; den 1648 geborenen Sohn Martin Andreas – zu dem später noch ausführlich berichtet wird;  die 1651 geborene Tochter Susanna Elisabeth, die später Johann Martin Dracht, kaiserlichen Land- und Stadtgerichtsbesitzer zu Wien, heiratete. 1653 erwarben Michael und Maria Devenne das Haus Hauptplatz Nr. 5 (Konskr.Nr. 70), dass 1900 dem Bau des neuen Amtsgebäudes (Rathaus und Bezirkshauptmannschaft) weichen musste. Unklar ist, ob sich die Apotheke schon zuvor – eventuell eingemietet – hier befand bzw. seit wann, da leider Informationen zu den Standorten der Apotheke(n) in früherer Zeit fehlen. Wie eingangs beschrieben war der Apothekerberuf damals ein Gewerbe, doch gab es bereits damals erste Bestrebungen, die Qualifikation für diesen wichtigen Beruf zu vereinheitlichen und jede Apotheke musste von einem an der Universität geprüften Apotheker geführt werden. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte war es dann notwendig nach absolvierter Lehre, für eine gewisse Zeit auch Kurse an der Universität zu besuchen und Prüfungen abzulegen, ehe gegen Mitte des 19. Jahrhunderts das Pharmaziestudium als verpflichtende Berufsvoraussetzung geschaffen wurde. Auch Devenne unterzog sich am 4. November 1653 erfolgreich einer solchen Prüfung vor einem Gremium der medizinischen Fakultät der Universität Wien.

Das Haus Hauptplatz Nr. 5 (rotes X) in dem sich jedenfalls in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Apotheke befand.Das Haus Hauptplatz Nr. 5 (rotes X) in dem sich jedenfalls in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Mistelbacher Apotheke befand. Das Haus musste 1900 dem Neubau des Rathauses weichen. Das Foto zeigt den nördlichen Hauptplatz noch mit dem Alten Rathaus (heute Erste Bank), das 1874 abgebrochen wurde.

Am 11. Dezember 1664 wurde Michael Devenne179 in Mistelbach begraben und 1666 heiratete seine Witwe, nunmehr in dritter Ehe den dritten Apotheker und zwar Mathias Graß (Groß), der ebenfalls aus Bayern stammte.

Martin Andreas Devenne (1648-1701)

Martin Andreas Devenne wurde am 11. November 1648 in Mistelbach getauft180, nachdem sein Vater Michael Devenne, dessen Familie in Regensburg eigentlich evangelisch war, augenscheinlich zum katholischen Glauben konvertiert war. Laut den Angaben bei Spreitzer scheint er zum Zeitpunkt des Todes seines Vaters, also im Alter von 16 Jahren, bereits in der Lehre zum Kaufmann gestanden haben. Eine Ausbildung zum geprüften Apotheker dürfte er in der Folge nicht absolviert haben, wie später noch dargelegt werden sollte. Am 7. Februar 1673 ehelichte er, der im Trauungsbuch als Handelsmann bezeichnet wird, Maria Secunda, die Tochter des verstorbenen „kaiserlichen Traid- und Fleischaufschlagnehmers“ in Mistelbach Jacob Stepperger.181 Dieser Ehe entstammten zwölf Kinder, acht Söhne und vier Töchter, von denen allerdings wohl nur sechs Kinder überlebt haben dürften und als Taufpaten dieser Kinder fungierten die angesehensten und wohlhabendsten Bewohner der Stadt. Noch im Jahr ihrer Eheschließung erwarben Martin Andreas und Maria Secunda Devenne 1673 das Haus Hauptplatz Nr. 37 (Konskr.Nr. 56) (heute: Raiffeisenbank) samt den zugehörigen Gründen. Auf diesem Haus betrieb Martin Andreas Devenne sein Handelsgeschäft und da spätere Besitzer hier Eisenwarenhandlungen betrieben, liegt die Vermutung nahe, dass auch Devenne in diesem Geschäftsbereich tätig war bzw. diese Geschäftstradition begründete.182

Das Haus Hauptplatz Nr. 37 (rote Markierung) in dem Martin Andreas Devenne Ende des 17. Jahrhunderts eine Eisenwarenhandlung betrieb (heute: Raiffeisenbank)Das Haus Hauptplatz Nr. 37 (rote Markierung) in dem Martin Andreas Devenne Ende des 17. Jahrhunderts eine Eisenwarenhandlung betrieb (heute: Raiffeisenbank)

Nach dem Tod der Mutter und des Stiefvaters seiner Gattin erbte das Ehepaar Devenne das Haus Museumsgasse Nr. 3 (heute: Malermeister Bacher), samt zugehörigem Stadel, Garten und Ziegelstadel. Solche Ziegelstadel wurden einst dazu genutzt um luftgetrocknete Lehmziegel herzustellen, und damit dürfte der Grundstock für die spätere Tätigkeit der Familie Devenne im Bereich der Ziegelherstellung gelegt worden sein. Auch das Amt seines verstorbenen Schwiegervaters als Traid-(=Getreide-) und Fleischaufschlagseinnehmer (=Steuereinnehmer für diese Waren), dürfte er bald nach 1670 übernommen haben. Die Heirat mit der Tochter vorherigen Amtsinhabers und die Schwägerschaft mit dem Wilfersdorfer Oberbeamten dürfte ihn für dieses Amt empfohlen haben, wie Spreitzer vermutet.

Durch Erbschaft vermehrte sich sein Besitz neuerlich und zwar gelangte nach dem Tod seines Stiefvaters Graß sein Vaterhaus an der Adresse Hauptplatz Nr. 5 samt der dort befindlichen Apotheke in sein Eigentum und Martin Andreas Devenne wurde mit 24. Jänner 1685 zum Landschaftsapotheker in Mistelbach bestellt. Im Bestellungsrevers nennt er sich selbst einen fürstlichen Ratsbürger, und dies bedeutet er gehörte dem Marktrat (auch „Marktgericht“ genannt) an, dem damaligen gewählten Vertretungs- bzw. Verwaltungsgremium der Marktgemeinde. Da er selbst nicht über die entsprechende Ausbildung verfügte, verpflichtete er sich in diesem Dokument, die ihm durch Testament zugefallene Apotheke durch einen geprüften Apotheker als Provisor führen zu lassen. Im September 1687 verkaufte das Ehepaar Devenne schließlich das Haus Hauptplatz Nr. 37, auf dem es ein Handelsgewerbe geführt hatte, dem Eisenhändler Mathias Antreich aus Poysdorf. Die Devennes finden sich danach auf das von seiten der Familie der Gattin ererbte Haus Museumsgasse Nr. 3, dass bis 1704 im Besitz der Familie blieb. Neben seiner Tätigkeit als Apothekenbesitzer war Martin Andreas Devenne wirtschaftlich vielseitig tätig: um 1694 scheint er als Pächter der Mistelbacher Maut auf; bis 1698 hatte er auch den Handel mit Juchtenleder, dass insbesondere zur Herstellung von Schuhen und Stiefel genutzt wurde, inne; außerdem dürfte er wohl einen oder mehrere Ziegelöfen besessen haben, denn für den Bau des Barnabitenkollegiums (Kloster) lieferte er 1698 24.200 gebrannte Mauerziegel. Es gibt Hinweise, dass ihm der Ziegelofen, der sich einst am Standort des heutigen Stadtkindergartens in der Gewerbeschulgasse befand, gehörte.183  1699, im Zuge der Korrespondenz bezüglich einer Beanstandung seiner Führung der Apotheke nach einer Visitation, bekundete Devenne die Absicht sich solange einen Provisor für die Apotheke zu halten, bis sein Sohn (Ferdinand Maximilian) im medizinischen Studium soweit unterwiesen und von der Universität zur Führung entsprechend approbiert worden sei. Die korrekte Führung der Apotheke wurde durch den Viertelsmedikus Dr. Achazi und das Markgericht bestätigt und damit war die Angelegenheit erledigt.184

Martin Andreas Devenne verstarb im Alter von 53 Jahren und wurde am 30. September 1701 in Mistelbach zu Grabe getragen.185 Die Witwe und die jüngeren Kinder des Paares scheinen in der Folge nicht mehr in Mistelbach auf, weshalb angenommen werden kann, dass sich die hinterbliebene Gattin auswärts erneut vermählt haben dürfte.

Ferdinand Maximilian Devenne (1681-ca.1759)

Ferdinand Maximilian Devenne (oft auch nur Maximilian oder Max genannt) wurde am 2. Februar 1681 in Mistelbach getauft186 und durch eine Seuche, die im Frühsommer des Jahres 1686 binnen weniger Tage vier seiner Geschwister (darunter drei ältere Brüder) hinwegraffte, dürfte er schließlich zum ältesten überlebenden Sohn von Martin Andreas Devenne geworden sein.187 Ein medizinisches Studium, dass sein Vater in einer Korrespondenz mit der niederösterreichischen Landschaft im Jahre 1699 für ihn ins Auge gefasst hat, scheint sich nicht verwirklicht zu haben. Augenscheinlich interessierte er sich mehr für das Steuereinnehmeramt seines Vaters als für den Apothekerberuf und so ging die in der Familie vererbte Landschaftsapotheke nach dem Ableben von Martin Andreas Devenne schließlich 1702 in den Besitz des bisherigen Provisors über, der im Jahr darauf zum neuen Landschaftsapotheker bestellt wurde. In der Folge kam die Apotheke zunächst auf Haus Hauptplatz Nr. 23, bald darauf auf Hauptplatz Nr. 31 und um 1740 schließlich an ihren heutigen Standort Hauptplatz Nr. 36.188

Am 29. Jänner 1708 vermählte sich Maximilian Devenne in Mistelbach mit Anna Maria Eva, der Tochter des Petrus Georg Wadl aus Wilfersdorf und dieser Ehe entstammten acht Kinder. Von 1716 bis etwa 1723 scheint er mehrfach als Pächter der (Wasser-)gefälle entlang der Zaya im Abschnitt von Hüttendorf bis Wilfersdorf 189 auf. Er war damit berechtigt von den dort ansässigen Müllern Abgaben einzuheben. 1719 scheint er als “bestellter Weinaufschlag-Einnehmer”, also so etwas wie ein Zollabschnittsleiter für den Handel mit Wein.190 In den Jahren 1724 bis 1738 wird er mehrfach als Oberaufschläger angeführt und 1747 bzw. 1750 als „k.k. Ober-Collectant des Mistelbacher k.k. Aufschlagsamtes“ bezeichnet.191 Der Heimatforscher Franz Thiel berichtet unter Bezug auf Wilfersdorfer Herrschaftsakten davon, dass sich Devenne Steuergelder unterschlagen haben soll und 1750 daher mit Schimpf und Schande des Amtes als Steuereinnehmer enthoben wurde. Allerdings können die konkreten Gründe bzw. Umstände seines Ausscheidens aus dem Amt des Steuereinnehmers aufgrund der kryptischen Angaben bei Thiel kaum als endgültig geklärt betrachtet werden. (Ferdinand) Max Devenne kämpfte leidenschaftlich für sein Recht und führte im Laufe seines Lebens mehrere teils langwierige Prozesse. Über zehn Jahre hinweg zog sich etwa ein Rechtsstreit mit seiner Schwester Katharina in dem es um die Verlassenschaft nach seinem Vater ging.192 Aber insbesondere aus seiner beruflichen Tätigkeit als Steuereinnehmer ergaben sich zahlreiche Prozesse betreffend ihm vorenthaltener Abgaben und Mautgebühren. Um zurückgehaltene Aufschläge für Fleisch, Getreide und Pferde ging es auch in einem bereits seit längerer Zeit schwelenden Konflikt mit dem Barnabitenkolleg in Mistelbach, der ab 1738 vor Gericht ausgetragen wurde. Der mehrere Jahre währende Rechtsstreit ging schließlich zu Gunsten von Devenne aus, allerdings wurde dem Barnabitenkolleg letztlich ein Zahlungsaufschub bzw. eine Begleichung der Außenstände in kleinen Raten und über eine lange Laufzeit zugestanden. Schon zuvor gab es Grundstreitigkeiten zwischen Devenne und den Barnabiten, doch mit diesem Rechtsstreit bzw. dessen Ergebnis hatte Devenne den Unmut des Barnabitenordens auf sich gezogen, der 1743 gegen Devenne eine Klage einbrachte betreffend eines Grundkaufs durch seinen Vater der 60 Jahre zurücklag. Es handelte sich um einen mangelnde (grundbücherliche) Besicherung im Zuge des Ankaufs eines Ackers und die Causa endete in einem Vergleich im Zuge dessen Devenne auf einen Teil der gestundeten Schulden des Barnabitenkollegiums aus dem vorangegangenen Rechtsstreit verzichtete.191

Auch in der Gemeindevertretung, dem sogenannten Marktrat, war (Ferdinand) Max Devenne aktiv und scheint wie schon sein Vater (jedenfalls) 1724 als Ratsbürger auf.193 Die überlieferten Informationen zur Amtszeit der Marktrichter sind leider lückenhaft, für 1729-1734 und 1747-1748 ist (Ferdinand) Max Devenne jedoch jedenfalls als Mistelbacher Marktrichter überliefert. Dieses Amt brachte einen Interessenkonflikt mit sich, da der Amtsinhaber einerseits Oberhaupt der Marktgemeinde und damit Vertreter deren Interessen war bzw. andererseits Vollzugsorgan der Liechtensteinischen Grundherrschaft und dabei auch selbst Untertan war. Laut den von Thiel eingesehenen Akten der Herrschaft Wilfersdorf sollen sich die Mistelbacher 1732 darüber beklagt haben, dass der Marktrichter Devenne sein Amt eigennützig verwalte, sich bei jeder Gelegenheit Geld verschaffe, eigenmächtig Rechnung lege und Holz aus dem Gemeindewald beanspruche. Bedingt durch mangelnde Kontrolle waren Misswirtschaft und Veruntreuungen im Bereich der Gemeindefinanzen auch unter seinen Vorgängern und Nachfolgern verbreitet, doch dürfte Devenne selbst das damals übliche Maß überschritten haben. Bei einer weiteren Kandidatur für das Amt des Marktrichters im Jahre 1755 unterlag er einem Konkurrenten.

Devenne besaß mehrere kleine Zinshäuschen, Holzgärten, Weingärten, Wiesen und Äcker und verfügte auch über Grundbesitz in Wilfersdorf. 1724 errichtete er über einem ihm gehörigen Keller in der Museumsgasse ein Presshaus und erwarb in den Folgejahren die umliegenden Gründe bzw. gelang es ihm durch Ankäufe von hintaus gelegenen Gartengründen an der Nordseite des Hauptplatzes eine Verbindung zu seinem Haus Hauptplatz Nr. 5 herzustellen. 1731/32 erwirkte er bei der Marktgemeinde bzw. der Herrschaft für das Grundstück in der Museumsgasse und für die darauf aufzuführenden Aufbauten eine Befreiung von allen öffentlichen Lasten (Steuern, Abgaben, Robot, etc.). Im Gegenzug für dieses Privileg, damals als „Begabungsinstrument“ bezeichnet, verpflichtete sich Devenne zu einer Abschlagszahlung. Die Abgabenfreiheit hatte auch für sämtliche Besitznachfolger Gültigkeit und die Urkunde hierüber befand sich laut Fitzka noch im Jahre 1900 im Besitz von Frau Gspann, der damaligen Eigentümerin des Schlössls. Heute gilt dieses Dokument leider als verschollen. Spreitzer wies durch seine Veröffentlichungen zur Familie Devenne schlüssig nach, dass das Schlössl-Ensemble (Museumsgasse Nr. 4), bestehend aus Presshaus, Scheune, Stall, „Vorhöfl“, Wohngebäude und einer diese Gebäude umgebenden Einfriedungsmauer zwischen 1730 und 1740 von Maximilian Devenne erbaut wurde. Eine erste urkundliche Erwähnung des „neuen Wohngebäudes“ von Devenne stammt aus dem Jahre 1742.194 Den Bau des Schlössl als repräsentativen Sitz soll Devenne in der Hoffnung auf eine Erhebung in den Adelsstand errichten haben lassen, schließlich hatte es Devenne zu erheblichem Wohlstand gebracht und bekleidete zahlreiche (öffentliche) Ämter. Es war zweifellos praktisch, dass die Vorarbeiten für die Errichtung des Barockschlössls – die Grundkäufe von der Marktgemeinde bzw. der Herrschaft und die Abgabenbefreiung des Grundstücks – in jene Zeit fielen in der er als Marktrichter der Gemeinde vorstand.195

Laut Feststellung des Österreichischen Bundesdenkmalamtes aus dem Jahr 1963 wurde das Barockschlössl von einem durch den großen Barockbaumeister Johann Lucas von Hildebrandt beeinflussten unbekannten Barockbaumeister geschaffen.196 Doch liegt eine durchaus schlüssige These betreffend den Baumeister des Barockschlössls vor: Dr. Wilhelm Gegorg Rizzi vermutet das Franz Anton Pilgram der zur Zeit der Erbauung des Barockschlössls das nahegelegene Schloss Prinzendorf, ursprünglich als Konvent für den Kamaldulenser Orden konzipiert, erbaute, auch das Barockschlössl im Auftrag von Devenne geschaffen haben könnte. Es erscheint durchaus wahrscheinlich, dass der angesehene Barockbaumeister Pilgram, der über seinen Onkel auch in Kontakt mit Hildebrandt stand, die Gelegenheit für einen Nebenauftrag nutzte.197

Im Vordergrund das als "Jagdschlösschen" bezeichnete Barockschlössl samt den es umgebenden Wirtschaftsgebäuden etwa um 1910Im Vordergrund das als „Jagdschlösschen“ bezeichnete Barockschlössl samt den es umgebenden Nebengebäuden etwa um 1910

 

Ansicht aus dem Innenhof aufgenommen im Jahre 1952Ansicht aus dem Innenhof aufgenommen im Jahre 1952

 

Das Schlössl in der Außenansicht im Jahre 1952Das Schlössl in der Außenansicht im Jahre 1952

Bei Fitzka findet sich die mündlich überlieferte Information, dass schon vor dem Schlössl an selber Stelle ein bedeutendes Haus gestanden habe, in dem bereits Rudolf I. auf seiner Weiterreise nach der Marchfeldschlacht übernachtet haben soll.198 Leider wird trotzdem viele Dinge die bei Fitzka zu lesen sind, in den letzten 120 Jahren bereits widerlegt wurden, immer noch, auch in jüngster Zeit auf diese teilweise falschen bzw. veralteten Informationen zurückgegriffen. Spreitzer hat schon Ende der 1950er eindeutig nachgewiesen, dass das Schlössl auf einem zuvor “öden Flecken” erbaut wurde, und dass sich vor der Errichtung durch Max Devenne hier kein (herrschaftliches) Gebäude befand. Rudolf I. soll tatsächlich in Mistelbach gewesen sein, zumindest scheint seine Anwesenheit durch Zeugenschaft in einer Urkunde belegt, und sollte er tatsächlich hier übernachtet haben, dann wohl in der vor Jahrhunderten abgekommenen Burg neben der Pfarrkirche.199

 

Steinernes Wappen über den Eingang in den Hauptsaal des 1. Stockwerks im BarockschlösslSteinernes Wappen über dem Eingang in den Hauptsaal des 1. Stockwerks im Barockschlössl

 

Detailansicht des Wappens der Familie DevenneDetailansicht des Wappens der Familie Devenne (dieses entspricht der obigen Darstellung aus dem Wappenbuch)

Die oben beschriebenen kostenintensiven Rechtsstreitigkeiten bzw. der dabei errungene Pyhrrussieg im Streit mit dem Barnabiten und zweifellos auch die Errichtung des Schlössls dürften Devenne finanziell überfordert haben.200 Wahrscheinlich waren die sich abzeichnenden finanziellen Probleme auch der Grund für die Untreuevorwürfe betreffend seine Tätigkeit als Marktrichter und Steuereinnehmer. Devenne musste Teile seines Besitzes verkaufen und zuletzt sogar sein Silber an das Barnabitenkolleg versetzen um seine Schulden bedienen zu können. Schlussendlich sah er sich 1756, auch aufgrund seines bereits hohen Alters, dazu gezwungen auf die ihm gerichtlich zugesprochene (Rest)forderung gegenüber den Barnabiten zu verzichten, um das versetzte Silber wieder auszulösen. Das Ende des finanziell heruntergekommenen vormaligen Marktrichters Ferdinand Max Devenne liegt im Dunkeln – er dürfte 1757 oder 1758 verstorben sein, allerdings nicht in Mistelbach, denn in den Pfarrbüchern findet sich kein Hinweis mehr zu ihm.201

Um die hinterlassenen Schulden abdecken zu können, wurde am 31. Jänner 1759 der Beschluss gefasst die Verlassenschaft im Lizitationswege verkauft.202 Der Witwe gelang es zwar das Haus Hauptplatz Nr. 5 aus der Erbmasse herauszukaufen, der restliche Besitz (Ziegelofen (zu dessen Lage widersprüchliche Informationen vorliegen), Schlössl samt Garten, Äcker etc.) ging jedoch in fremden Besitz über. 1767 verstarb schließlich die Witwe Anna Maria Devenne und als ihre Universalerbinnen (Töchter oder Enkelinnen) scheinen Anna Maria und Johanna auf, die das Haus Hauptplatz Nr. 5 an die Familie Raffesberg verkauften. Diese beiden Personen, sind die letzten bekannten Nachfahren der Devenne, und sie treten später in Mistelbach nicht mehr in Erscheinung. Der Mistelbacher Zweig der Devenne dürfte also mit dem Tod des vormaligen Marktrichters Ferdinand Max Devenne ausgestorben sein. Aufgrund der damals variierenden Namensschreibweisen wurde immer wieder spekuliert, ob es sich bei wenig später in Mistelbacher Pfarrmatriken auftauchenden Personen mit dem Familiennamen Defeni (zB dem Maurermeister Johann Defeni) um Nachkommen der Devenne handelt.203 Tatsächlich kann eine Verbindung zur Familie Devenne ausgeschlossen werden.

Das Barockschlössl befand sich in weiterer Folge dann im Privatbesitz mehrere Liechtensteinischer Herrschaftsbeamter, und kam über die Familie Küttner, im Heiratsweg in den Besitz der Lehrerfamilie Gspann. Der Immobilienhändler und Gemeinderat Johann Burgmann sollte während des Ersten Weltkriegs im Auftrag der Sparkasse den Ankauf von den Erben der Familie Gspann verhandeln, schlug aber selbst zu und schied aufgrund dieses Vorfalls in weiterer Folge aus dem Vorstand der Sparkasse aus. 1929 erwarb die Sparkasse das Haus von ihm gegen einen Leibrentenvertrag204 Ab 1931 befand sich hier für viele Jahrzehnte das Mistelbacher Heimatmuseum, und später auch die Städtische Bücherei. Seit den 1980er Jahren dient das Barockschlössl als Zentrum für Kulturveranstaltungen. In der Sitzung vom 14. November 1974 beschloss der Mistelbacher Gemeinderat eine kleine Seitengasse in der erweiterten Stadtwald-Siedlung De Venne-Weg zu benennen.205

 

Wo befindet sich der De Venne-Weg?

 

Bildnachweis:
-) Fotos des Schlössls aus den Jahren 1952 und alte Ansichten Hauptplatz: Göstlarchiv
-) Ansichtskarten Barockschlössls (Jagdschlösschen) aus der Sammlung von Herrn Gerhard Lichtl, digitalisiert von Otmar Biringer
-) Wappen im Barockschlössl: Thomas Kruspel (2021)

Quellen:
-) Spreitzer, Hans: “Das Mistelbacher Museumsgebäude und die Devenna” – 7-teilige Beitragsreihe In: Mistelbacher-Laaer Zeitung, Nr. 18, 20, 22-25, 29/1957;
-) Spreitzer, Hans: „Von den Häusern, Straßen, Gassen und Plätzen Mistelbachs“ In: Mitscha-Märheim, Univ.-Prof.  Dr. Herbert (Hrsg.): Mistelbach Geschichte I (1974), S. 215f
-) Thiel, Franz: „Die Familie de Venna in Mistelbach“ (1965) In: Mistelbach in Vergangenheit und Gegenwart, Band I (1962-1969), S. 276, 278-281 (Anm.: die Angaben bei Thiel sind teilweise recht kryptisch und widersprechen in vielen Punkten den späteren Forschungsergebnissen von Prof. Spreitzer. Allerdings hatte Thiel bei seinen heimatkundlichen Forschungen in der Zwischenzeit auch Zugang zu Herrschaftsakten im damals in Wien befindlichen Hausarchiv der Fürstenfamilie Liechtenstein. Diese Bestände waren Spreitzer nicht zugänglich, da diese später für mehr als 60 Jahre im Fürstentum aufbewarht wurden und erst Anfang der 2000er Jahre nach Wien zurückkehrten.)

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Schwechater Bierdepot – Hausgeschichte Oserstraße 9

Ursprünglich stand an der Stelle an der sich heute die Elisabethkirche und die sie umgebende kleine Grünanlage befindet das Haus mit der Konskriptionsnummer 375 (altes „Hausnummer“-System) zu dem auch ein angrenzendes Gartengrundstück gehörte. Dieses Haus bestand jedenfalls bereits vor 1600 und laut alten Verzeichnissen (Urbarien) der Liechtensteinischen Herrschaft handelte es sich gemäß dem damals gebräuchlichen Kategorisierungsschema für landwirtschaftliche Güter um eine halbe Hofstatt.206 Häufig findet sich in der Literatur die Information, dass es sich bei einer Hofstatt um ein Haus mit wenig bzw. lediglich geringfügigem landwirtschaftlichen Grundbesitz handelt. Die Sache ist jedoch etwas komplexer, da damals für die Einstufung ausschließlich Ackerland berücksichtigt wurde und auch nur jenes welches sich im Gemeindegebiet befand. Sogenannte Überlandäcker, also etwa in angrenzenden Gemeinden gelegene Gründe, und auch Weingärten und Wiesen zählten beispielsweise nicht zum dabei berücksichtigten landwirtschaftlichen Grundbesitz. Insofern können alleine auf Basis dieser Einteilung kaum Schlüsse betreffend die wirtschaftlichen Verhältnisse der Eigentümer gezogen werden.

Gegenüber dem Haus Nr. 375 (bzw. der heutigen Elisabethkirche), an jener Stelle an der Mitte der 2010er Jahre eine Wohnhausanlage errichtet wurde, befand sich einst das alte Mistelbacher Spital, eine von den Herren von Mistelbach zu Beginn des 14. Jahrhunderts gestiftete Sozialeinrichtung, die bis 1932 existierte. Da sich auf den zum Spital gehörigen Gründen, die sich von der Gartengasse/Bahnstraße bis zum Beginn der Barnabitenstraße erstreckten, ansonsten lediglich Wirtschafts- und Nebengebäude befanden, vermutet Prof. Hans Spreitzer, dass es sich bei dem Haus das Gegenstand dieses Beitrags ist möglicherweise in früherer Zeit um die Dienstwohnung des Spitalsverwalters gehandelt haben könnte.207 Als ältesten Besitzer konnte Spreitzer den Kürschnermeister Niklas Müllner, der 1624 auf dieses Haus kam, ausfindig machen. Nach dessen Tod heiratete seine Witwe 1646 den aus Schlesien stammenden Kürschner Georg Klaiber (Kleber), der hier bis 1690 aufscheint. Danach folgte ab 1705 die Familie Selbach (auch Selba oder Selwach geschrieben), deren Vertreter sich zunächst als Schneider und später als Weinbauern verdingten und die laut Einträgen in den Pfarrmatriken bis Ende des 19. Jahrhunderts Besitzer dieses Hauses waren.208 1896 scheint hier schließlich laut einem Zeitungsinserat im „Bote aus Mistelbach“ der Anstreicher, Zimmer- und Dekorationsmaler Albert Voit auf, allerdings lässt dieses Inserat keine Rückschlüsse über die Besitzverhältnisse zu.209

Fitzkas Häuserverzeichnis listet das Haus im Jahre 1900 als Wohnhaus auf, dass zu diesem Zeitpunkt im Besitz des Kaufmanns und Gemeinderats Heinrich Westermayer stand, der jedoch auch andere Häuser in Mistelbach besaß und somit weder hier wohnte, noch sein Geschäft betrieb.210 Anfang des 20. Jahrhunderts wurde seitens der Gemeindeverwaltung ein Plan zur Regulierung bzw. zum Ausbau des Straßennetzes der Stadt gefasst. Zwecks Ausbau der Mitschastraße als südlicher Einfahrtsstraße sollte unter anderem der Abbruch der alten Elisabethkirche erfolgen, die sich nach heutigen Gegebenheiten etwa in der Mitte der Mitschastraße im Bereich zwischen Postamt und dem ehemaligen Lokal „Pizzeria Al Capone“ befunden hat, und an der sich die alte Mitschastraße vorbeizwängte. Auch die nahe gelegene Florianikapelle, die sich etwa im heutigen Kreuzungsbereich von Oser- und Mitschastraße befand, wurde aus diesem Grund abgebrochen. Die 1316 erbaute Kirche war Teil des bereits eingangs erwähnten Spitalskomplexes und bereits sehr baufällig. Um die Elisabethkirche nahe ihrem alten Standort wieder neu errichten zu können, hatte die Stadt das Eckhaus Mitschastraße Nr. 7/Oserstraße Nr. 9 (Konskr.Nr. 375) angekauft und ließ selbiges abtragen, um Platz für das neue Kirchengebäude zu schaffen. 1904 wurde die alte Elisabethkirche schließlich abgebrochen und bereits im Jahr darauf konnte der modern ausgeführte Neubau mit Unterstützung des Fürsten Liechtenstein, dessen Familie das Patronat über das Spital seit Jahrhunderten innehatte, fertiggestellt und 19. November 1905 feierlich geweiht werden. Auch die Errichtung einer kleinen Grünanlage rund um die Kirche war von Anbeginn vorgesehen. Der Rest des ehemals zum Haus Nr. 375 gehörigen Grundstücks wurde abgetrennt und sollte gemäß dem Beschluss des Gemeindeausschusses (=Gemeinderat) im Lizitationswege veräußert werden.211 Doch offenbar war das Interesse an dem Grundstück zunächst eher gering bzw. wollten sich offenbar nicht jene Gebote finden, die sich die Gemeinde erwartet hatte.212

Zwei Jahre dauerte es bis sich 1908 schließlich in der Person von Victor Mautner Ritter von Markhof, Mitglied der berühmten Industriellendynastie und Besitzer der St. Marxer Brauerei, ein Käufer für das Grundstück fand, der hier 1909 ein Bierdepot seiner Brauerei errichten ließ.213 Nachdem die Kirche keine reguläre Adresse zugeteilt bekam, wurde die zuvor im abgetragenen Eckhaus vereinte doppelte Adressbezeichnung, nunmehr aufgeteilt: Das Bierdepot erhielt die Adresse Oserstraße 9 und die Ende der 1920er Jahre auf einem unbebauten Grundstück rechts neben der Kirche errichtete Steinbauervilla sollte später die Adresse Mitschastraße 7 erhalten. Beginnend in den 1880er Jahren eröffneten Brauereien in größeren Gasthäusern an verkehrstechnisch günstig gelegenen Orten sogenannte Bierdepots. Die Gasthäuser verfügten in der Regel über die benötigte Kühleinrichtung in Form von großen Eiskellern und wurden Vertriebspartner der Brauereien, bei denen die Gastwirte aus der Umgebung ihren Bierbedarf deckten. Der Flaschenbierverkauf an Privatpersonen sollte erst später eine, und bei Gesamtbetrachtung eher untergeordnete Rolle, spielen. Um die Jahrhundertwende beherbergten also einige Mistelbacher Gasthäuser (zB.: Gasthaus Massinger/Panzer (heute: „GH zur Linde“), Gasthaus Putz (heute: Schillingwirt), Gasthaus Schnass (heute: Spiel-/Schreibwaren Harrer), Gasthaus Kainz (heute: „Krone Restaurant“)) Bierdepots von böhmischen und Wiener Brauereien.214 Noch im Jahr 1904 informierte der Besitzer des Gasthauses Schnass („Zum goldenen Hirschen“, Hauptplatz Nr. 16), dass er zusätzlich zur der seit vielen Jahren innegehabten Vertretung der Liesinger Brauerei, nun auch jene der St. Marxer Brauerei übernommen habe.215 Doch bereits im Februar des darauffolgenden Jahres hatte die St. Marxer Brauerei ein eigenständiges Bierdepot, das zwar im Hof des Gasthauses „Zum Schwarzen Adler“ untergebracht war, aber von der Brauerei selbst mit eigenem Personal betrieben wurde, eröffnet.216 Der „Schwarze Adler“ befand sich an der Adresse Kaiser Franz Josef-Straße Nr. 17 (heute: HypoNÖ) und augenscheinlich nutzte man den hier vorhandenen großen Keller ins sogenannte „Schwarzbergl“ (Erhebung zwischen Franz Josef-Straße und Bahnzeile) als geräumiges und kühles Lager. Einen weiteren Vorteil bot die Tatsache, dass sich nebenan die Spedition Eybel befand und somit auch regelmäßige Lieferungen vom bzw. Retouren ins Wiener Stammhaus möglich waren.

Eröffnungsinserat im „Bote aus Mistelbach“ im Februar 1905Eröffnungsinserat im „Bote aus Mistelbach“ im Februar 1905

Auf dieser 1910 gelaufenen Ansichtskarte ist links gerade noch der Schriftzug "(Bierdepot) der Brauerei St. Marx" erkennbar (siehe vergößertes Detail) und damit ist der Standort beim Gasthaus "Zum schwarzen Adler" in der Franz Josef-Straße auch bildlich dokumentiert.Auf dieser 1910 gelaufenen Ansichtskarte ist links gerade noch der Schriftzug (Bierdepot) „… der Brauerei St. Marx“ erkennbar (siehe vergrößertes Detail) und damit ist der Standort beim Gasthaus „Zum Schwarzen Adler“ in der Franz Josef-Straße auch bildlich dokumentiert.

Als Leiter des Depots, zunächst am Standort Franz Josef-Straße und ab 1909 in der Oserstraße, scheint jedenfalls in den Jahren 1907 bis 1910 Heinrich Kosnapfl auf.217 Kosnapfl stammte aus Wien und war ein Cousin von Helene Mautner von Markhof, geb. Kosnapfl, der Gattin des Brauereibesitzers. Er war begeisterter Musiker und im gesellig-musikalischen Leben der Stadt sehr engagiert, und auch einige Jahre später, als er bereits in einer anderen Niederlassung in Wien wirkte, scheint sein Name gelegentlich bei Berichten über musikalische Veranstaltungen auf, sodass die Verbindung zu Mistelbach über die Zeit seiner beruflichen Tätigkeit hier augenscheinlich hinausging.

Als nun das neue Bierdepot der Brauerei St. Marx an der Adresse Oserstraße Nr. 9 im Jahre 1909 errichtet wurde, wäre wohl anzunehmen, dass damit die ursprüngliche Niederlassung an der Adresse Franz Josef-Straße Nr. 17 aufgegeben wurde. Allerdings scheint noch im Jahre 1913, als die Brauereien Simmering, St. Marx und Schwechat zu den „Vereinigten Brauereien – Schwechat, St. Marx, Simmering“ und somit die Braudynastien Meichl, Mautner-Markhof und Dreher vereint wurden, ein Hinweis in den Gewerbemeldungen im Amts-Blatt der k.k. Bezirkshauptmannschaft Mistelbach auf, der nahelegt, dass die Gewerbeberechtigung für den alten Standort bis zum Zeitpunkt der Fusion aktiv bestanden haben dürfte. Auch die Brauerei Schwechat (damals noch Klein-Schwechat) hatte bereits ab 1906 ein Bierdepot in Mistelbacher und zwar im Gasthaus „Zum goldenen Hirschen“ der Familie Schnass an der Adresse Hauptplatz Nr. 16 (heute: Harrer) eingerichtet.218 Schon bald nach der Fusion wurden die Brauereien St. Marx und Simmering geschlossen und ab Mitte der 1930er Jahre war die Familie Mautner-Markhof im Besitz der Aktienmehrheit und in weiterer Folge wurde der Name des Unternehmens auf Brauerei Schwechat AG geändert.

Bereits in den 1920er Jahren erfolgten kleinere Grundzukäufe und zahlreiche Aus- und Zubauten am Depot in der Oserstraße, von denen jene des Jahres 1929 die bedeutendsten und umfangreichsten waren: es wurde eine Wohnung für den Depotleiter errichtet (später sollte noch eine weitere Dienstwohnung für einen der Chauffeure hinzukommen), ein Holzlager, eine Garage, sowie die Vergrößerung und Modernisierung des Kühlraumes vorgenommen. Diese baulichen Veränderungen dokumentieren auch den technologischen Wandel der damaligen Zeit: statt Eiskellern (und dazugehörigen Eisteichen außerhalb der Stadt) erfolgte die Kühlung nun durch elektrische Kühlanlagen und statt den Pferdeställen wurden Garagen errichtet, weil die Lieferfahrten statt mit Pferd und Kutsche nunmehr mittels Lastkraftwagen erfolgten. Schon im Jahre 1918 wurde eine Zweigniederlassung des Mistelbacher Bierdepots in Ernstbrunn eingerichtet219 und in den 1930er Jahren folgte eine weitere Niederlassung in Drösing. 1927 übernahmen die Vereinigte Brauereien Simmering – Schwechat – St. Marx auch die Brauerei Hütteldorf, die im Jahr zuvor ein eigenes Bierlager in Mistelbach und zwar angrenzend an das Gasthaus bzw. Hotel Putz-Filippinetti (heute Gasthaus Schilling) erbaut hatte und diese modernen Kühlräume gehörten nunmehr ebenfalls zum Mistelbacher Bierdepot. In weiterer Folge, möglicherweise nach dem Ausbau der Kapazitäten im Haupthaus im Jahre 1929, dürfte das Gebäude an das Gasthaus Putz-Filippinetti verkauft worden sein.

Das Bierdepot der Hütteldorfer Brauerei (rote Markierung) auf einer Aufnahme aus der zweiten Hälfte der 1920er JahreDas Bierdepot der Hütteldorfer Brauerei (rote Markierung) unmittelbar neben dem Gasthaus Putz-Filippinetti auf einer Aufnahme aus der zweiten Hälfte der 1920er Jahre (bei einer hochaufgelösten Version des Bildes ist auch die Inschrift Brauerei Hütteldorf zu erkennen)

Während der kurzen aber heftig geführten Kampfhandlungen in Mistelbach im April des Jahres 1945 wurde auch das Schwechater Bierdepot beschädigt, doch konnten die Schäden bald behoben werden und durch die in den folgenden Jahren vorgenommenen Schließungen der Zweigniederlassung in Ernstbrunn, des Bierdepots in Zistersdorf und des ebenfalls zum Konzern gehörenden Bierdepots der Brauerei Nußdorf in Poysdorf wurde der Mistelbacher Standort bedeutend aufgewertet.220 Am 18. August 1953 ereignete sich nachts ein großer Brand im Mistelbacher Bierdepot, der durch einen Kurzschluss in der Elektrik eines Steyr LKWs in der Garage ausgelöst wurde. Die Feuerwehren von Mistelbach und Lanzendorf kämpften gegen die Flammen, doch wurden die Löscharbeiten durch Verschlammung des Bachbetts der Mistel, aus dem das Löschwasser herbeigeschafft werden sollte, erschwert. Auch der Tankwagen der Besatzungsmacht war im Einsatz und nach 45 Minuten konnte der Brand schließlich gelöscht werden.221 Die Garage, mehrere LKWs und rund 1000 Liter Bier wurden vom Feuer zerstört und der großteils durch Versicherung gedeckte Sachschaden belief sich auf 170.000 Schilling. Nachdem ein Neubau der Garagen notwendig war, wurde der Anlass genutzt das Gelände des Bierdepot durch Grundzukäufe (im wesentlichen der Garten des Hauses Mitschastraße Nr. 7, damals noch im Besitz von Dr. Gustav Steinbauer) bedeutend zu erweitern und 1954 wurde der Garagenzubau und eine eigene Leergutrampe im hinteren Teil des erweiterten Geländes errichtet.

 

Anfang 1950er Jahre: Den Transport von der Zentrale in Schwechat in die Mistelbacher Niederlassung besorgte die ebenfalls in der Oserstraße ansässige Spedition Niecham Anfang 1950er Jahre: Den Transport von der Zentrale in Schwechat in die Mistelbacher Niederlassung besorgte die ebenfalls in der Oserstraße ansässige Spedition Niecham

 

Die Verladerampe vor dem Kühlhaus (heute Gastraum und Terrasse des Lokals) noch ohne dem später errichteteten Flugdach, etwa Anfang der 1950er Jahre vor dem Grundstückszukauf und dem GaragenzubauDie Verladerampe vor dem Kühlhaus (heute Gastraum bzw. Terrasse des Lokals „Altes Depot“) noch ohne das später errichtete Flugdach, etwa Anfang der 1950er Jahre vor dem Grundstückszukauf und dem Garagenausbau

 

Die Belegschaft des Schwechater Bierdepots in Mistelbach im Jahre 1966Die Belegschaft des Schwechater Bierdepots in Mistelbach samt Fuhrpark im Jahre 1966 – in der Bildmitte Depotleiter Franz Dirr, weiters auf dem Bild: Franz Degen, Friedrich Rieder, Lambert Pernold, Othmar Höfling, Johann Pfarrhofer, Josef Mewald, Josef Renzhofer, Josef Traupmann und Karl Stuiber

 

Das Schwechater Bierdepot war beim Festzug aus Anlass 100 Jahre Stadterhebung, im Jahre 1974 mit einer traditionellen Bierkutsche vertretenDas Schwechater Bierdepot war beim Festzug anlässlich 100 Jahre Stadterhebung im Jahre 1974 mit einer traditionellen Bierkutsche vertreten

 

1990: Außenansicht nach bereits erfolgter Schließung des Bierdepots1990: Außenansicht nach bereits erfolgter Schließung des Bierdepots

Als Depotleiter konnten neben dem oben bereits erwähnten Heinrich Kosnapfl (1907-1910), noch folgende weitere Personen in Erfahrung gebracht werden: Andreas Teis (1920), August Riedel (mind. 1923-1924)222, Johann Langer (1924-mind. 1937)223, Vinzenz Chmelicek (um 1953)224 und Franz Dirr (1964-1975) – allesamt keine Mistelbacher. Nachdem die Brauerei Schwechat 1978 Teil des Brauunion-Konzerns wurde, hatten unternehmensinterne Umstrukturierungen zur Folge das Ende Jahres 1989 das Bierlager geschlossen wurde. Mit der Eröffnung des Lokals „Altes Depot“ am 4. Oktober 1991 in den Räumlichkeiten des Schwechater Bierdepots sorgt Reinhard Kruspel dafür, dass die Biertradition dieser Örtlichkeit auf andere Weise fortgeführt wird.

Bildnachweis:
-) Hotel/Gasthaus Putz: zVg von Herrn Fritz Petsch
-) Bierkutsche Festumzug 1974: Stadtmuseumsarchiv Mistelbach (zVg von Frau Gerlinde Zodtl)
-) Außenansicht Bierdepot nach der Schließung: Göstl-Archiv
-) Franz Josef-Straße um 1910: Verlag A. Kapitan (Mistelbach) – Sammlung des Autors
-) sonstige Bilder: im Besitz von Herrn Reinhard Kruspel

Quellen:

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Grubenmühlstraße (Lanzendorf)

Entlang der Zaya existierten einst zahlreiche Mühlen und auf dem Gebiet der heutigen Großgemeinde Mistelbach befanden sich einige Getreidemühlen. Dazu zählte auch die Lanzendorfer Grubmühle die am Weg nach Ebendorf gelegen war und von der sich der heutige Name dieser Straße ableitet.

Westlich von Lanzendorf (vor der „Schiffermühle“) teilte sich die Zaya in zwei Flussarme: den Gießbach und den Mühlbach. Diese beiden nebeneinander verlaufenden Arme der Zaya vereinigten sich hinter der Ebendorfer Rohrmühle wieder in ein Bachbett, waren jedoch auf der Strecke des zweigeteilten Verlaufs immer wieder durch Kanäle miteinander verbunden. Heute verläuft die Zaya im Bachbett des einstigen Gießbachs und während der Mühlbach-Seitenarm im Gebiet der Katastralgemeinde Lanzendorf trockengelegt wurde, besteht dieser in Ebendorf bis heute und zweigt nunmehr unmittelbar nach der Misteleinmündung ab. Entlang dem heute nicht mehr existenten Lanzendorfer Teil des Mühlbachs, an der Adresse Grubenmühlstraße Nr. 29/31/31a-b (schräg vis-a-vis vom ehemaligen Gelände der Winzergenossenschaft), befand sich die Grubmühle.225 Die älteste urkundliche Erwähnung dieser Mühle findet sich in einem Urbar der Herrschaft Wilfersdorf und reicht zurück bis ins Jahr 1395. Aus einer Auflistung der Besitzer und Pächter der Grubmühle, erstellt von Hans Spreitzer, geht hervor, dass sich die Mühle auch immer wieder im Besitz von wohlhabenden Mistelbacher Bürgern befand und es dürfte sich um die „Hausmühle“ der liechtensteinischen Marktgemeinde Mistelbach gehandelt haben.226

Anfang des 18. Jahrhunderts wurde ein Wirtshaus nahe der Mühle errichtet, schließlich galt es für die Kunden der Mühle häufig Wartezeiten zu überbrücken. Doch auch Prostitution soll hier ausgeübt worden sein, zumindest laut den Schilderungen eines in den 1980er Jahren erschienen Buches über die Weinviertler Mühlen.227 Eine Angabe konkreter Quellen zu diesem „Nebengewerbe“ fehlt zwar in der Publikation, allerdings tauchen Mühlen, wohl auch aufgrund ihrer meist abgeschiedenen Lage, bis in die Antike zurückreichend immer wieder als Orte auf in deren Umgebung Prostitution ausgeübt wurde und allgemein galt der Berufsstand der Müller in früherer Zeit oft als anrüchig und ehrlos.228 Laut Mitscha-Märheim gehörte das sogenannte „Öhrlwirtshaus“ oder „Lamplwirtshaus“ im Gegensatz zu anderen (jüngeren) Darstellungen zunächst nicht zur Mühle, sondern war vom damaligen Besitzer der Herrschaft Ebendorf 1726 erbaut worden.229 Auch Spreitzer erwähnt es in seinem Beitrag zur Mühle nicht und somit dürfte außer der Nachbarschaft und gemeinsamer Kundschaft zunächst keine weitere Verbindung zwischen Mühle und Wirtshaus bestanden haben. 1815 kam die Mühle in den Besitz der Zayamühlen-Dynastie Binder (ihr gehörten auch die nachfolgend gelegene Schlossmühle und Rohrmühle) und 1826 erwarb der Müllermeister Johann Binder auch das Wirtshaus, dass er verpachtete. Das Wirtshaus hatte sich im Laufe der Jahre jedoch zu einem Treffpunkt von Kriminellen entwickelt und hier wurde auch mit aus der Mühle gestohlenen Erzeugnissen gehandelt. Durch diese für Geschäft und Ruf abträgliche Entwicklung sah sich Binder genötigt das Wirtshaus (vermutlich in den 1840er Jahren) abzureißen. 1874 übernahm Rupert Fürnkranz, ein Vertreter der Asparner Müllerdynastie Fürnkranz, die Mühle und nachdem er sie bereits 1885 offenbar erfolglos zum Verkauf angeboten hatte230, erwarb 1887 der Ebendorfer Gutsbesitzer Dr. Josef Ritter Mitscha von Märheim die Grubmühle. Dieser Kauf scheint strategischer Natur gewesen zu sein, denn Mitscha von Märheim ließ den Mahlbetrieb wenig später einstellen. Schließlich war er bereits zuvor in den Besitz der Schlossmühle gelangt und durch die Stilllegung der Grubmühle konnte ein Konkurrenzbetrieb in unmittelbarer Umgebung ausgeschalten werden und durch den Erwerb des mit der vorgelagerten Mühle verbundenen Wasserrechts war auch eine bessere Nutzung der Wasserkraft in der Schlossmühle möglich.

Der nunmehr Grubenhof genannte Gebäudekomplex wurde fortan zur Unterbringung von Saisonarbeitskräften der Gutsverwaltung des Schlosses Ebendorf genutzt und war zuletzt dem Verfall preisgegeben. Um die Mitte des 20. Jahrhunderts dürfte das Mühlgebäude schließlich abgetragen worden sein und auf dem Gelände wurden später zwei Einfamilienhäuser errichtet. Übrig blieb als einziger Teil des Mühlensembles ein altes rückwärtig gelegenes einstöckiges Wohnhaus, dass jedoch in der zweiten Hälfte der 2010er Jahre der Errichtung einer Wohnhausanlage weichen musste.

Zur Mühle gehörten einst Wohn- und Wirtschaftsgebäude (Stadel, Ställe, Keller), ein Teich und mehrere in einem Haus untergebrachte Fischtanks, Gärten, Wiesen und Äcker.231 Fotos der Grubmühle sind nicht überliefert, nachfolgend daher eine Darstellung der Grubmühle und der dazugehörigen Anlagen auf dem franzeischen Kataster aus dem Jahre 1821:

Auf der obenstehenden Abbildung sind der u-förmige Mühlhof (Nr. 1), das bis vor kurzem bestandene Wohngebäude (Nr. 2), die Gärten (Nr. 3) und der Teich (Nr. 4) zu erkennen. Die letztgenannten Einrichtungen (2-4) befanden sich auf einer Art Insel, da der rechte Seitenarm der Zaya knapp 200 Meter oberhalb der Grubmühle nochmals geteilt wurde. Der untere gerade und künstlich angelegte Bachlauf führte unter der Mühle hindurch und trieb das Mühlrad an, während der obere eigentliche, natürliche Bachlauf als Umlaufgerinne diente. Da das oben erwähnte Wirtshaus auf dieser Darstellung nicht erkennbar ist, stellt sich die Frage, ob dieses zuletzt vielleicht in den Gebäudekomplex des Mühlhofes integriert war.

Der Weg zwischen Lanzendorf und Ebendorf hatte abgesehen von der Verbindung dieser beiden Orte keine übergeordnete verkehrstechnische Bedeutung und war daher bis Ende des 19. Jahrhunderts kaum ausgebaut. Somit war die Grubmühle insbesondere mit Fuhrwerk einst nur von Lanzendorf aus erreichbar. Vor der Errichtung der Ebendorfer Schule besuchten die Ebendorfer Kinder die Schule in Lanzendorf und der schlechte Zustand dieses als Feldweges, der aufgrund der nahegelegenen Au oft sumpfig war und von dem man insbesondere im Winter leicht abkommen konnte, war ein Grund für die Errichtung einer eigenen Schule. Nachdem Mitscha von Märheim die Ebendorfer Schule 1880 auf eigene Kosten errichtet hatte, ließ er schließlich 1886 den Weg nach Lanzendorf befahrbar ausbauen und wandelte die umliegende Au in eine Parkanlage mit mehreren Teichen um.232 Obzwar die namensstiftende Mühle stets „Grubmühl“ hieß, wurde im Zuge der Einführung offizieller Straßenbezeichnungen in Lanzendorf der an ihrem einstigen Standort vorbeiführende Verbindungsstraße nach Ebendorf mit Beschluss des Mistelbacher Gemeinderates vom 27. Juni 1979 der Name „Grubenmühlstraße“ gegeben.233

Wo befindet sich die Grubenmühlstraße?

 

Quellen:

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