Alte Pfarrkirche von Eibesthal

Eibesthal dürfte seit der Etablierung diözesaner Strukturen in unserer Gegend im 11. Jahrhundert eine Filiale (später Vikariat) der Großpfarre Mistelbach gewesen sein, als solche scheint sie jedenfalls bereits in Urkunden aus der Mitte des 13. Jahrhunderts auf. Somit muss auch bereits früh eine Kapelle vorhanden gewesen sein, von der allerdings keine Spuren erhalten geblieben sind. Vermutlich bestand diese erste Kapelle aus Holz und wurde später durch einen massiveren Bau aus Stein an selber Stelle ersetzt. Diese wohl aus dem 14. Jahrhundert stammende steinerne Kapelle war im gotischen Stil erbaut und bildete später das Presbyterium (=Altarraum) des im Laufe der folgenden Jahrhunderte sukzessive erweiterten Kirchengebäudes. Am Presbyterium anliegend befand sich der ursprüngliche Kirchturm, der eine Glocke aus dem Jahre 1373 beherbergte. Vermutlich seit ihren Anfängen, jedenfalls seit dem Zeitpunkt als diese Glocke gegossen wurde, war die Eibesthaler Kirche der Heiligen Maria Magdalena geweiht.1

1661 wurde Eibesthal zur Pfarre erhoben, blieb jedoch weiterhin im Einflussbereich der Pfarre Mistelbach bzw. des fortan dort wirkenden Barnabitenordens. Die Fertigstellung einer ersten bedeutenden Erweiterung durch Anbau eines Mittelschiffs an die Kapelle dürfte 1675 erfolgt sein. In Zusammenhang mit diesen beiden Ereignissen dürfte die Neuweihe stehen, die zwischen 1666 und 1675 stattgefunden haben muss, und als neuer Kirchenpatron scheint nunmehr der Heilige Markus auf.2 Derartige Patronatswechsel sind zwar selten, allerdings auch nicht gänzlich ungewöhnlich (bspw. Patronatswechsel der Kettlasbrunner Pfarrkirche Ende des 18. Jahrhunderts). Die Hintergründe dazu sind  jedoch leider nicht überliefert. Da der Wechsel gerade in jene Zeit fällt als kurz zuvor der Barnabitenorden die Mistelbacher Pfarre und auch die Zuständigkeit für Eibesthal übernahm, lautet eine Theorie, dass die Neuweihe von den neuen Pfarrherren durchgesetzt wurde, da der Heilige Markus in Oberitalien, dem Ursprungsort des Barnabitenordens, besonders verehrt wurde.3 Die These, dass die Neuweihe und Änderung des Patroziniums Mitte des 17. Jahrhunderts mit der Rückkehr der Eibesthaler zum katholischen Glauben, nach einer kurzen Phase des Protestantismus, in Zusammenhang stünde, erscheint hingegen nicht schlüssig, da die Rekatholisierung Eibesthals jedenfalls bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts einsetzte und bereits einige Jahrzehnte vor der Neuweihe abgeschlossen gewesen sein dürfte. Somit scheint der notwendige zeitliche Zusammenhang nicht gegeben.4 Der Zeitpunkt der Neuweihe in Verbindung mit dem Umbau war allerdings wohl kein Zufall, denn vermutlich dürfte der alte Hauptaltar (den wohl das Bildnis Hl. Maria Magdalena zierte) für die vergrößerte Kirche nun zu klein gewesen sein, und da somit eine Neuanschaffung notwendig war, nutzte man diese Gelegenheit zum Wechsel des Kirchenpatrons. Die vormalige Kirchenpatronin wurde später in einem Glasfenster neben dem Seitenaltar verewigt5 und der ihr geweihte Altar möglicherweise als Seitenaltar weiterverwendet. Schon wenige Jahrzehnte nach dem Anbau des Kirchenschiffs wurde dieses um 1700 aufgrund des Platzbedarfs erneut erweitert und 1743 erfolgte schließlich der Zubau einer Sakristei.6

Der alte Kirchturm wurde aufgrund seiner Baufälligkeit zu einer Gefahr und als 1818 ein Teil des Turms einstürzte und auch das Gewölbe des Presbyteriums als einsturzgefährdet galt, wurde der Abbruch des alten und der Bau eines neuen Turms beschlossen und im Zuge dieser Arbeiten sollte das Kirchengebäude neuerlich ausgebaut werden. Das Gewölbe des Presbyteriums, dass beim Abbruch des Turms zum Teil einstürzte, wurde wiederhergestellt und das Gotteshaus durch einen Zubau an der rückwärtigen Seite erweitert, der eine Chorempore umfasste und über diesem Gebäudetrakt wurde der neue Kirchturm erbaut. Während der Bauzeit fanden die Gottesdienste zunächst kurzzeitig in der Sakristei und danach in einem Stadel statt und die Kirchenglocken wurden auf einem Gerüst auf dem Schenkberg aufgestellt. Im Zuge dieses Zu- bzw. Umbaus, der erst 1827 fertiggestellt werden konnte, wurde auch das Kirchendach mit Ziegeln neu eingedeckt (zuvor Holzschindeln). Der zunächst nur mit Schindeln gedeckte niedrige Helm des neuen Kirchenturm erhielt erst 1890 sein spitzes Blechdach und damit sein charakteristisches, den Ort bis zur Zerstörung 1945 prägendes, Erscheinungsbild.7 Bereits 1814 war der einst die Kirche umgebende Friedhof an seinen heutigen Standort, und damit außerhalb des damaligen Ortsgebiets, verlegt worden.8

Da das Mauerwerk der Kirche feucht war, hegte Pfarrer Franz Riedling schon zu Ende des 19. Jahrhunderts die Idee für einen Neubau. So sollten etwa auch die von Riedling initiierten Passionsspiele, die in Eibesthal in unregelmäßigen Abständen in den Jahren 1898 bis 1911 stattfanden, Mittel für einen Kirchenneubau lukrieren.9 Doch ließ sich dieses Vorhaben aus finanziellen Gründen schließlich nicht realisieren.

Die alte Pfarrkirche wie sie von 1890 bis zur ihrer Zerstörung 1945 aussah, hier auf einer Aufnahme aus den 1930er JahrenDie alte Pfarrkirche wie sie von 1890 bis zur ihrer Zerstörung 1945 aussah, hier auf einer Aufnahme aus den 1930er Jahren

 

Um 1935: Rückansicht der Pfarrkirche auf der der ältesten Teil des Bauwerks, das Presbyterium, gut erkennbar istUm 1935: Rückansicht der Pfarrkirche auf der der ältesten Teil des Bauwerks, das Presbyterium, gut erkennbar ist

Das Innere der alten Pfarrkirche wird in einem Zeitungsartikel anlässlich der Eröffnung des Nachfolgebaus wie folgte beschrieben10: „Die Kirche war kein Prachtbau, aber doch war sie uns lieb und vertraut. Wenn der Besucher in sie eintrat, fühlte er sich sogleich heimisch und geborgen. Der erste Blick fiel auf den in gotischem Stil gehaltenen Holzaltar, der im ältesten Teil der Kirche, dem Presbyterium, stand. Dieses war durch ein schmiedeeisernes Speisgitter vom breiteren Mittelschiff getrennt. Durch kleine Fenster, die rot und blau gemalte Bildnisse von Heiligen trugen fiel das Licht in den verhältnismäßig niederen Raum des Mittelschiffes. Weißgetünchte Wände, zwei einfache Deckengemälde, ein bunter Wandsockel gaben der Kirche ein sauberes Aussehen. Links und rechts an den Wänden standen je fünf Statuen, dazwischen die Bilder der Kreuzwegstationen und Gedenktafeln für die Gefallenen des Weltkrieges. An der linken Stirnseite des Mittelschiffes stand der Marienaltar, an der rechten die Kanzel. Unter dieser der Beichtstuhl, auf den eine sehr alte, wunderbar ergreifende Pietà gestellt war.“

Die Kämpfe in der näheren Umgebung von Eibesthal währten bereits zwei Tage als der Ort am 18. April 1945 vormittags durch „Stalinorgeln“ (Raketenwerfer) beschossen wurde und die Kirche erste Schäden erlitt. Am Tag darauf lag der Ort erneut unter Beschuss und kurz nachdem sich Truppenteile der Waffen-SS am frühen Nachmittag aus Eibesthal zurückzogen, schlugen plötzlich beim Choraufgang Flammen aus dem Kirchendach. An Löscharbeiten war während der andauernden Kampfhandlungen nicht zu denken und so kam es, dass das Gewölbe des Mittelschiffs und abends schließlich auch der Dachstuhl des Kirchenturms brennend in sich zusammenstürzten. Während das Presbyterium samt Hoch- und Marienaltar auf wundersame Weise verschont blieben, wurde alle sonstige Einrichtung: Bänke, Orgel, Bilder und Statuen ein Raub der Flammen. Die Monstranz mit dem Allerheiligsten konnte von Pfarrer Dr. Anton Brunauer-Dabernig noch rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden. Durch die Kampfhandlungen entstanden im Ort große Schäden und neben der Pfarrkirche wurden zahlreiche weitere Gebäude ein Raub der Flammen und unter der Zivilbevölkerung gab es Todesopfer zu beklagen. Wahrscheinlich durch verdeckte Glutnester brach drei Tage später erneut ein Feuer auf dem Dach des verschont gebliebenen Presbyteriums aus, das jedoch gelöscht werden konnte.11

Die ausgebrannte Kirche im Jahre 1945

 

Rückansicht der zerstörten Pfarrkirche mit Resten des Dachstuhls des PresbyteriumsRückansicht der zerstörten Pfarrkirche mit Resten des Dachstuhls des Presbyteriums

Die Kirchenruine war mit Schutt gefüllt und um sie herum lag eine Unzahl von zerborstenen Dachziegeln. Zunächst wurden die Sonntagsgottesdienste im Pfarrstadel abgehalten, bis die Dorfjugend vor dem Pfingstfest 1945 den Schutt aus der Ruine entfernte, sodass am Pfingstsonntag der erste Gottesdienst in der Kirchenruine stattfand. Auch ein Geläut wurde mit zwei Panzerplatten von Wracks im unteren Teil der Ruine des Turms improvisiert. Dieser Notbetrieb in der Ruine wurde für die schöne Jahreszeit aufrechterhalten, und ab Beginn des Winters wurde dann in einem leeren Klassenzimmer eine Notkapelle eingerichtet, die bis Ostern 1949 genutzt wurde.12

Die mit Schutt gefüllte Kirchenruine

Die mit Schutt gefüllte Kirchenruine

 

Das vom Schutt befreite Innere der zerstörten Kirche in der im Sommer 1945 wieder Messen unter freiem Himmel abgehalten wurden

Das vom Schutt befreite Innere der zerstörten Kirche in der im Sommer 1945 wieder Messen unter freiem Himmel abgehalten wurden

Mit dem Abtragen der Kirchenruine wurde im Frühjahr 1946 begonnen und im Mai 1946 war dies vollständig geschehen. Die Pläne für die neue Kirche wurden von Architekt Hans Plank und Prälat Jakob Fried ausgearbeitet und im Herbst 1946 wurde mit den Aushubarbeiten für die Unterkirche, die auch als Veranstaltungsraum dienen sollte, begonnen. Der eigentliche Baubeginn verzögerte sich aufgrund des in der Zeit des Wiederaufbaus herrschenden Baustoffmangels um eineinhalb (!) Jahre, und konnte erst im April 1948 erfolgen. Nachdem die Grundmauern der Unterkirche fertiggestellt waren, konnte am 29. Juni 1948 die Grundsteinlegung für den Bau der Kirche durch Prälat Fried, der die treibende Kraft hinter dem Kirchenneubau war, erfolgen. Ab dem Frühjahr 1949 konnten die Gottesdienste fortan in der bereits fertiggestellten Unterkirche stattfinden und nach ihrer Fertigstellung wurde die neuerbaute Pfarrkirche schließlich am 15. August 1951 durch Kardinal Innitzer geweiht.13

Die 1951 fertiggestellte neue Pfarrkirche von EibesthalDie 1951 fertiggestellte neue Pfarrkirche von Eibesthal

Bildnachweis:
-) sämtliche historische Fotos der Eibesthaler Pfarrkirche: Göstl-Archiv
-) Foto der neuen Pfarrkirche: Thomas Kruspel (2018)

Quellen:

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Leopoldine Sobek-Gasse

Schon seit langem waren die im Gebäude der beiden Neuen Mittelschulen (vormals Hauptschulen) in der Thomas Freund-Gasse für den Turnunterricht vorhandenen Räumlichkeiten unzureichend und aus Raumnot mussten viele Klassen auf die etwas entfernt gelegene Sporthalle in der Bahnzeile ausweichen. Durch die Errichtung eines neuen Turnsaals inkl. Freigelände in der nahegelegenen Gartengasse, der im Jahre 2006 eröffnet wurde, konnte diese Problematik gelöst und außerdem zusätzlicher Raum für die Sportvereine der Stadt geschaffen werden.14

Neben dem Turnsaal entstand eine von der Gartengasse abzweigende und parallel zur Oserstraße verlaufende Gasse mit vielen Parkplätzen und diese Gasse wurde mit Beschluss des Mistelbacher Gemeinderates vom 21. September 2004 nach der begeisterten Turnerin, und Mitbegründerin bzw. langjährigen Funktionärin der Sportunion Mistelbach, Leopoldine Sobek benannt.15

Wo befindet sich die Leopoldine Sobek-Gasse?

 

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Milchhausstraße (Kettlasbrunn)

Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich die Idee genossenschaftlicher Organisation schließlich auch in unseren Breiten durch und im Februar 1888 wurde in Ebendorf eine „Spar- und Darlehenskasse“ nach dem Vorbild des vom Genossenschaftspionier Friedrich Wilhelm Raiffeisen in Deutschland entwickelten Systems gegründet – der erste Zusammenschluss dieser Art im östlichen Weinviertel.16 Bald darauf kam es zur Gründung zahlreicher weiterer Raiffeisenkassen und auch in Kettlasbrunn wurde 1891 eine solche Institution gegründet.17 Im Gefolge dieser Gründungen wurde der Zusammenschluss in Form einer Genossenschaft von den Bauern nicht nur im Bereich der Finanzierung, sondern auch für die gemeinsame Vermarktung ihrer Erzeugnisse angewandt. Insbesondere für die Milchwirtschaft war diese Idee prädestiniert, da die Milch(-erzeugnisse) spezieller Lagerbedingungen (Hygiene und Kühlung) bedurfte und insbesondere da die Viehwirtschaft im Weinviertel, abseits herrschaftlicher Schäfereien in früherer Zeit, stets nur eine untergeordnete Rolle spielte und die einzelnen landwirtschaftlichen Betriebe nur wenige Milchkühe besaßen. Trotz dieser kleinen Strukturen war der aus dem Milchverkauf erzielbare Erlös ein willkommener Zuverdienst und in der engeren Umgebung schlossen sich 1889 in Eibesthal erstmals die Landwirte zusammen um ihre Milch gemeinschaftlich an Molkereien in Wien zu verkaufen.18

Spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten sich in allen heutigen Katastralgemeinden Mistelbachs Milchgenossenschaften gegründet. Die bisherige Annahme eine solche Gemeinschaft sei in Kettlasbrunn erst 1905 gegründet worden, kann durch das Aufscheinen einer hiesigen Milchgenossenschaft in einem Gewerbe-Adressbuch aus dem Jahr 1903, als widerlegt betrachtet werden.19 1905 wandelte sich diese erste Milchgenossenschaft zur Molkereigenossenschaft und es erfolgte deren Eintragung als „registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung“ im Genossenschaftsfirmenbuch beim zuständigen Gericht in Korneuburg.20 Eine Molkereigenossenschaft hatte über Sammlung, Lagerung und Transport der Milch zwecks gemeinschaftlichem Verkauf hinaus auch den Zweck und das Recht Milchprodukte (Butter, Käse, Molke) selbst herzustellen und zu vertreiben. Inwieweit die Herstellung von eigenen Milchprodukten überhaupt und insbesondere nach der Gründung der Mistelbacher Genossenschafts-Zentralmolkerei im Jahre 1927 wirtschaftlich war, ist jedoch fraglich. Aufgrund der oben bereits erwähnten besonderen Lagerbedürfnisse wurden allerorts eigene Milchhäuser errichtet und wie der Name bereits vermuten lässt, befand sich das Kettlasbrunner Milchhaus in der heutigen Milchhausstraße. Das erste (kleinere) Milchhaus, das wohl spätestens nach dem Wandel zur registrierten Genossenschaft entstanden sein dürfte, befand sich nächst der Einmündung in die Kettlasbrunner Hauptstraße und zwar rechterhand auf dem spitz zulaufenden Grundstück zwischen den Gerinnen von Kettlasbach und Gießbach, die unmittelbar dahinter zusammenfließen.

Blick auf Kettlasbrunn vom Kirchturm aus um etwa 1909: der Pfeil markiert das alte (ursprüngliche) Milchhaus, etwas verdeckt durch Bäume. Dieses befand bei der Einmündung der Milchhaustraße in die Kettlasbrunner Hauptstraße.Blick auf Kettlasbrunn vom Kirchturm aus um etwa 1909:
der Pfeil markiert das alte (ursprüngliche) Milchhaus, etwas verdeckt durch Bäume. Dieses befand bei der Einmündung der Milchhaustraße in die Kettlasbrunner Hauptstraße.

Doch bald darauf, jedenfalls spätestens Anfang der 1920er Jahre21, wurde auf der anderen Seite dieser Straße und zwar an der Ecke zur Herrenzeile ein neues deutlich größeres Milchhaus errichtet. Aus naheliegenden Gründen wurden in den 1950er Jahren die Gebäude der Gemeinschafts-Kühlanlage des Ortes nebenan errichtet.22 Zwar war die Milchwirtschaft im Weinviertel grundsätzlich stets von untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung, allerdings ist an nachfolgender Statistik zum Rinderbestand in Kettlasbrunn deren Aufschwung zu Beginn des 20. Jahrhunderts und ebenso der später folgende völlige Bedeutungsverlust gut ablesbar23:

Jahr Rindviehbestand in Kettlasbrunn
1834 171
1934 517
1981 36
1987 6

Die umfassenden Umwälzungen, die sich in der Landwirtschaft ab den 1960er Jahren vollzogen, läuteten langsam aber sicher auch das Ende der Milchwirtschaft als Nebenerwerbszweig vieler Betriebe ein und die Milchgenossenschaften lösten sich meist in den 1970er bzw. 1980er Jahren auf. Auch die beiden Kettlasbrunner Milchhäuser existieren heute nicht mehr: an der Stelle des „neuen“ Milchhauses, dass etwa 1989 abgebrochen wurde, steht heute ein Wohnhaus und an der Stelle des „alten“ Milchhauses befindet sich seit einigen Jahren der „offene Bücherschrank“ und ein Rastplatz.

Das Das „neue“ Milchhaus an der Einmündung der Milchhausstraße in die Herrenzeile im Jahr 1980 als die Milchgenossenschaft bereits aufgelöst war. An der Fassade ist schwach noch der Schriftzug „Gegründet im Jahre 1906“ zu erkennen. Wie durch mehrere Quellen jedoch eindeutig belegt, erfolgte die Gründung tatsächlich bereits 1905. Möglicherweise wurde das alte Milchhaus erst im Jahr nach der Gründung der Genossenschaft in Betrieb genommen.

Im Zuge der Einführung offizieller Straßennamen in Kettlasbrunn im Jahre 2004 erhielt diese Gasse, den schon zuvor informell gebräuchlichen Namen „Milchhausstraße“.24

Wo befindet sich die Milchhausstraße?

 

Bildnachweis:
Verwendung der Fotos mit freundlicher Genehmigung des Besitzers Herrn Stadtrat a.D. Josef Rath bzw. Dank an das Team der Topothek Mistelbach/Kettlasbrunn

Quellen:

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Klezl von Norberg, Dr. Alfons

Hofrat Dr. Alfons Freiherr Klezl von Norberg

* 8.8.1858, Hietzing bei Wien
† 22.12.1942, Wien

Alfons von Klezl wurde 1858 als Sohn des Eduard von Klezl, k.k. Hofrat im Ministerium des Äußeren und dessen Gattin Therese, geb. Freiin von Testa, in der damals noch selbstständigen niederösterreichischen Gemeinde Hietzing bei Wien geboren.26

Er entstammt einer Familie, die auf eine lange Tradition als Beamte im diplomatischen Dienst zurückblicken kann und deren Mitglieder über viele Jahre in der österreichischen Vertretung in Konstantinopel, der sogenannten Internuntiatur, ihren Dienst leisteten. Bereits sein Urgroßvater Franz Klezl sen. (*1737, †1809) absolvierte die k.k. Orientalische Akademie und soll bereits zeitweilig in der Hauptstadt des Osmanischen Reichs tätig gewesen sein, ehe er später als k.k. Grenzdolmetscher in Peterwardein und Lemberg tätig war. Auch sein Großvater Franz Klezl jun. (*1772, †1826) besuchte die Orientalische Akademie und wurde später als Internuntiatur-Dolmetscher in Konstantinopel eingesetzt und aufgrund seiner treuen und verdienstvollen Leistungen in dieser Funktion wurde er 1826 von Kaiser Franz I. in den erblichen Adelsstand erhoben und somit durften sich er und seine Nachfahren nunmehr „Edler von Klezl“ (bzw. kurz schlicht „von Klezl“) nennen. In eben diesem Jahr schloss der Vater, Eduard von Klezl (*1805, †1874), an der orientalischen Akademie seine Ausbildung ab und folgte seinem Vater auch an die Internuntiatur in Konstantinopel nach, wo er schließlich bis zum k.k. Legationsrat aufstieg und von 1850 bis 1853 sogar die vertretungsweise Leitung der österreichischen Gesandtschaft innehatte. Anschließend wurde er nach kurzer Dienstleistung in Griechenland, schließlich als Ministerialrat in das Ministerium des Äußeren nach Wien zurückberufen. In Konstantinopel hatte Eduard von Klezl auch seine Gattin, die Tochter des Legationssekretärs der Internuntiatur, Freiherrn Anton von Testa, kennengelernt und der dort geschlossenen Ehe entstammten sechs Kinder (vier Töchter und zwei Söhne). Alfons von Klezl war das jüngste dieser Kinder und während seine Schwestern allesamt in Konstantinopel das Licht der Welt erblickten, wurden er und sein Bruder nach der Rückkehr nach Österreich in Hietzing geboren. Im Ruhestand wurde sein Vater, Eduard von Klezl, aufgrund seiner Verdienste im diplomatischen Dienst, unter Verleihung des Prädikats „von Norberg“ im Jahre 1874 von Kaiser Franz Josef I. in den Freiherrenstand erhoben.27 Übrigens waren darüber hinaus auch weitere Mitglieder der Familie von Klezl im diplomatischen Dienst in Konstantinopel tätig.28

Alfons Freiherr Klezl von Norberg absolvierte das Wiener Schottengymnasium, wo er zu Ende des Schuljahres 1876/77 die Reifeprüfung mit Auszeichnung ablegte.29 Im Anschluss nahm er das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien auf. Er dürfte dieses jedoch für seinen Militärdienst, den er als Einjährig-Freiwilliger im Feldjäger-Bataillon Nr. 21 leistete, unterbrochen haben. Im Dezember 1879 wurde er schließlich als Leutnant der Reserve ausgemustert und dem Reservestand des Feldjäger-Bataillons Nr. 27 zugeteilt. Während noch laufendem Studium, allerdings wohl nach absolvierter erster Staatsprüfung, trat er 1880 in den Landesdienst ein und wurde zur Dienstleistung der niederösterreichischen Statthalterei in Wien zugeteilt. Seine Studien schloss Freiherr Klezl von Norberg schließlich 1882 mit der Promotion zum Dr.iur. ab und war danach bis 1886 als Praktikant bei der Bezirkshauptmannschaft Sechshaus (heute Teil des XV. Wiener Gemeindebezirks) tätig. In den Jahren 1886 bis 1888 diente er schließlich als Konzipist bei der Bezirkshauptmannschaft Horn und danach zum Abschluss seines Aufenthalts im Waldviertel 1888 kurzzeitig als Lokalkommissär für agrarische Operationen in Allentsteig. Danach war Dr. Klezl von Norberg ab April des Jahres 1889 als Bezirks-Kommissär bei der Bezirkshauptmannschaft Groß Enzersdorf tätig, ehe er von 1892-1895 in selber Funktion an der Bezirkshauptmannschaft Krems wirkte. Im Zeitraum 1895-1899 wurde er zur Dienstleistung in das Präsidialbureau bzw. das Department für Kultuswesen der niederösterreichischen Statthalterei berufen und stand schließlich von 1899 bis 1909 dem Verwaltungsbezirk Mistelbach als Bezirkshauptmann vor.

Während seiner Amtszeit als Bezirkshauptmann von Mistelbach erfolgte die langwierige Planung und der Bau des Bezirkskrankenhauses (Eröffnung 1909), zu dessen Errichtung er neben seiner Tätigkeit als oberstes Verwaltungsorgan des Bezirks auch als Initiator und Obmann des 1901 gegründeten „Vereins zur Erbauung des öffentlichen Krankenhauses in Mistelbach“ tatkräftig, insbesondere als eifriger Spendensammler, beitrug.30 1907 wurde im Rahmen eines Musikabends zugunsten des Krankenhausbaufonds ein von Heinrich Kosnapfl komponierter und dem Bezirkshauptmann gewidmeter „Freiherr von Norberg-Marsch“ uraufgeführt, der auch bei einem Wiener Verlag in Druck gelegt wurde, und dessen Verkaufserlös ebenfalls dem Krankenhausbau zugutekam.31 Weiters war Bezirkshauptmann Klezl von Norberg von 1904 bis 1910 auch Obmann des landwirtschaftlichen Bezirksvereines Mistelbach32 und wurde im Jahre 1904 zum Ehrenmitglied der Freiwilligen Feuerwehr Mistelbach ernannt.33 Als Bezirkshauptmann war er zugleich auch Vorsitzender des Bezirksschulrates und unterstützte die (leider lange vergeblichen) Bemühungen um die Errichtung einer Mittelschule in Mistelbach und gehörte dem Ausschuss des 1901 gegründeten „Vereins zur Gründung einer Mittelschule“ an.34

Besuch von Erzherzog Leopold Salvator in der Pinselfabrik Mühl im Jahre 1906<span id='easy-footnote-25-8457' class='easy-footnote-margin-adjust'></span><span class='easy-footnote'><a href='https://www.mi-history.at/klezl-von-norberg-dr-alfons/#easy-footnote-bottom-25-8457' title='Bote aus Mistelbach, Nr. 32/1906, S. 2'><sup>25</sup></a></span>: v.l.n.r.: Franz Mühl, der Adjutant des Erzherzogs, Erzherzog Leopold Salvator, Gemeinderat Josef Konrad Strasser, Firmengründer Ignaz Mühl sen., Ignaz Mühl jun., vermutlich die Gattin des Firmengründers oder eines seiner Söhne, Freiherr Klezl von Norberg (rotes X), Bgm. Thomas FreundBesuch von Erzherzog Leopold Salvator in der Pinselfabrik Mühl im Jahre 190625: v.l.n.r.: Franz Mühl, der Adjutant des Erzherzogs, Erzherzog Leopold Salvator, Gemeinderat Josef Konrad Strasser, Firmengründer Ignaz Mühl sen., Ignaz Mühl jun., vermutlich die Gattin des Firmengründers oder eines seiner Söhne, Freiherr Klezl von Norberg (rotes X), Bgm. Thomas Freund

Wenige Wochen nach der Grundsteinlegung für den Krankenhausbau beschloss der Mistelbacher Gemeindeausschuss (=Gemeinderat) am 16. September 1908 Dr. Klezl von Norberg für sein verdienstvolles Wirken als langjähriger Bezirkshauptmann und seinen Einsatz bei der Errichtung des Bezirkskrankenhauses zum Ehrenbürger der Stadt Mistelbach zu ernennen.35 Neben Mistelbach verliehen ihm auch die Gemeinden Olgersdorf (1902), Eibesthal (1904) (Ehrenbürger der Katastralgemeinden) und Neudorf bei Staatz (1909) die Ehrenbürgerwürde.36 Die Ehrenbürgerwürde von Eibesthal erhielt Bezirkshauptmann Dr. Klezl von Norberg insbesondere für die Unterstützung, die er dieser Gemeinde bzw. den durch die Brandkatastrophe des Jahres 1904 geschädigten Einwohnern zuteilwerden ließ.37

1909 folgte sein allseits bedauerter Abschied aus Mistelbach, da Dr. Klezl von Norberg zu höheren Weihen in die niederösterreichische Statthalterei nach Wien berufen wurde. Die Mistelbacher Bevölkerung verabschiedete sich mit einem imposanten Fackelzug zu Ehren des populären Bezirkshauptmanns, der in ein großes Abschiedsfest im Gasthaus „Zum weißen Rössl“ überging und die Gemeinden des Bezirks würdigten seine Verdienste in einer gemeinsamen Dankadresse.38 Zunächst als Statthaltereirat, und später als Hofrat hatte er von 1909 bis März 1918, dem Zeitpunkt seines Übertritts in den Ruhestand, die Leitung des Departments für Kultuswesen in der niederösterreichischen Statthalterei inne. Ende der 1920er Jahre verfasste er eine juristische Abhandlung zur umstrittenen „Dispensehe“, der Wiederverheiratung geschiedener Katholiken, einer nicht unbedeutenden Rechtsthematik in der Zeit vor Einführung der Zivilehe.39

Der während und nach seiner Laufbahn mit zahlreichen Orden und Auszeichnungen dekorierte Beamte blieb zeit seines Lebens unverheiratet und kinderlos. Hofrat Freiherr Klezl von Norberg verstarb am 22. Dezember 1942 im Alter von 84 Jahren und wurde in der Familiengruft auf dem Hietzinger Friedhof bestattet.

Bildnachweis:
-) sämtliche Bilder: Stadtmuseumsarchiv Mistelbach
Zum Bild des Besuchs von Erzherzog Leopold Salvator ist anzumerken, dass sich dieses im 1999 erschienenen Buch „125 Jahre Stadt Mistelbach – Ein Lesebuch“ (S. 260) fälschlicherweise mit der Bildunterschrift „Besuch von Erzherzog Franz Salvator in der Pinselfabrik Mühl“ abgedruckt findet

Quellen:
-) Standesblatt des Präsidiums der niederösterreichischen Statthalterei zu Klezl von Norberg, K 2/02-0049, Niederösterreichisches Landesarchiv
-) Reichspost, 8. August 1928 (35. Jg. – Nr. 219), S. 4 (ONB: ANNO)

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Das Werden der Großgemeinde Mistelbach 1966-1972

Im nachfolgenden Beitrag sollen die historischen Hintergründe und schließlich das nicht ganz friktionsfreie Werden der Großgemeinde Mistelbach, die seit dem 1.1.1972 aus den zehn Katastralgemeinden Ebendorf, Eibesthal, Frättingsdorf, Hörersdorf, Hüttendorf, Kettlasbrunn, Lanzendorf, Mistelbach, Paasdorf und Siebenhirten besteht, veranschaulicht werden.

Frühere Versuche Gemeindezusammenlegungen durchzusetzen40

Schon bei der Entstehung der Gemeinden als selbstständige und unabhängige Körperschaften und kleinste Verwaltungseinheit im Staatsgefüge durch das im Gefolge der Revolution von 1848 erlassene provisorische Gemeindegesetz vom 17. März 1849, wurde durch dieses Gesetz auch bereits die Möglichkeit für den Zusammenschluss mehrerer Gemeinden zu einer Ortsgemeinde geschaffen. Seitens des Ministerium des Inneren bzw. der Landesverwaltung war man schon zum Zeitpunkt als dieses Gesetzes erlassen wurde, bestrebt möglichst wenige und dafür große Gemeinden zu schaffen, und das für unsere Gegend zuständige Kreisamt für das Viertel des unter dem Manhartsberg (=Weinviertel) in Korneuburg legte einen Entwurf vor, der die 564 Gemeinden in diesem Viertel mittels Zusammenschlüssen auf 138 zu reduzieren trachtete. Dieser Entwurf beinhaltete damals etwa den Vorschlag die Gemeinden Siebenhirten, Hörersdorf und Frättingsdorf zur neuen Großgemeinde Hörersdorf zusammenzulegen bzw. alternativ sollten sich Hüttendorf, Hörersdorf und Frättingsdorf mit Asparn a.d. Zaya vereinigen und Lanzendorf und Siebenhirten sollten mit Mistelbach fusioniert werden. Dieses Ansinnen seitens der Landesverwaltung stieß jedoch allgemein auf heftige Ablehnung, denn augenscheinlich wollten die Gemeinden ihre eben gewonnene Selbstständigkeit und Freiheit nicht in größeren Gemeindeverbänden verlieren und dieser Vorschlag ließ außerdem seit Jahrhunderten gepflogene Rivalitäten und Animositäten zwischen Nachbarorten außer Acht. Darüber hinaus sah das provisorische Gemeindegesetz auch klar vor, dass Gemeinden sofern sie in der Lage waren die im Gesetz angeführten Aufgaben zu erledigen, nicht gegen ihren Willen mit anderen vereinigt werden konnten und somit war dieses Vorhaben bereits im Voraus zum Scheitern verurteilt und alleine in den Gerichtsbezirken Mistelbach, Poysdorf, Feldsberg, Laa a.d. Thaya und Zistersdorf, die zur kurzlebigen Bezirkshauptmannschaft Poysdorf gehörten (ab 1868 befand sich der Sitz der Bezirkshauptmannschaft dann in Mistelbach) entstanden schließlich 110 Gemeinden.41

Im Zuge einer Änderung der Gemeindewahlordnung im Jahre 1904 wurde auch über die strukturelle, wirtschaftliche und demografische Zusammensetzung der Gemeinden debattiert und damit erschien das Thema Gemeindezusammenlegungen nach mehr als 50 Jahren erneut auf der Agenda der Landesregierung. Die damaligen Pläne sahen vor, die Anzahl der niederösterreichweit bestehenden Gemeinde auf 438 zu reduzieren, doch erneut scheiterten diese Bestrebungen an politischen Widerständen.

In der Zeit zwischen dem sogenannten Anschluss im März 1938 und dem Kriegsbeginn im Jahr darauf kam es unter den Nationalsozialisten nicht nur zur Eingemeindung zahlreicher Gemeinden im Umland der vormaligen österreichischen Hauptstadt zu „Groß-Wien“, sondern auch zu weiteren vereinzelten Gemeindefusionen, allerdings in anderen Teilen von „Niederdonau“. Diese zwangsweisen Zusammenlegungen orientierten sich ausschließlich an der Bevölkerungszahl und klammerten sonstige Aspekte, etwa wirtschaftliche, völlig aus. Hätte das „1000-jährige Reich“ in Österreich länger als sieben Jahre gewährt, wäre es wohl zu weiteren Gemeindezusammenlegungen gekommen, da die Gemeinden hierorts aufgrund der historischen Entwicklung wesentlich kleinteiliger strukturiert waren/sind, als im Deutschen Reich. Die unter dem NS-Regime erfolgten Zusammenlegungen wurden nach 1945 wieder rückgängig gemacht, wirkten jedoch als abschreckendes Beispiel noch lange negativ nach.

Niederösterreichische Kommunalstrukturverbesserung42

Als sich Anfang der 1960er Jahre der umfassende sozioökonomische Strukturwandel weg von der agrarisch geprägten Gesellschaft hin zur Produktions- und Dienstleistungsgesellschaft deutlich abzeichnete, hatte dies natürlich auch Auswirkungen auf die Gemeinden. Die Aufgabengebiete der Gemeinden wuchsen stetig an, ebenso die notwendigen Investitionen in Schaffung und Erhaltung der Infrastruktur (Straßenasphaltierung, Erhaltung von Schule bzw. Kindergarten, Kanalisierung, etc.), doch standen diesem steigenden Finanzbedarf keine entsprechenden finanziellen Mittel als Einnahmen gegenüber. Diese Entwicklung und auch die Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen durch die Gemeindeverfassungs-Novelle 1962 wurden von der Landesregierung als Bestätigung und Anlass genommen die Thematik Gemeindezusammenlegung ab Mitte der 1960er Jahre nun unter dem Titel „NÖ. Kommunalstrukturverbesserung“ zu forcieren. Über die Bezirkshauptmannschaften regte die Landesregierung freiwillige Gemeindezusammenlegungen an und den Gemeinden, die sich zu solchen Zusammenschlüssen bereit erklärten, wurden zusätzliche finanzielle Mittel in Aussicht gestellt. In jenen Fällen in denen die Vermittlungsversuche für das Zustandekommen von freiwilligen Zusammenschlüssen ohne Erfolg blieben, wurde nach Auslaufen der finanziellen Anreize mit Ende des Jahres 1970, der Druck seitens des Landes auf die nicht kooperationswilligen Gemeinden intensiviert und man beabsichtigte die neue Gemeindestruktur auch zwangsweise durchzusetzen. Schon die Erwägung dieses Vorgehens (und erst recht die Schaffung einer rechtlichen Grundlage dazu im November 1971) sorgte bei den betroffenen Gemeinden niederösterreichweit für Empörung und diese schlossen sich im Sommer des Jahres 1971 zum überparteilichen „Aktionskomitee der niederösterreichischen Bürgermeister“ zusammen. Diese Protestgemeinschaft hoffte durch Protestnoten an Bundeskanzler Kreisky bzw. Landeshauptmann Maurer die zwangsweisen Vereinigungen abwenden zu können bzw. beabsichtigte diese notwendigenfalls rechtlich zu bekämpfen. Letztlich blieben diese Bemühungen jedoch vergeblich und die in der Folge von einigen betroffenen Gemeinden beim Verfassungsgerichtshof eingebrachten Beschwerden hatten keinen Erfolg, ebenso wie diesbezüglich vorgebrachte Beschwerden bei der Europäischen Menschenrechtskommission. Als die Reform gegen alle Widerstände Anfang der 1970er Jahre im Wesentlichen abgeschlossen war, hatte sich die Zahl der niederösterreichischen Gemeinde von 1652 auf 559 reduziert. Zwar wurden einzelne Zusammenlegungen später wieder aus verschiedenen Gründen rückgängig gemacht, aber es wurde damit nachhaltig die Basis für eine effiziente Gemeindeverwaltung geschaffen.

Nachfolgend wird der Prozess der Gemeindezusammenlegung im Falle von Mistelbach und seinen heutigen Katastralgemeinden beschrieben.

1966-1970 freiwillige Gemeindezusammenlegung

In einem ersten Schritt wurde ein Zusammenschluss von Lanzendorf, Ebendorf, Hüttendorf und Siebenhirten mit Mistelbach angeregt. Kettlasbrunn sollte gemeinsam mit Bullendorf und Hobersdorf nach Wilfersdorf eingemeindet werden.

Lanzendorf und Ebendorf, die in unmittelbarer Nähe zu Mistelbach lagen und seit jeher auch Teil der Pfarre Mistelbach waren, wurden auf Basis von im Sommer 1966 gefassten einstimmigen Beschlüssen ihrer Gemeindevertretungen ab 1. Jänner 1967 mit Mistelbach vereinigt.43 Dem Ende ihrer Selbstständigkeit stimmten auch die Vertreter dieser Gemeinden nicht mit Begeisterung zu, sondern vielmehr sah man pragmatisch, dass man so für die künftigen Herausforderungen im Gemeinwesen besser gerüstet sei. Unter der Bevölkerung von Lanzendorf und Ebendorf stießen diese Beschlüsse keineswegs auf ungeteilte Zustimmung, doch schließlich fanden Ende des Jahres 1966 bereits die Wahlen für den neuen Mistelbacher Gemeinderat unter Beteiligung der Bevölkerung von Ebendorf und Lanzendorf statt. In Hüttendorf ging die am 29. August 1966 im Gemeinderat abgehaltene Abstimmung über eine freiwillige Vereinigung mit 8 Nein-Stimmen zu 7 Ja-Stimmen denkbar knapp aus und ein freiwilliger Zusammenschluss war damit gescheitert.44 Trotz des knappen Ausgangs der Abstimmung wurde auch in folgenden Jahren an diesem Beschluss festgehalten und ein freiwilliger Zusammenschluss nicht weiter erwogen. Auch eine Einbindung Siebenhirtens war bereits Teil dieser ersten auf freiwilliger Vereinigung basierenden Pläne für eine Großgemeinde Mistelbach. Doch der Gemeinderat von Siebenhirten lehnte dieses Vorhaben ab, ebenso wie sich der Kettlasbrunner Gemeinderat gegen die oben bereits erwähnte Eingemeindung nach Wilfersdorf einstimmig aussprach.45

Die Anregung zur Vereinigung mit Mistelbach wurden in Folge auch auf Paasdorf und Eibesthal ausgeweitet, wobei auch deren Gemeindevertretungen einstimmig (im Falle von Paasdorf allerdings mit einigen Enthaltungen) gegen einen freiwilligen Zusammenschluss mit Mistelbach votierten.46 Neben Siebenhirten lehnten auch Hörersdorf und Frättingsdorf eine Vereinigung mit Mistelbach ab und unter Vermittlung von Landesrat Matthias Bierbaum fanden Beratungen über die Zusammenlegung dieser drei Gemeinden im Herbst des Jahres 1970 statt. Dass damit ein mehr als 120 Jahre alter Vorschlag aufgriffen wurde (siehe weiter oben) dürfte den Gemeindevertretern vermutlich nicht bewusst gewesen sein. Zwar fassten Hörersdorf und Frättingsdorf im November 1970 den Beschluss sich gemeinsam mit Siebenhirten unter dem Namen Hörersdorf (dem künftigen Sitz der gemeinsamen Gemeindeverwaltung) mit Wirkung vom 1.1.1971 zusammenzuschließen, aber die Einbindung Siebenhirtens wurde durch einen bereits im Vorfeld der Beratungen mit 2/3-Mehrheit gefassten Beschluss des Siebenhirtner Gemeinderates, der sich gegen jedwede Vereinigung aussprach, vereitelt.47 Der Frättingsdorfer Gemeinderat regte bei der Beschlussfassung über die Zusammenlegung mit Hörersdorf und Siebenhirten übrigens den neuen Namen „Mistellauf“ an, da alle drei Gemeinden am Lauf des Mistelbachs gelegen seien.48 Zwar waren freiwillige Gemeindezusammenlegung bis Ablauf des Jahres 1970 möglich, da sich allerdings nur zwei der drei Gemeinden zu einem Zusammenschluss durchringen konnten und seitens der Landesregierung ohnehin die Schaffung deutlich größere Gemeindeeinheiten beabsichtigt war, wurde diese Initiative seitens der Landesverwaltung ignoriert und die gefassten Gemeinderatsbeschlüsse über die Zusammenlegung schließlich nicht vollzogen. In Hörersdorf und Frättingsdorf war man über diese Reaktion seitens des Landes verärgert und verwies bei weiteren Vorstößen in Bezug auf eine Vereinigung mit Mistelbach stets auf die im November 1970 gefassten (gültigen) Beschlüsse.49

Zwangsweise Zusammenlegung mit Jahresbeginn 1972

Eine im Juli 1971 in Eibesthal abgehaltene Volksbefragung bezüglich der „drohenden Zwangszusammenlegung“ brachte folgendes Ergebnis: für den Erhalt der Selbstständigkeit 373 Stimmen, für eine Zusammenlegung mit Mistelbach 48 Stimmen, für eine Zusammenlegung mit Wilfersdorf 12 Stimmen.50 Auch in Siebenhirten wurde am 4. Juli 1971 eine Volksbefragung durchgeführt, die folgendes Ergebnis brachte: von den 253 Wahlberechtigten übten 223 Personen ihr Stimmrecht aus (88,1% Beteiligung), davon sprachen sich 145 (65%) gegen und 76 (35%) für eine freiwillige Zusammenlegung mit einer anderen Gemeinde aus. Für den Fall, dass man doch zu einer Zusammenlegung gezwungen würde stimmten 72 Personen für Hörersdorf und 68 für Mistelbach – der Rest äußerte keine Präferenz bzw. wollte sich mit einem solchen Szenario offenbar nicht auseinandersetzen.51 In Kettlasbrunn war der Gemeinderat bis zuletzt davon überzeugt, dass die Gemeinde aufgrund der vorhandenen Infrastruktur auch alleine erfolgreich weiterbestehen könne und man war der Auffassung, dass das bäuerlich geprägte Dorf auch von der Bevölkerungsstruktur nicht zu Wilfersdorf passe.52 Die ab Sommer 1971 vorgesehene Zusammenlegung mit Mistelbach wurde mit derselben Argumentation abgelehnt und schließlich sei auch die Mehrheit der Kettlasbrunner Bevölkerung gegen diese Zusammenlegung.53 Laut dem Raumordnungsprogramm war für die künftige Großgemeinde Mistelbach eine bestimmte Bevölkerungsanzahl vorgesehen und diese sollte um jeden Preis durch die Eingemeindung vieler kleinerer Ortschaften erreicht werden, weshalb auch weiter entfernte Orte wie Frättingsdorf und Kettlasbrunn einbezogen wurden, so die Kritiker der Zwangszusammenlegungen. Tatsächlich erhielten aufgrund eines angepassten Verteilungsschlüssels Gemeinden mit über 10.000 Einwohnern deutlich höher dotierte Mittel aus dem Finanzausgleich zugeteilt und das Mistelbach diesen Grenzwert nach den Zusammenlegungen knapp überschritt dürfte wohl kein Zufall gewesen sein. Trotzdem wenig Aussicht auf Erfolg herrschte kämpften insbesondere die Gemeinden Eibesthal, Siebenhirten, Frättingsdorf und Paasdorf bis Ende des Jahres 1971 gegen die mit Jahreswechsel bevorstehende Eingemeindung an.54 Diese Gemeinden, die sich auch dem bereits oben erwähnten „Aktionskomitee“ angeschlossen hatten, nahmen auch Kontakt mit Rechtsvertretern auf, mussten letztlich jedoch akzeptieren, dass der Beschwerdeweg vor den Verfassungsgerichtshof wenig aussichtsreich und ihr Kampf somit vergebens war.55

Mistelbachs Bürgermeister Franz Bayer übernahm interimistisch als Regierungskommissär die Verwaltung der ab 1.1.1972 neu nach Mistelbach eingemeindeten Gemeinden bis im März 1972 der Gemeinderat der Großgemeinde neu gewählt wurde. Es dauerte ein wenig bis sich alle Ortschaften samt ihren Einwohnern in der neuen Rolle als Teil eines größeren Ganzen zurechtfanden und manch einer machte gar unter Verwechslung von Ursache und Wirkung und Negierung allgemeiner tiefgreifender Entwicklungen diese Reform für den Niedergang von Strukturen in den nunmehrigen Katastralgemeinden verantwortlich. Knapp fünfzig Jahre nach Umsetzung dieser Reform ist deren Erfolg jedoch unbestreitbar.

Quellen:

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von Schluetenberg, Dr. Innocenz

Bezirksarzt Dr. Innocenz Edler von Schluetenberg

* 18.11.1832, Negau (Untersteiermark, heute: Slowenien)
† 10.2.1882, Wien

Innocenz Edler von Schluetenberg wurde 1832 als Sohn des Gutsherrn Cajetan von Schluetenberg und dessen Gattin Filizzine, geb. Seutscher im untersteirischen Negau geboren.56 Sein Vater war Pächter und Verwalter der Herrschaft Negau (Negova) und später auch Besitzer des unweit davon gelegenen Guts Tribein (Drvanja) und während des kurzen demokratischen Strohfeuers im Revolutionsjahr 1848/49 Abgeordneter des provisorischen Landtags des Herzogtums Steiermark.57 Bereits der aus Kärnten stammende Großvater Mathias Schluet wurde 1823 für seine langjährigen treuen Dienste in der k.k. illyrischen Dominienverwaltung in Laibach, insbesondere während der schwierigen Zeit der Franzosenkriege bzw. der Besatzung durch die Truppen Napoleons, durch kaiserlichen Entschluss mit dem Prädikat „Edler von Schluetenberg“ in den erblichen Adelsstand erhoben.58 Richtig lautete der Nachname der Familie daher „Schluet Edler von Schluetenberg“, allerdings schon der Großvater führte seinen Namen ausschließlich als „von Schluetenberg“, also unter Weglassung des ursprünglichen Familiennamens von dem sich das Adelsprädikat ableitete und dies wurde später auch von offizieller Seite zumindest für eine andere Linie der Familie so bestätigt.59

Das Wappen der Edlen von Schluetenberg, wie es in einer überarbeiteten Auflage von J. Siebmachers Wappenbuch abgebildet ist.

Das Wappen der Edlen von Schluetenberg, wie es in einer überarbeiteten Auflage von J. Siebmachers Wappenbuch abgebildet ist.60

Jedenfalls vom Wintersemester 1850/51 bis Sommersemester 1855 studierte Innocenz von Schluetenberg an der medizinischen Fakultät der Universität Wien und während dieser Zeit wohnte er an verschiedenen Adressen in der Josefstadt.61 Der Beginn seines Studiums im Jahre 1850 im Alter von 18 Jahren erscheint plausibel, allerdings kann ein etwaig früherer Studienbeginn aufgrund der Tatsache, dass die übersichtlichen Studienkataloge erst für den Zeitraum ab 1850 vorhanden sind, nicht ausgeschlossen werden. Für die damalige Zeit laut Mitarbeitern des Universitätsarchivs nicht ungewöhnlich, wurde er jedoch erst 1858, also drei Jahre nach Ende seiner Studien, zum Doktor der Medizin promoviert.62 Die Chirurgie war damals ein separat geführtes Studienfach, und auch in diesem erwarb von Schluetenberg das Doktorat und konnte somit auch damals bereits als „Doktor der gesamten Heilkunde“ gelten. 1862 wurde er als Mitglied in das Doktorenkollegium der medizinischen Fakultät der Universität Wien aufgenommen.63 Dabei handelt es sich nicht etwa um einen Zusammenschluss von an der Universität Lehrenden (=Professorenkollegium), sondern um ein Gremium im damaligen Organisationsgefüge der Universitäten, das sich aus den graduierten Doktoren der jeweiligen Fakultät zusammensetzte und das beispielsweise bei der Wahl des Dekans (bzw. Rektors) und bei Prüfungen/Promotionen bestimmte Aufgaben wahrnahm.64

Im Jahre 1858 wurde die Arztstelle in Mistelbach vakant und Dr. von Schluetenberg zog nach Mistelbach und erwarb das in barockem Stil erbaute Eckhaus Oserstraße (Nr. 1)/Wiedenstraße (Nr. 4), auf dem bereits seit vielen Jahren die Mistelbacher (Wund)Ärzte bzw. Chirurgen ansässig waren, von seinem Vorgänger Dr. Franz Pechlaner.65 Dass dieses Haus Sitz der medizinischen Versorgung war hatte einen bestimmten Grund: Erst Ende des 18. Jahrhunderts wandelte sich die Chirurgie von einem Handwerk zu einer akademischen Ausbildung und die Ausübung des chirurgischen Gewerbes in Mistelbach war nach altem Gewerberecht an dieses Haus gebunden („radiziert“) und diese alten Rechte wirkten bis weit ins 19. Jahrhundert fort und banden später auch die chirurgisch tätigen Ärzte. Am 21. Juni 1862 ehelichte Dr. von Schluetenberg die Tochter des Wilfersdorfer Postmeisters Antonia Gruber in der Pfarrkirche Wilfersdorf66 und dieser Ehe entstammten eine Tochter und ein Sohn.

Neben seiner gewöhnlichen Tätigkeit als Arzt hatte Dr. von Schluetenberg auch zahlreiche weitere ärztliche Ämter inne: Gemeinde-Armenarzt von Mistelbach, ab Eröffnung der Bahnstrecke 1870 war er auch Bahnarzt67 und Mitte der 1860er Jahre scheint Dr. von Schluetenberg weiters als zuständiger Badearzt im damals wohl entstandenen „Eisenbad“ Ladendorf, einem Wannenheilbad, dessen eisen- und schwefelhaltiges Quellwasser besonders zur Linderung von „Frauenkrankheiten“ angepriesen wurde, und das mit Unterbrechungen bis in die 1930er Jahre existierte.68 Größte berufliche Herausforderung war mit Sicherheit die durch preußische Truppen im Sommer des Jahres 1866 eingeschleppte Cholera-Epidemie, die binnen kurzer Zeit 131 Todesopfer unter der Mistelbacher Bevölkerung forderte.69 Fitzka lobte Dr. von Schluetenberg in seiner „Geschichte der Stadt Mistelbach“ als „menschfreundlichen und opferwilligen Arzt und Diagnostiker ersten Ranges„, der auch abseits seines Berufs eifrig und uneigennützig zum Wohle der Stadt wirkte.70

Jedenfalls von 1867 bis 1870 gehörte er dem Mistelbacher Gemeindeausschuss (=Gemeinderat) an71, der sich während der Amtszeit von Bürgermeister Josef Strasser mehrheitlich aus Personen zusammensetze, die der liberalen Partei nahestanden. Schließlich prägte die Deutschliberale Partei („Verfassungstreue“) ab Ende der 1860er Jahre auch auf Landes- und Reichsebene maßgeblich das politische Geschehen und nachdem zuvor mittels bürokratischer Hürden versuchte wurde die politische Arbeit eines Vorgängervereins zu vereiteln72, sammelten sich die liberalen politischen Kräfte im Bezirk Mistelbach schließlich im 1872 gegründeten „Deutschen Verein“. Von Schluetenberg wurde zum ersten Obmann dieses politischen Vereins gewählt, lehnte die Annahme dieses Amtes jedoch ab und gehörte stattdessen dem Ausschuss des Vereins an bzw. engagierte sich in der Folge auch immer wieder als Vertreter der vor Wahlen gebildeten liberalen Wahlkomitees.73 Über Jahre hinweg war er auch als Obmann des Ortsschulrates tätig und während seiner Obmannschaft wurde 1873 das neue Volks- und Bürgerschulgebäude in der Bahnstraße (spätere Mädchenschule, heute Teil des Pflichtschulzentrums) errichtet.74 Von der Gründung im Jahre 1869 bis 1871 gehörte er weiters dem Direktorium der städtischen Sparkasse an.75 Im Oktober 1867 zählte Dr. von Schluetenberg zu den Gründungsmitgliedern des Deutschen Turnvereins in Mistelbach, gehörte als Turnrat auch dem ersten gewählten Vereinsvorstand an und leitete in den ersten Monaten des Bestehens des Vereins auch die wöchentlichen Turnübungen.76 In den 1870er Jahren war Dr. von Schlutenberg darüber hinaus in der Interessensvertretung seines Berufsstandes aktiv und zwar als Obmann der Mistelbacher Sektion des „Vereins der Ärzte in Niederösterreich“.77

Aufgrund seiner oben geschilderten Verdienste um das Gemeinwohl und die vorbildliche medizinische Betreuung der Mistelbacher Bevölkerung fasste der Gemeindeausschuss (=Gemeinderat) am 13. Juli 1871 den einstimmigen Beschluss Dr. von Schluetenberg zum ersten Ehrenbürger der Gemeinde Mistelbach zu ernennen.70 Die Verleihung dürfte anlässlich seines Abschieds aus Mistelbach erfolgt sein, denn im Sommer des Jahres 1871 kam es zu einer Neuorganisation des Sanitätswesens in Niederösterreich und er wurde zum Bezirksarzt für den Sanitätsbezirk Waidhofen a.d. Thaya berufen78 und war für die Dauer seines Aufenthalts auch ärztlicher Leiter des dortigen Krankenhauses79. Doch als wenige Monate später im Februar 1872 die Stelle des Mistelbacher Bezirksarztes aufgrund des Ablebens von Dr. Komoraus (Feldsberg) frei wurde, kehrte Dr. von Schluetenberg auf eigenen Wunsch in dieser Funktion nach Mistelbach zurück.80 Anlässlich der Übersiedlung nach Waidhofen a.d. Thaya verkaufte Familie von Schluetenberg im Sommer des Jahres 1871 ihren bisherigen Wohnsitz und Praxisstandort und mit diesem Verkauf endet auch die mehr als hundertfünfzig Jahre zurückreichende medizinische Nutzung des Eckhauses Oserstraße Nr. 1/Wiedenstraße Nr. 4.81 An welcher Adresse Dr. von Schluetenberg nach seiner Rückkehr wohnte bzw. ordinierte konnte nicht geklärt werden.

Im Herbst 1881 zwang ihn eine schwere Erkrankung, die beinahe zu seiner Erblindung führte, zur Aufgabe des Arztberufs 82 und er übersiedelte gemeinsam mit seiner Familie nach Wien, wo er sich im Stadtteil Landstraße niederließ. Dr. von Schluetenberg verstarb nach längerem Leiden am 10. Feburar 1882 im Alter von nur 49 Jahren an Kehlkopftuberkulose. Seine sterblichen Überreste wurden zwei Tage nach seinem Ableben auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt.83

Quellen:

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Städtner, Maria

Maria Städtner

* 3.11.1851, Kettlasbrunn
† 2.3.1928, Mistelbach

Maria Städtner wurde 1851 als Tochter des Landwirts Mathias Städtner und dessen Gattin Anna, geb. Schimmer, in Kettlasbrunn geboren.84 Der Familienname findet sich im Laufe der Jahre in wechselnder Schreibweise beispielsweise auch in Form von „Stettner“ oder „Stättner“. Später setzte sich die Schreibweise „Städtner“ durch und so wurde der Name letztlich auch auf ihrem Grab festgehalten. Ein letztes Mal sorgte die korrekte Schreibweise des Namens im Zuge der im Jahre 2004 erfolgte Straßenbenennung für Verwirrung (siehe Städtnerstraße).

Am 22. Februar 1876 ehelichte Maria Städtner ihren Cousin Josef Städtner.85 Das nahe Verwandtschaftsverhältnis der Eheleute stellte in diesem Fall grundsätzlich ein Ehehindernis dar, doch unter Berufung auf besondere Umstände (bspw. auch dynastische Gründe für die Angehörigen der regierenden Herrscherhäuser) konnte ein Dispens (=Ausnahmebewilligung) erwirkt werden. Die Gewährung solcher Ausnahmen wurde seitens der katholischen Kirche speziell gegen Ende des 19. Jahrhunderts allerdings eher restriktiv gehandhabt, aber laut dem Trauungsbucheintrag gelang es der Familie Städtner sowohl eine zivilrechtliche Genehmigung seitens der niederösterreichischen Statthalterei, als auch eine solche nach kanonischem Recht durch die apostolische Nuntiatur bzw. den Papst zu erhalten. Hierfür bedurfte es besonderer Gründe, allerdings ist unklar auf welche sich die Familie Städtner im konkreten Fall berief. Da beide Ehegatten jeweils die einzigen überlebenden Kinder ihrer Eltern waren, vereinigten sie durch ihre Ehe zwei große landwirtschaftliche Betriebe und verfügten damit über umfangreichen Grundbesitz. Der Ehe entstammten vier Töchter und ein Sohn, die jedoch alle als Säuglinge bzw. im Kindesalter an damals grassierenden und oftmals tödlich verlaufenden „Kinderkrankheiten“ wie Diphtherie und Scharlach oder etwa an Atemwegsentzündungen erkrankten und diesen erlagen. Nachdem Städtners Ehemann Anfang Mai 1907 verstarb, verkaufte sie in der Folge sukzessive den nunmehr ihr alleine gehörenden umfangreichen landwirtschaftlichen Grundbesitz und wurde so sehr vermögend.86 Außerdem zog sie vom ehemals gemeinsamen Wohnsitz auf Haus Nr. 113, in das ebenfalls ihr gehörige Haus Nr. 67 um, dass sie zu einer Villa ausbauen ließ.

Städtners Villa auf einer Ortsansicht aufgenommen vom Kirchturm aus um etwa 1909 - heute führt die Städnerstraße an diesem Haus vorbeiStädtners Villa auf einer Ortsansicht aufgenommen vom Kirchturm aus um etwa 1909 – heute führt die Städnerstraße an diesem Haus vorbei

Manchen Angaben zufolge soll sie gar die wohlhabendste Frau im gesamten Bezirk gewesen sein. Der Reichtum der kinderlosen Witwe weckte Begehrlichkeiten und so traten Vertreter von Gemeinde, Kirche und Vereinen mit verschiedenen Bitten an Frau Städtner heran. Die einfache Bauernwitwe war in finanziellen Dingen naiv und unbeholfen, dafür allerdings sehr großzügig – eine Kombination die sich zu Ende ihres Lebens rächen sollte. Doch auch schon zu Lebzeiten ihres Gatten zeigte sich das Ehepaar Städtner etwa 1902 beim Einbau einer neuen Turmuhr in der Pfarrkirche als großzügige Spender.87 Ihre Schwiegermutter – die Stiefmutter ihres Gatten – Agnes Städtner, geb. Pribitzer (1825-1900), begründete offenbar die Familientradition der Freigiebigkeit gegenüber der Pfarre indem sie dieser 1895 400 Gulden (österreichischer Währung)  für die Anschaffung des heute noch jährlich am Karsamstag zu bewundernden und kunsthistorisch bedeutsamen „Heiligen Grabes“ in Jugendstil-Ausführung stiftete. Mit dieser Spende deckte sie knapp 80% der Anschaffungskosten des im nordmährischen Olmütz hergestellten beleuchtbaren Glasperlenkunstwerks.88

Maria Städtners freigiebiges Wirken für Pfarre, Gemeinde, Schule und Vereine in Kettlasbrunn sei durch nachfolgende chronologische Auflistung dokumentiert:89

1907 -) finanzierte sie gemeinsam mit zwei anderen Kettlasbrunner Familien die Renovierung der an der Straße nach Schrick gelegenen „Scheibenkapelle“90
1908 -) aus Anlass des 60-jährigen Regierungsjubiläums von Kaiser Franz Josef I. ließ sie die heute noch bestehende Kaiserbüste errichten91;
-) stiftete sie einen neuen Baldachin (Himmel) für die Pfarre92
-) außerdem spendete sie namhafte Beträge für die Anschaffung einer neuen Weihnachtskrippe, drei Stück Goldbrokatantipedien (Altarvorhänge) sowie für drei Dalmatiken (liturgische Gewänder) und lud die Erstkommunionkinder zu einem ausgiebigen Frühstück in den Pfarrhof ein93
1909 -) sorgte sie für eine gepflasterte Wasserrinne im Kirchengassl und damit für eine erhebliche Verbesserung dieses Weges, der zuvor bei Regengüssen stets stark in Mitleidenschaft gezogen worden war94;
-) spendete sie sechs Leuchter aus Messing für den Hochaltar und drei Altarvorhänge (Antipendien) aus roter, bestickter Leinwand94;
-) stiftete sie ein neues Kreuz mit Laterne für den Friedhof;
-) stiftete sie dem im Jahr zuvor gegründeten Militärveteranenverein eine Fahne und fungierte als Fahnenpatin95. Die Aktivitäten dieses Vereins unterstützte sie auch in den folgenden Jahren durch laufende finanzielle Zuwendungen.96
1910 -) sorgte sie für die Erneuerung der (linksseitigen) Kirchenfenster97, und stiftete eine neue Monstranz und große Luster für die Pfarrkirche98;
-) ließ sie die Sebastianistatue bei ihrer Villa errichten99;
-) weiters ließ sie zehn Laternen (Kitsonleuchten = Petroleumlampen) zum Zwecke der Ortsbeleuchtung errichten, für deren laufenden und künftigen Betrieb sie auch ein entsprechendes Kapital bei der Gemeinde erlegte100
1911 -) stiftet sie ein Skioptikon (=Projektionsgerät, „Laterna magica“) samt 65 kolorierten Bildern für die Schule101;
-) ließ sie die Fenster auf der Epistelseite (rechte Seite) der Kirche erneuern102
1912 -) spendete sie der Pfarre zwei Fahnen (St. Sebastian und St. Jakob)103;
-) sponserte sie eine Feier aus Anlass des Kaisergeburtstags104
1913 -) sponserte sie eine Feier anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums der Völkerschlacht bei Leipzig105
1914 -) anlässlich des 25-jährigen Gründungsfests der Feuerwehr spendete deren Ehrenmitglied Frau Städtner der Feuerwehr eine neue Fahne und natürlich fungierte sie bei deren Weihe auch als Fahnenpatin106;
-) stiftete sie ein Harmonium für die Schule
-) trug sie den größten Teil der Errichtungskosten einer Gemeinde-Brückenwaage, die neben dem damaligen Zeughaus bzw. hinter dem Gemeindegasthaus aufgestellt wurde107
1916 -) stiftete sie einigen Altarschmuck und Kästen für dessen Aufbewahrung
1918 -) nachdem die Kirchenglocken für Kriegszwecke abgeliefert werden mussten, sorgte sie für die Wiederherstellung des Turmschlags, sodass wieder ein regelmäßiger Stundenschlag möglich war108

Die 1908 von Maria Städtner gestiftete Kaiserbüste in KettlasbrunnDie 1908 von Maria Städtner gestiftete Kaiserbüste in Kettlasbrunn

Möglicherweise war neben Philanthropie und Hilfsbereitschaft ein weiteres Motiv für ihre Freigiebigkeit der Wunsch den Namen Städtner von einem Makel „reinzuwaschen“, und zwar in Zusammenhang mit einem Ereignis, dass schon einige Jahre zurücklag, jedoch aufgrund der damaligen Geschehnissen bzw. der Tatsache, dass der Fall offenbar ungeklärt blieb, sicherlich im kollektiven Gedächtnis des Ortes weiterlebte. Am 1. Oktober 1868 wurde Josef Städtner, der gemeinsame Onkel des Ehepaares Städtner, erschlagen im Hof seines Bruders Johann (Vater von Städtners Ehemann) aufgefunden.
Angeblich herrschte zwischen Josef und seinem Bruder Johann ein feindseliges Verhältnis, eine Tatsache, die auch im Dorf gemeinhin bekannt war und somit wundert es nicht, dass sich unmittelbar nach dem Mord das Gerücht verbreitete, dass Johann Städtner der Täter sei. In einem Gerichtsprozess in Korneuburg wurden die Brüder des Mordopfers, Johann und Mathias Städtner (die Väter von Maria Städtner und ihrem Gatten), als Beschuldigte geführt. Ersterer wurde des Mordes angeklagt und zweiterer aufgrund falscher Zeugenaussage um seinen Bruder zu einem Alibi zu verhelfen. Im Zuge der Untersuchung bzw. des Prozesses im März 1869 wurden auch mehrere Zeugen aus Kettlasbrunn einvernommen, die mit ihren Aussagen den Angaben des Beschuldigten betreffend den Fundort der Leiche widersprachen. Mathias Städtner, der Vater von Maria Städtner, wurde freigesprochen, Johann Städtner (der Vater von Städtners Ehemann) wurde hingegen des Totschlags für schuldig befunden und zu einer mehrjährigen schweren Kerkerstrafe verurteilt.109 Die Verteidigung ging jedoch in Berufung und einige Monate später wurde das Urteil aufgehoben und Johann Städtner ging frei.110 Welche Gründe zur Aufhebung des Urteils geführt haben bzw. ob der gewaltsame Tod von Josef Städtner letztlich geklärt werden konnte, ist unklar. Doch lässt sich aus dem Prozess bzw. der Zeugeneinvernahme etwas über die Stellung der Familie Städtner im Sozialgefüge des Ortes herauslesen. Während des Prozesses wurde etwa auch der damalige Bürgermeister Dominik Bachmayer 111 einvernommen und allgemein zur Familie Städtner befragt, worauf er, um Neutralität bemüht, angab, er könne nichts Negatives über die Familie sagen, allerdings  seien sie „eigene Leute“. Wenn also die Mitglieder der Familie Städtner schon vor diesem Vorfall als eigenbrötlerisch und anders angesehen wurde, so hat sich deren Ansehen bzw. Stellung im Gemeinschaftsleben durch diesen Mordfall wohl keinesfalls verbessert – eher dürfte das Gegenteil der Fall gewesen sein. Vielleicht liegt hierin auch der Grund für die Heirat Städtners innerhalb der Familie.

Tatsächlich beschränkte sich Städtners Wohltätigkeit nicht nur auf Kettlasbrunn, sondern auch andere Orte bzw. Einrichtungen profitierten von Ihrer Großzügigkeit. So stiftete sie etwa für die Kapelle des 1909 eröffneten Mistelbacher Bezirkskrankenhauses ein mit Glasmalerei verziertes Fenster112 und war auch großzügige Unterstützerin des während des 1. Weltkriegs an verschiedenen Standorten in Mistelbach bestehenden Vereinsreservespitals des Roten Kreuzes. Als Beispiele für ihr soziales Engagement können ihre Unterstützung für das Rote Kreuz und den Versorgungsfonds für Kriegswitwen und -waisen des Bezirks während und nach dem 1. Weltkrieg  gelten, sowie die in den Jahren 1912 und 1913 von ihr finanzierten Ausflüge für Kinder aus dem Bezirkswaisenhaus Mistelbach nach Kettlasbrunn, bei dem die Kinder auch verköstigt wurden und im Garten ihrer Villa spielen durften.113 Darüber hinaus engagierte sich in der Kriegsfürsorge und spendete kleine Aufmerksamkeiten als Weihnachtsgeschenke für die Soldaten im Felde und Schuhe für bedürftige Kinder, deren Väter eingerückt waren.114 In den Kriegswintern 1914/15 und 1915/16 wurde in der Kettlasbrunner Schule von den Mädchen und jungen Frauen des Orts wärmende Kleidung (Socken, Fäustlinge, Ohrenwärmer, Leibbinden, Pulswärmer etc.) für die Frontsoldaten hergestellt. Städtner unterstützte dieses patriotische Projekt immer wieder durch großzügige Materialspenden115 und aus diesem Grund wurde ihr im Juli 1916 der allerhöchste Dank für die Unterstützung dieser Fürsorgeaktion seitens des k.k. Ministers für Kultur und Unterricht ausgesprochen.116

Besonders profitierte auch die Gemeinde Bullendorf von Städtners Freigiebigkeit. Zuvor bestand hier nur eine kleine Kapelle und der Neubau einer Filialkirche der Pfarre Wilfersdorf wurde von Frau Städtner durch Sach- und Geldspenden großzügig unterstützt. Unter anderem erklärte Städtner sich anlässlich der Planung des Neubaus im Jahre 1910 bereit für diese Kirche einen Hochaltar samt Bild und sechs Leuchtern zu spenden.117 Der Baubeginn der Kirche verzögerte sich jedoch etwas, und schließlich sorgte der Erste Weltkrieg dafür, dass die neue Kirche erst im September 1919 endgültig fertiggestellt und geweiht werden konnte.118 Als Dank für ihre großzügige finanzielle Hilfe beim Bau der neuen Kirche wurde Städtner bereits im September 1911 das Ehrenbürgerrecht der Gemeinde Bullendorf verliehen.119 Außerdem  stiftete Städtner dem katholisch-deutschen Burschenverein „Edelweiß“ in Bullendorf im Jahre 1913 eine Fahne und war als Fahnenpatin besonderer Ehrengast bei der im Rahmen des Gründungsfests erfolgten Fahnenweihe.120

7. September 1913: Maria Städtner (rotes X) bei der Fahnenweihe des Burschenvereins "Edelweiß" in Bullendorf
7. September 1913: Fahnenpatin Maria Städtner (rotes X) bei der Weihe der neuen Fahne des Burschenvereins „Edelweiß“ in Bullendorf

 

Die Kirche von Bullendorf zu deren Errichtung Maria Städtner einen erheblichen finanziellen Beitrag leisteteDie Kirche von Bullendorf zu deren Errichtung Maria Städtner einen erheblichen finanziellen Beitrag leistete

Der von Maria Städtner gestiftete Hochaltar in der Bullendorfer Kirche. An der linken Seite findet sich eine übermalte Inschrift, die auf die Stifterin hinweist.Der von Maria Städtner gestiftete Hochaltar in der Bullendorfer Kirche. An der linken Seite findet sich eine übermalte Inschrift, die auf die Stifterin hinweist.121

Schon zuvor hatte zum Dank für ihre großzügige finanzielle Hilfe der Kettlasbrunner Gemeindeausschuss (=Gemeinderat) am 3. Mai 1910 den Beschluss gefasst Maria Städtner zur Ehrenbürgerin zu ernennen. Die feierliche Überreichung einer entsprechenden Urkunde erfolgte schließlich im Juli desselben Jahres.122 Als Dank für die zuteilgewordene Ehrenbürgerwürde ließ Städtner eine Straßenbeleuchtungsanlage errichten, die noch vor Ablauf des Jahres 1910 in Betrieb genommen werden konnte. Weiters wurde Städtner in Würdigung ihrer Unterstützung vom Militärveteranenverein und der Freiwilligen Feuerwehr zum Ehrenmitglied ernannt. Auch seitens der katholischen Kirche wurde sie 1909 durch die Verleihung des päpstlichen Ehrenkreuzes „ecclesia et pontifice“, der höchsten Auszeichnung, die eine Frau bis in die 1990er Jahre seitens der Katholischen Kirche verliehen bekommen konnte, geehrt.123

Das Verhältnis der großen Gönnerin der Pfarre zu den im Laufe der Jahre in Kettlasbrunn wirkenden Pfarrern war jedoch nicht immer ganz friktionsfrei. Gemäß dem Grundsatz „wer zahlt schafft an“ spielte Städtner in der Pfarre eine gewichtige Rolle und trat gegenüber den hochwürdigen Herren sehr selbstbewusst und bestimmt auf.
So kam es etwa zu Streitigkeiten bzgl. der Renovierung der alten, aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts stammenden, Sebastiani-Statue, die Städtner verhindern wollte, da sie eine neue Statue zu Ehren des Kirchenpatrons errichten wollte und dies schließlich auch in die Tat umsetzte. Der Pfarrer ließ sich jedoch nicht davon abhalten die alte Statue restaurieren zu lassen, was zur Folge hatte, dass Städtner auch aufgrund persönlicher Animositäten erfolgreich Druck auf die Gemeindevertretung und die Vereine ausübte, der Einweihung der renovierten Statue am neuen Standort fernzubleiben. Teilweise wurden die auch auf persönlicher Ebene geführten Konflikte zwischen einem Pfarrer und Städtner auch vor Gericht ausgetragen. Die finanzielle Situation der Pfarrer war damals davon abhängig wie die Pfarre ausgestattet war, denn von deren Einkünften, etwa aus Grundverpachtung, Kollekte, etc., musste der laufende Betrieb der Kirche, Renovierungen und der Lebensunterhalt des Pfarrers (und etwaigen sonstigen geistlichen Personals (zB Kapläne)) bestritten werden. Offenbar war es so, dass es im Laufe der Jahre Pfarrer (bzw. provisorische Leiter der Pfarre) gab, die sich von Städtner finanziell „aushalten“ ließen und ihr in vielen pfarrlichen Belangen freie Hand gewährten. Sie war auch im Besitz eines Schlüssels zum Pfarrhof und konnte über diesen bzw. den zugehörigen Garten, die unmittelbar neben ihrer Villa lagen, teils recht frei verfügen. Kam jedoch ein Pfarrer nach Kettlasbrunn der nicht auf ihre Unterstützung angewiesen war bzw. sich nicht von ihr abhängig machen wollte und sich ihrem Willen widersetzte, dann kam es zu den teils oben bereits geschilderten Konflikten.

Die 1910 von Maria Städtner gestiftete neue Sebastiani-StatueDie 1910 von Maria Städtner gestiftete neue Sebastiani-Statue

Eine für ihr weiteres Leben schicksalhafte Bekanntschaft machte Städtner im Jahr 1913 als der ursprünglich aus dem Münsterland (Deutsches Reich) stammende und dem Orden der Steyler Missionare angehörende Priester Gerhard Altemöller (*1860, †1937) als Pfarrer in Kettlasbrunn investiert wurde. Zwar wechselte dieser schon Anfang 1915 als Pfarrer nach Wilfersdorf, wo er bis zu seiner Pensionierung wirkte, allerdings blieb er Städtner auch im nahegelegenen Wilfersdorf verbunden. Altemöller gehörte allem Anschein und den Angaben seines Nachfolgers in der Pfarrchronik nach zu jener Gruppe von Pfarrern, die sich von Städtner finanziell „aushalten“ ließen und auch die 1919 endlich fertiggestellt Bullendorfer Kirche gehörte zu seinem späteren Pfarrgebiet.

Städtners Freigiebigkeit, die sie während des Ersten Weltkriegs auch durch die Zeichnung von Kriegsanleihen in hohen Beträgen zeigte, die jedoch nach dem verlorenen Krieg wertlos waren und die einsetzende Geldentwertung, die Anfang der 1920er Jahre ihren Höhepunkt fand, führten schließlich dazu, dass von ihrem einst großen Vermögen nur mehr wenig übrig blieb. Schließlich verkaufte Städtner ihren letzten Besitz in Form ihrer beiden Häuser ca. 1921 an Pfarrer Altemöller und dieser nahm sie in den Wilfersdorfer Pfarrhof auf, wo sie ihren Lebensabend verbringen wollte. Ihre Lebensumstände dort wurden 1923 in mehreren Artikel in dem regionalen sozialdemokratischen Wochenblatt „Volksbote“ thematisiert und dieser Bericht wurde wenig später auch in der bundesweit erscheinenden sozialdemokratischen „Arbeiter-Zeitung“124 bzw. anderen regionalen sozialdemokratischen Wochenblättern125 abgedruckt. Darin wird geschildert, dass Städtner im Pfarrhof in einer kleinen ungeheizten Kammer hausen musste, körperlich verwahrlost sei und auch nur sehr spärliche Verpflegung erhalte. Laut der sozialdemokratischen Presse sei sie auch mit der Angst vor dem Fegefeuer zum einem deutlich unter Wert erfolgen Verkauf ihrer Häuser an Pfarrer Altemöller gedrängt worden. Zur Beschreibung des Charakters des Wilfersdorfer Pfarrers wurde auf Gerichtsprozesse verwiesen in die Altemöller in der Vergangenheit verwickelt gewesen sein soll, und die sich angeblich um den Tatbestand der Wucher bzw. Preistreiberei gedreht haben sollen. In der Zwischenkriegszeit standen sich die katholische Kirche, die eng mit der christlich-sozialen Partei verbunden war und mittels derer Geistliche auch höchste politische Ämter bekleideten, und die Sozialdemokratische Partei Deutschösterreichs (SDAP) als politische Antagonisten feindselig gegenüber. Grundsätzlich ist den Schilderungen der Parteipresse jedweder politischen Richtung stets mit skeptischer Vorsicht zu begegnen, da in der Zwischenkriegszeit sehr aggressiv agitiert wurde und der Wahrheitsgehalt der Aussagen nicht (mehr) überprüfbar ist. Nach Städtners Ableben wurden die oben erwähnten Vorwürfe zu ihren Lebensverhältnissen im Wilfersdorfer Pfarrhof und die Umstände ihrer Einlieferung ins Mistelbacher Krankenhaus im „Volksbote“126 unter der Schlagzeile „Von der reichen Villenbesitzerin zur bettelarmen Ausnehmerin“ erneut sehr scharf kritisiert und Pfarrer Altemöller sah sich zur Veröffentlichung einer Gegendarstellung des Sachverhalts (aus seiner Sicht) in der christlich-sozialen Wochenzeitung „Neues Wochenblatt für das Viertel unter dem Manhartsberg“ gezwungen.127 Laut seiner Schilderung hätte Städtner ihm ihre beiden Häuser bereits während seiner Zeit als Pfarrer in Kettlasbrunn mehrfach als Geschenk angeboten, dies habe er stets abgelehnt. Später habe er die Häuser nur gekauft, um der Frau in ihrer schwierigen finanziellen Situation zu helfen, da es ihr damals bereits an Geld für Lebensmittel mangelte und er sie mitversorgt habe. Auch die Vorwürfe bzgl. der schlechten Unterbringung bzw. Verpflegung wies er zurück: Frau Städtner sei freiwillig zu ihm in den Pfarrhof gezogen und habe Hilfe bei der Körperhygiene stets schroff abgelehnt, ebenso wie die angebotene Kost, zugunsten der von ihr bevorzugten einfacher, einseitiger Küche. Auch habe er sie stets vor ihrem leichtfertigen und naiven Handeln in finanziellen Fragen gewarnt und zur Sparsamkeit gemahnt, allerdings sei er damit nicht durchgedrungen. Jedenfalls hatte Altemöller die Häuser vermietet bis er nach seinem Übertritt in den Ruhestand 1935 selbst in die Kettlasbrunner Villa einzog. Nach seinem Tode vermachte er die Städtner-Villa der Pfarre Kettlasbrunn, allerdings wurde das Haus zunächst weiterhin von Altemöllers Haushälterin bewohnt, da er dieser ein über seinen Tod hinaus gültiges lebenslanges Wohnrecht eingeräumt hatte.

Am 2. März 1928 verstarb Maria Städtner im Alter von 76 Jahren an Altersschwäche (Herzlähmung) im Mistelbacher Krankenhaus, in das sie einige Tage zuvor eingeliefert worden war. Ihre sterblichen Überreste wurden nach Kettlasbrunn überführt, wo diese drei Tage später im Rahmen eines feierlichen Begräbnisses mit allen Ehren auf dem örtlichen Friedhof beigesetzt wurden.128 Das Grab existiert nicht mehr, allerdings erinnert heute eine an der Aufbahrungshalle angebrachte Gedenktafel an das wohltätige Wirken von Maria Städtner.

Gedenktafel für Maria Städtner an der AufbahrungshalleGedenktafel für Maria Städtner an der Aufbahrungshalle

Im Zuge der Einführung offizieller Straßennamen in Kettlasbrunn im Jahre 2004 wurde auch die Benennung der Städtnerstraße zur Erinnerung an die große Gönnerin des Ortes und Ehrenbürgerin Maria Städtner beschlossen.

Wo befindet sich die Städtnerstraße?

 

Bildnachweis:
-) Fotos Denkmäler und Gedenktafel in Kettlasbrunn und Kirche Bullendorf © 2021 Thomas Kruspel
-) Foto Feierlichkeit Bullendorf (Besitzerin Frau Elfriede Kindl) bzw. Dank an das Team der Topothek Wilfersdorf /Bullendorf
-) Verwendung der Ansichtskarte von Kettlasbrunn mit freundlicher Genehmigung des Besitzers Herrn Stadtrat a.D. Josef Rath bzw. Dank an das Team der Topothek Mistelbach/Kettlasbrunn

Quellen:

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Städtnerstraße (Kettlasbrunn)

Im Zuge der Einführung offizieller Straßennamen in Kettlasbrunn mit Beschluss des Mistelbacher Gemeinderats vom 14. Dezember 2004 wurde diese Straße nach Frau Maria Städtner, Ehrenbürgerin Kettlasbrunns und große Gönnerin der Gemeinde und Pfarre, benannt. Gemäß dem oben angeführten Beschluss lautete der Straßenname zunächst jedoch „Stättnerstraße“ und wurde erst im Jahre 2009 zu „Städtnerstraße“ korrigiert. Die Straße führt am einstigen Wohnsitz von Frau Städtner und der von ihr davor errichteten Sebastiani-Statute vorbei, ehe sie sich in ihrem Verlauf zur Hintausstraße und Grenze des Ortsgebiets wandelt.

Wo befindet sich die Städtnerstraße?

 

Quellen:
-) Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 14.12.2004
-) Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 3.7.2009

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Am Gassl (Siebenhirten)

Der von der Dorfstraße abzweigende und für den Verkehr gesperrte Fußweg „Am Gassl“ entstand zur Mitte des 19. Jahrhunderts (etwa zwischen 1821 und 1862), nachdem der hier einst einen kleinen Bogen machende Mistelbach umgeleitet und das alte Bachbett zugeschüttet wurde.129 Der Verlauf der Mistel wurde so verändert, dass diese oberhalb des Gemeindegasthauses abzweigte und nunmehr vor der Häuserzeile zwischen Gasthaus (Nr. 81/Dorfstr. 11) und Viehhalterhaus (Nr. 66/Dorfstr. 6) verlief und zwischen „neuem“ Bachbett und der Front dieser Häuser wurde ausreichend Platz für einen Fahrweg belassen. Es handelte sich dabei um eine frühe Maßnahme der Mistelregulierung, ehe der Bach Ende der 1920er Jahre im gesamten Gemeindegebiet begradigt und in ein trapezförmiges Korsett gezwängt wurde. Vielleicht nutzte man für diese frühe Korrektur des Bachlaufs die große Trockenheit während des Jahres 1834, als das Bachbett über Monate hinweg völlig ausgetrocknet war.130

Nachfolgend die Darstellung des Verlaufs der Mistel im Franzeischen Kastaster aus dem Jahre 1821. Das Gemeindewirtshaus ist auf dieser Darstellung als öffentliches Gebäude rot und mit der Hausnr. 81 eingezeichnet.

Untenstehend der heutige Verlauf des Bachs (links) vor dem Gasthaus (Dorfstr. 12 (inkl. dem angebauten Feuerwehrhaus Nr. 11)) und im Vergleich zu obiger Karte ist gut zu erkennen, dass das der heutige Weg in seinem Verlauf genau dem einstigen Bachlauf entspricht.

 

Seit jeher wurde dieser Weg schlicht als „Gassl“ bezeichnet und so erhielten im Zuge der Einführung offizieller Straßenbezeichnungen in Siebenhirten im Jahre 2001 einige der daran angrenzenden Häuser die Adressbezeichnung „Am Gassl“.131

Quellen:

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Lang, Franz

Stadtrat Franz Lang

Stadtrat Franz Lang

* 24.2.1892, Mistelbach
† 29.11.1965, Mistelbach

Franz Lang wurde 1892 als Sohn des Gärtners der hiesigen Landessiechenanstalt Alois Lang und dessen Gattin Katharina, geb. Deisch, in Mistelbach geboren.132 Sein Vater, der aus Prag zuzog und bald nach der Eröffnung des Siechenhauses hierher kam, schuf auch die Pläne für die in den 1890ern durch den „Verschönerungsverein 1885“ angelegten Parkanlagen (Stadtpark bzw. Liechtensteinanlage (Kirchenberg).133 Zusammen mit seinen Eltern und zwei älteren Brüdern wuchs Lang in einer Dienstwohnung in der Landessiechenanstalt, die sich einst auf dem Areal des heutigen Pflege- und Betreuungszentrums Mistelbach (Franziskusheim) befand, auf. Nach der Pflichtschulbildung an der Mistelbacher Volks- und Bürgerschule ergriff er wie sein Vater den Beruf des Gärtners und folgte diesem, wohl noch vor dem Ersten Weltkrieg, auch als Gärtner der Landessiechenanstalt nach.134

In den vom k. u. k. Kriegsministerium herausgegebenen Verlustlisten findet sich im März 1918 ein in Mistelbach geborener Franz Lang angeführt, allerdings unter Angabe des Geburtsjahrgangs 1891.135 Da im Jahr 1891 in Mistelbach jedoch keine Person dieses Namens geboren wurde, dürfte es sich hierbei wohl um einen Fehler handeln und es erscheint als sehr wahrscheinlich, dass es sich dabei tatsächlich um den 1892 geborenen Franz Lang handelt, der Gegenstand dieses Beitrags ist. Demzufolge dürfte Franz Lang bei der 4. Kompanie des Infanterieregiments Nr. 84 gedient haben und Anfang 1918 nahe der russischen Stadt Nowosil in Kriegsgefangenschaft geraten sein. Die Meldung seiner Gefangennahme dürfte allerdings erst mit Verspätung eingetroffen bzw. veröffentlicht worden sein, denn zum Zeitpunkt der Bekanntmachung, Ende März 1918, war der mit Russland geschlossene Friedensvertrag bereits seit einigen Wochen in Kraft. Seine Kriegsteilnahme ist auch durch die im April 1940 erfolgte Verleihung des Ehrenkreuzes für Frontkämpfer belegt, mittels der die „Helden“ aus dem Ersten Weltkrieg geehrt und deren Mut und Opferbereitschaft als Vorbild für die aktuelle Kriegergeneration angepriesen wurde.136

Nach seiner Heimkehr kehrte Lang wieder an seinen Posten bei der Mistelbacher Landessiechenanstalt zurück und schloss am 20. Juli 1922 den Bund der Ehe mit Hermine Simperler und dieser Verbindung entstammten ein Sohn (Franz, *1922) und eine Tochter (Emma, *1924).137 Auch mit seiner neugegründeten Familie wohnte er zunächst in einer Dienstwohnung in der Landessiechenanstalt und im Juli 1939 erwarb er schließlich das unweit seines Dienstorts gelegene Haus Liechtensteinstraße Nr. 42 (Ecke Südtirolerplatz/Liechtensteinstraße)(Ecke Südtirolerplatz/Liechtensteinstraße)(Ecke Südtirolerplatz/Liechtensteinstraße) in der ehemaligen Flüchtlingssiedlung.138

1921 trat Lang dem 1864 gegründeten Männergesangsverein Mistelbach bei und führte diesen ab 1923 als Obmann zu neuer Blüte.139 Im Jahre 1934 kam es zu einer Fusion dieses Vereins mit dem zeitgleich bestehenden Musik- und Gesangsverein und Lang wurde zum Obmann der neuen Vereinigung gewählt, ein Amt, das er bis zur endgültigen Einstellung der Vereinstätigkeit im Frühjahr 1945 innehatte.140 Lang war weiters bei der „Mistelbacher Urania“, einer Volksbildungseinrichtung (Vorläufer der Volkshochschulen) engagiert141 und insbesondere auch im „Verschönerungsverein 1885“ aktiv und ab Anfang der 1930er Jahre auch dessen Obmann.142 In letzterer Funktion war er stets bemüht das Stadt- und Straßenbild seiner Heimatstadt ansehnlicher zu gestalten und die Aufstellung der 1945 abgebrochenen Statue des griechischen Gottes Hermes vor der damaligen gewerblichen Fortbildungsschule (heute: Polytechnische Schule) war seinem rastlosen Wirken geschuldet. Bei der Aufstellung dieser Hermes-Statue galt es Widerstände zu überwinden, denn einige Gemeindevertreter nahmen Anstoß an der Nacktheit des Dargestellten. Nach einiger Verzögerung und zähem Ringen wurde die Statue schließlich mit einem die Scham bedeckenden Bruchband aufgestellt. Bei diesem Kompromiss handelte es sich in den Augen von Lang um einen Kunstfrevel, dem er nur zähneknirschend zustimmte. Gemeinsam mit Fritz Bollhammer war Lang übrigens auch Autor der 1934 vom Verschönerungsverein herausgegebenen Werbebroschüre „Die Stadt Mistelbach an der Ostbahn, im Viertel unter dem Manhartsberg (Nordöstliches Weinland)“, die den ersten Versuch darstellte Mistelbach auch touristisch zu positionieren. Darüber hinaus war Lang (mindestens) zwischen 1929 und 1933 als gewählter Vertreter im „Bund der niederösterreichischen Landesangestellten“ in der Berufsvertretung aktiv.143

Aufgrund seines vielseitigen Engagements im Gemeinschaftsleben der Stadt wundert es kaum, dass er bald auch auf dem Feld der Kommunalpolitik aktiv wurde und so zog er anlässlich der Gemeinderatswahl im November 1929 als Kandidat der „Ständepartei“ in den Mistelbacher Gemeinderat ein. In Mistelbach hatten sich die Großdeutschen vor dieser Wahl in zwei Gruppen aufgespalten: die „Ständepartei“, den bürgerlicher Teil der Großdeutschen (hauptsächlich bestehend aus Gewerbetreibenden und Beamten) und den „deutschvölkischen Block“, der wie der Name nahelegt einen radikalen Deutschnationalismus verfolgte und von Anhängern der NSDAP angeführt wurde. Als Vertreter des Gemeinderates wurde Lang in den Verwaltungsausschuss des Bezirks-Krankenhauses und in den Ortsschulrat (1932-1939) entsandt. Im Juni 1931 wurde er schließlich zum Obmann der III. Sektion (Feuerwehr- und Friedhofsangelegenheiten) gewählt144, und obwohl er nicht dem Gemeindevorstand angehörte, soll neben Vizebürgermeister Dr. Steinbauer, auch Gemeinderat Lang in der Folge den häufig kränkelnden und bereits betagten Bürgermeister Josef Dunkl vertreten haben.145 Lang gehörte dem Gemeinderat (ab 1934 „Gemeindetag“) bis zu dessen Auflösung durch Beschluss der neuen nationalsozialistischen Machthaber am 13. März 1938 an.

Franz Lang als Mitglied des Gemeindetages im Jahre 1935 (rotes x)Franz Lang als Mitglied des Gemeindetages im Jahre 1935 (rotes x)

Nachdem das Dollfuß-Regime KPÖ, NSDAP und SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs) verboten hatte, wurden die verbliebenen politischen Kräfte (Christlich-soziale und Rest-Großdeutsche) in der Einheitspartei „Vaterländische Front“ (V.F.) gesammelt, der auch Lang angehörte. Ab 1937 scheint er als Hauptgruppenleiter, also Obmann, der Vaterländischen Front in Mistelbach auf.146 Inwiefern Lang als ehemaliger Anhänger der Großdeutschen sich tatsächlich für die „Vaterländische Idee“ (= der Erhalt der Selbstständigkeit Österreichs auf Basis christlich-ständischer Ordnung) bzw. den Führerkult um Dollfuß begeisterte oder die Betätigung in der V.F. eher aus opportunistischen Gründen erfolgte, bleibt unklar. Letzteres legt die Schilderung der oben bereits erwähnten Schwierigkeiten bei der Aufstellung der der Hermes Statue unter dem Titel „Vom Leidensweg eines Kunstwerks“ in einem im Juli 1939 erschienenen Zeitungsartikel in der Regionalzeitung Grenzwacht nahe. Darin ist zu lesen, dass gerade in jener Zeit als er noch für dessen Aufstellung kämpfte, sich die Ermordung von Dollfuß durch nationalsozialistische Putschisten im Juli 1934 ereignete und im Zug eines vom Regime propagierten Totenkults rund um den ermordeten Führer des Ständestaats, tauchte auch bald die Idee auf anstelle des Bildnisses von Hermes eine Dollfuß-Büste auf dem Conrad Hötzendorf-Platz (heute: Europaplatz) aufzustellen. Dies gefährdete Langs Plan für die Gestaltung des Platzes und laut eigenen Angaben habe er die Organisation rund um die angeregte Dollfuß-Büste lediglich an sich gezogen, um diese zu vereiteln. Und tatsächlich stand wenig später statt Dollfuß der „bedeckte“ Hermes auf dem Platz vor der gewerblichen Fortbildungsschule. Unter den Nationalsozialisten, die sich in ihrem Körperkult durchaus an den Schönheitsidealen der Antike orientierten, wurde schließlich das Bruchband entfernt und die Statue zeigte sich nunmehr in ihrem Originalzustand. Die (angebliche) Sabotage der Sammlung für eine Dollfuß-Büste dürfte wohl hauptsächlich aus eigensinnigen Beweggründen, nämlich zum Zwecke der Durchsetzung seiner Idee für die Gestaltung des Platzes erfolgt sein. Inwiefern dabei auch politische Beweggründe eine Rolle spielten ist fraglich, zweifellos versuchte Lang sich durch die im Artikel geschilderten Begebenheiten den neuen nationalsozialistischen Machthabern anzubiedern bzw. seine Rolle als führender Funktionär in der den Nazis verhassten Vaterländischen Front zu relativieren.147

Das von Lang initiierte und 1945 abgebrochene Hermes-Denkmal vor der gewerblichen Fortbildungsschule (heute: Polytechnische Schule)Das von Lang initiierte und 1945 abgebrochene Hermes-Denkmal vor der gewerblichen Fortbildungsschule (später Berufsschule, heute: Polytechnische Schule)

Seinen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP stellte er jedenfalls bereits im Juni 1938. Doch da es damals natürlich eine Vielzahl an Interessenten gab, galt eine Aufnahmesperre und erst mit 1. Jänner 1940 wurde Lang daher mit der Mitgliedsnummer 8,507.321 in die Partei aufgenommen.148 Wäre er in den Augen der Nationalsozialisten tatsächlich ein „Vaterländischer“ gewesen, wäre er wohl kaum in die NSDAP aufgenommen worden. Im Gegenteil: als Leiter der Vaterländischen Front in Mistelbach hätte er zweifellos Repressalien zu befürchten gehabt, wäre seine „nationale“ Gesinnung nicht über jeden Zweifel erhaben gewesen. Die bald nach dem Anschluss eingeführte nationalsozialistische Gemeindeordnung verwirklichte das Führerprinzip auch auf Gemeindeebene in der Person des Bürgermeisters, der die alleinige Entscheidungsgewalt innehatte und nicht mehr auf die Zustimmung oder Mitwirkung eines Kollegial- bzw. Kontrollorgans angewiesen war. Dem nationalsozialistischen Bürgermeister waren jedoch zwei Gremien beigegeben, die ihn bei seiner Arbeit unterstützen bzw. beraten sollten. Einerseits die Beigeordneten (in Städten auch Stadträte genannt), die den Bürgermeister bei der Wahrnehmung der administrativen Verwaltungsaufgaben unterstützten bzw. ihn gegebenenfalls vertraten und die Gemeinderäte (in Städten Ratsherren genannt) die eine Art Sprachrohr zum Volk bildeten und über die Anliegen der Bürger an die Gemeindeverwaltung heranzutragen waren bzw. deren Meinung bei bestimmten Vorhaben anzuhören war. Entgegen anderslautender Angaben wurde Lang nicht erst 1944 von NS-Bürgermeister Huber als Ersatz für einen zur Wehrmacht eingezogenen Gemeinderat berufen und somit zum Ratsherrn ernannt, sondern er scheint in dieser Funktion bereits 1942 auf. Als Ratsherr wirkte Lang bis zum Untergang des NS-Regimes.149 Jedenfalls 1939 scheint Franz Lang außerdem Gemeindegruppenführer der Mistelbacher Ortsgruppe des Reichsluftschutzbundes – des zivilen Luftschutzverbandes, der die Bevölkerung auf das richtige Verhalten bei Luftangriffen bzw. den Umgang mit den Folgen (Verletzte, Brände, Gas, etc.) vorbereiten sollte, auf.150

Neben seiner Beschäftigung als angestellter Gärtner beim Landessiechenhaus hatte sich Lang gegen Ende des Krieges einen Betrieb als selbstständiger (Handels-)Gärtner gegenüber seines Dienstorts, unterhalb der Liechtensteinstraße (heute: Wohnhausanlage), aufgebaut. Dieses weitläufige Ackergrundstück, das jedenfalls bis zur Landesbahnstrecke reichte, hatte er bereits im Jahre 1930 käuflich erworben.151 Ob mit der erfolgreichen Selbstständigkeit sein Beschäftigungsverhältnis als Landesangestellter endete, oder ob dieses fortdauerte und/oder seine Mitgliedschaft in der NSDAP nach dem Krieg diesbezüglich negative Konsequenzen hatte, ist unklar.152 Nach 1945 wurden die ehemaligen Mitglieder der NSDAP registriert und besonders belastete Nazis mussten sich in einem Verfahren vor sogenannten Volksgerichten verantworten. In einem Bericht aus der ÖVP-Zeitung „Volks-Presse“, heißt es, dass die damals kommunistisch-sozialistisch dominierte Stadtregierung im September 1945 beschloss: „Herrn Gärtner Lang die Gärtnerei bis zur gerichtlichen Erledigung seiner Parteiangelegenheit zu führen“.153 Auch in einem anlässlich seines 70. Geburtstags erschienenen Portraits heißt es dort etwas kryptisch: „In den ersten Nachkriegsjahren musste Lang sein Lebenswerk gegen mißgünstige Zeitgenossen verteidigen.“145 Da im Landesarchiv Wien, dass die Volksgerichts-Akten vom Oberlandesgericht Wien übernommen hat, kein Akt zu einem Verfahren betreffend Lang vorhanden ist, scheint es kein Verfahren vor dem Volksgericht gegen ihn gegeben zu haben. Möglich wäre allerdings, dass Lang angezeigt wurde und die Voruntersuchung aufgrund falscher Anschuldigung bzw. in Ermangelung vorwerfbarer Handlungen eingestellt wurde. Schließlich war Lang weder illegales Mitglied, noch Funktionär der NSDAP und auch dürfte er keine Verbrechen gegen die Menschenwürde verübt haben (die drei wesentlichen Punkte zu denen Prozesse vor den Volksgerichten geführt wurden). Weder die Tätigkeit als Ratsherr der Stadt, das kein Parteiamt darstellte und mit dem auch keinerlei Entscheidungsgewalt verbunden war, noch das Engagement im Reichsluftschutzbund, stellen eine ausreichende Grundlage für ein gerichtliches Verfahren dar. Zwar wurde der Reichsluftschutzbund 1944 in die NSDAP überführt, und Lang hätte somit als Funktionär angesehen werden können, doch auch dies scheint selbst für eine Voruntersuchung eine zu dürftige Ausgangsposition gewesen zu sein. Lang dürfte die Führung seines Betriebs also bald wieder übernommen zu haben. Trotzdem sich in der Unternehmerschaft Mistelbachs viele andere, teils hochrangige Nationalsozialisten fanden, ist kein anderer Fall überliefert in dem die Gemeinde ein anderes privates Unternehmen zeitweilig übernommen und geführt hätte.

Der langjährige Dienstort von Franz Lang: das einstige Landessiechenhaus in der Liechtensteinstraße. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite erkennbar die Beete der Gärtnerei Lang. Aufgenommen 1965, dem Sterbejahr Langs.Der langjährige Dienstort von Franz Lang: das einstige Landessiechenhaus in der Liechtensteinstraße. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite erkennbar die Beete der Gärtnerei Lang. Aufgenommen 1965, dem Sterbejahr Langs.

Bei den ersten Gemeinderatswahlen nach dem Krieg im Mai 1950 wurde Lang als Kandidat der Österreichischen Volkspartei in den Mistelbacher Gemeinderat gewählt. Im Zuge der konstituierenden Gemeinderatssitzung hatten ihn seine Parteikollegen auch als Bürgermeisterkandidaten vorgeschlagen, Lang hatte dies jedoch abgelehnt.145 Allerdings wurde Lang als geschäftsführender Gemeinderat (=Stadtrat) gewählt und war als Markt-, Feuerwehr-, Friedhofs- und Parkreferent, Vorsitzender der für diese Bereiche zuständigen Sektion. Besondere Verdienste erwarb sich Stadtrat Lang beim Bau der 1957 eröffneten Markthalle („Sauhalle“, Vorgängerbau des Stadtsaals), dem 1960 eingeweihten Neubau des heutigen Feuerwehr- und Garagengebäudes und im Bereich der Friedhofsgestaltung bzw. -verwaltung. Doch beschränkte sich Lang keineswegs auf diese Themenfelder, sondern regte auch in vielen anderen Gebieten der Gemeindearbeit Verbesserungen an, die bereitwillig aufgegriffen und umgesetzt wurden.154 Darüber hinaus war Stadtrat Lang auch Ansprechpartner für die Siedler in der Totenhauersiedlung, die aufgrund der Abgeschiedenheit bzw. Entfernung zum Stadtgebiet mit besonderen Herausforderungen (bspw. Wasserversorgung) konfrontiert waren. Ab 1952 gehörte Lang auch dem Verwaltungsrat der Sparkasse der Stadt Mistelbach an, ab 1957 dem Vorstand dieser Institution und ab 1958 bekleidete er schließlich das Amt des Vorsitzenden des Vorstandes.155 In letzterer Funktion war er maßgeblich an der Sicherstellung der Finanzierung zahlreicher Gemeindeprojekte über die Grenzen seiner Zuständigkeit als Stadtrat hinaus, beteiligt.154 Nach insgesamt 20 Jahren in der Gemeindevertretung, zog er sich 1960 aus dieser Funktion zurück156 und anlässlich seines Ausscheidens aus dem Gemeinderat beschloss selbiger am 15. Juni 1960 ihm für sein langjähriges verdienstvolles Wirken im öffentlichen Leben den Ehrenring der Stadt Mistelbach zu verleihen.157

Auch im Vereinsleben nach dem Zweiten Weltkrieg war Stadtrat Lang an führender Stelle tätig: er war Mitglied im Ortsbauernrat, Obmannstellvertreter des Jagdausschusses und gehörte dem Ausschuß zur Wiedergründung des Musik- und Gesangsvereins an und wurde auch zu dessen Ehrenobmann ernannt. Äußerst aktiv war er außerdem im Verein „Volkshochschule – Kultur- und Verschönerungsverein“, dem Nachfolger zweier Vereine bei denen er bereits in der Zwischenkriegszeit aktiv war. 1955 initiierte Stadtrat Lang das jährlich um Allerheiligen stattfindende „Heldengedenken“ auf dem Friedhof – die Gedenkfeier der Stadt für die Toten beider Weltkriege.158 Auch in der Vertretung seines Berufsstandes, war er auf Bezirks- und Landesebene in der Landes-Gartenbauvereinigung für Niederösterreich159, sowie in der nö. Landwirtschaftskammer, engagiert. Laut einem Zeitungsbericht gedachte Gärtnermeister Lang sich 1962, anlässlich seines 70. Geburtstags, aus dem Berufsleben zurückzuziehen, allerdings findet sich Langs Gärtnereibetrieb noch 1965, im Sterbejahr des Betriebsgründers, in Gewerbeadressbüchern, ehe die Geschäftstätigkeit endgültig endete.160 Altstadtrat Langs letzter Dienst am Gemeinwesen dürfte wohl seine Mitarbeit an der 1964 anlässlich des 90-Jahr-Jubiläums der Stadterhebung erschienenen „Mistelbacher Chronik 1914-1964“, die im Rahmen der Reihe „Mistelbach in Vergangenheit und Gegenwart“ veröffentlicht wurde, gewesen sein.161

Franz Lang verstarb am 29. November 1965 und wurde fünf Tage später auf dem Mistelbacher Friedhof bestattet. 1974 beschloss der Mistelbacher Gemeinderat den Franz Lang-Weg im Gedenken an das gemeinnützige Wirken von Stadtrat Lang zu benennen.

Wo befindet sich der Franz Lang-Weg?

Bildnachweis:
Portrait Lang: Volks-Post, Nr. 8/1962, S. 4
Gemeinderat 1935 & Hermesdenkmal (gewerbliche Fortbildungsschule): Stadt-Museumsarchiv Mistelbach
Landessiechenhaus: aus der Sammlung von Frau Rehrmbacher

Quellen:
-) Weinviertler Nachrichten, Nr. 15/1960, S. 1f (Anm.: hier wird der Zeitpunkt des Zusammenschlusses der beiden Gesangsvereine fälschlicherweise mit 1929 angegeben.)
-) Volks-Post, Nr. 8/1962, S. 4
-) Mitteilung der Stadtgemeinde Mistelbach, Folge 117 (Dezember 1965), S. 3

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