Gemeinderat Andreas Schreiber
* 19.12.1869, Mistelbach1
† 1.6.1950, Mistelbach
Andreas Schreiber wurde 1869 als Sohn des Gast- und Landwirts Andreas Schreiber und dessen dritter Gattin Klara, geb. Trestler, im Gasthaus „Zum Goldenen Ochsen“ (Hauptplatz Nr. 6) geboren. Sein Vater war seit 1851 Besitzer dieser ältesten Gastwirtschaft der Stadt, deren Spuren bis in das 14. Jahrhundert zurückreichen, und der zugehörigen Landwirtschaft.2 Schreiber senior, der in der Zeit von 1864 bis 1867 auch Bürgermeister der Stadt Mistelbach3 war, verstarb 1892 und sein gleichnamiger Sohn folgte ihm als Gastwirt im „Goldenen Ochsen“ und auch als Landwirt nach. Zur Erbschaft nach dem Vater gehörte auch ein Ziegelofen, der weit außerhalb des Ortsgebiets in Richtung Siebenhirten lag.4
Das Gasthaus „Zum Goldenen Ochsen“ der Familie Schreiber am Mistelbacher Hauptplatz im Jahr 1900. Es scheint sehr wahrscheinlich, das sich unter den in den Fenstern des ersten Stockwerks erkennbaren Herren auch der Hausbesitzer Andreas Schreiber befindet. (Foto: Göstl-Archiv)
Am 12. Februar 1900 ehelichte er Anna Pfeil, die Tochter eines Mistelbacher Gerbereigehilfen, in der Pfarre Mariahilf in Wien5 und dieser Verbindung entstammten sieben Kinder, von denen drei jedoch bereits im Säuglingsalter verstarben6. Im selben Jahr verkaufte Schreiber das Gasthaus „Zum Goldenen Ochsen“ an die Gemeinde, die die Häuser Nr. 4 und 6 am Nordende des Hauptplatzes abbrach und an dieser Stelle das neue Amtsgebäude für Gemeinde, Bezirkshauptmannschaft und Sparkasse errichtete. Auch im einstigen Spitalsviertel (etwa im Bereich Mitschastraße/Oserstraße/Thomas Freund-Gasse/Gspanngasse) kam es zu Ende des 19. Jahrhunderts zu einer räumlichen und baulichen Neuordnung und noch 1900 errichtete Schreiber hier an der Adresse Schulgasse (heute: Thomas Freund-Gasse) Nr. 6 ein Wohnhaus samt Wirtschaftsgebäuden.7 Schreiber widmete sich fortan (ausschließlich) der Landwirtschaft und gehörte zu den wohlhabendsten Bauern der Stadt.8 Wie lange er die oben erwähnte ererbte Ziegelei weiterbetrieb ist unklar, möglicherweise war deren Fortbetrieb nach der 1899 erfolgten Gründung des großen Ziegelwerks links der Bahnstrecke nicht mehr rentabel.
Er wurde 1905 als Kandidat der von Bürgermeister Thomas Freund angeführten „Vereinigten Bürgerpartei“ (Wahlbündnis aus Deutschnationalen & Christlichsozialen) in den Mistelbacher Gemeindeausschuss (=Gemeinderat) gewählt und erreichte im 1. Wahlkörper die meisten Stimmen.9 Bei der Ergänzungswahl Ende August 1908 wurde er erneut als Mitglied des Gemeindeausschusses bestätigt10 und gehörte schließlich von 1911 bis 1919 auch dem Gemeindevorstand (=Stadtrat) an, dessen Mitglieder, abgesehen vom Bürgermeister, damals als Gemeinderäte bezeichnet wurden.11 Nachdem Schreiber anlässlich der Reichsratswahl 1911 als Mitglied des Deutschfreiheitlichen Wahlausschusses aufscheint, ist seine politische Gesinnung als Deutschnationaler klar belegt und schon sein Aufstieg zum Gemeinderat nach der Gemeindeausschusswahl 1911, bei der die Deutschnationalen triumphierten, legte diesen Schluss nahe.12 Während seiner Zeit als Gemeinderat stand er der „Sektion für Bewirtschaftung der Gemeindeweingärten, Viehhirt und Stiererhaltung, Schutz der Bodenkultur“ des Gemeindeausschusses als Obmann vor.13 Während des Ersten Weltkriegs fanden keine Wahlen statt und somit erstreckte sich die Amtsperiode des zuletzt gewählten Gemeindeausschusses bis zu den ersten Gemeindewahlen in der neugegründeten Republik im Jahr 1919, anlässlich derer sich Schreiber aus der Gemeindevertretung zurückzog. Weiters gehörte Schreiber von 1911 bis 1917 als von der Gemeinde entsandter Vertreter auch dem Ausschuss der Sparkasse Mistelbach an.14 Zu Beginn des Weltkriegs wurden die grundsätzlich musterungspflichtigen Mitglieder des Gemeindevorstands (=Bürgermeister und Gemeinderäte) zunächst von der Stellungspflicht enthoben, doch aufgrund des Kriegsverlaufs wurden auch sie im Februar 1916 schließlich der Musterung unterzogen und sollten alsbald einrücken.15 Auch Schreiber war für tauglich befunden worden, doch da er in seinem landwirtschaftlichen Betrieb unabkömmlich war und die Lebensmittelproduktion in der Heimat aufrechterhalten werden musste, konnte er sich durch ein Enthebungsgesuch dem Kriegsdienst entziehen.16
Bei der ersten Wahl zur neu geschaffenen niederösterreichischen Landwirtschaftskammer bzw. den Bezirksbauernkammern im Mai 1922 kandidierte Schreiber auf dem ersten Listenplatz des “Großdeutschen Hauer- und Bauernbundes” für den Gerichtsbezirk Mistelbach. Die großdeutschen Bauernvertreter blieben im Gerichtsbezirk Mistelbach allerdings selbst hinter den Bauernvertretern der Sozialdemokraten weit zurück, ganz zu schweigen vom klaren Sieger der Wahl – dem christlich-sozialen Niederösterreichischen Bauernbund, und somit konnte Schreiber kein Mandat erringen.17
Andreas Schreiber verstarb am 1. Juni 1950 und wurde zweit Tage später im Familiengrab auf dem Mistelbacher Friedhof beigesetzt.18
Schreibers letzte Ruhestätte auf dem Mistelbacher Friedhof
Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts waren Schreibers Nachfahren noch in der Landwirtschaft tätig bzw. im Besitz von Ackerland in Mistelbach und langwierige Verhandlungen betreffend einen Grundankauf zwecks Ausbau der Industrieparkstraße zu einer durchgängigen Verbindungsstraße zwischen Mitschastraße und Ebendorfer Straße waren zunächst erfolglos geblieben. Schließlich konnte durch den damaligen Bürgermeister Ing. Resch eine Einigung erzielt werden, indem vereinbart wurde, dass eine Straße im Gemeindegebiet nach jener Person benannt werden sollte, der dieser Beitrag gewidmet ist. Daher beschloss der Gemeinderat im März 2001 einer bis dahin noch namenlosen Seitengasse am Ende der Bahnstraße den Namen Andreas Schreiber-Straße zu geben.19
Wo befindet sich die Andreas Schreiber-Straße?
Quellen (und Anmerkungen):
- Pfarre Mistelbach: Taufbuch (1859-1871), Fol. 300
Eintrag Taufbuch Pfarre Mistelbach - Spreitzer, Prof. Hans: „Von den Häusern, Straßen, Gassen und Plätzen Mistelbachs“ in: Mistelbach Geschichte I (1974), S. 216, 219, : Mistelbach I (1974), S. 219
- Fitzka, Karl: Geschichte der Stadt Mistelbach (1901), S. 231
- Ramml, Christian Ferdinand: Ziegelöfen und Lehmabbaue der politischen Bezirke Mistelbach und Gänserndorf (Niederösterreich): Geschichte und Geologie – Archiv für Lagerstättenforschung, Band 27 (2014), S. 330; Fitzka, Karl: Geschichte der Stadt Mistelbach (1901), S. 275
- Pfarre Mariahilf-Wien: Trauungsbuch (1899-1904), Fol. 91
Eintrag Trauungsbuch Pfarre Mariahilf-Wien
bzw. Delegationseintrag:
Pfarre Mistelbach: Trauungsbuch (1898-1911), Fol. 30
Eintrag Trauungsbuch Pfarre Mistelbach
Anm.: während Schreiber im Eintrag der Pfarre Mistelbach nur als Wirtschaftsbesitzer (=Landwirt) bezeichnet wird, findet sich im Eintrag der Pfarre Mariahilf als Berufsangabe Gastwirt und als Nachtrag zusätzlich „Wirtschaftsbesitzer“ eingefügt - laut Einträgen in den Taufbüchern der Pfarre Mistelbach im Zeitraum 1901-1909
- Fitzka, Karl: Geschichte der Stadt Mistelbach (1901), S. 277 (Liste der bis Ende 1900 errichteten Häuser der Stadt)
Noch beim Eintrag im Trauungsbuch im Februar 1900 wird Schreibers Adresse mit Hauptplatz Nr. 6 angegeben. - Als Indiz für erheblichen Wohlstand kann wohl die Tatsache ins Treffen geführt werden, dass Schreiber nach dem damaligen Zensus- und Kurienwahlrecht, dass die Wähler nach ihrer Steuerleistung klassifizierte, dem ersten Wahlkörper angehörte (siehe: Fitzka, Karl: Ergänzungs- und Nachtragsband zur Geschichte der Stadt Mistelbach (1913), S. 127
- Bote aus Mistelbach, Nr. 38/1905, S. 4
- Mistelbacher Bote, Nr. 36/1908, S. 4
- Fitzka, Karl: Ergänzungs- und Nachtragsband zur Geschichte der Stadt Mistelbach (1913), S. 127, 214;
Bayer, Franz/Spreitzer, Prof. Hans: „Der Mistelbacher Gemeinderat seit der Stadterhebung“ In: Mistelbach in Vergangenheit und Gegenwart – Heimatkundliche Schriftenreihe der Stadtgemeinde Mistelbach, Band I (1964), S. 169f, 195 bzw. die aktualisierte Version „Die Bürgermeister Mistelbachs ab 1850, Die Stadträte und Gemeinderäte Mistelbachs seit der Stadterhebung im Jahre 1874“ In: Mistelbach in Vergangenheit und Gegenwart – Heimatkundliche Schriftenreihe der Stadtgemeinde Mistelbach, Band III (1982), S. 113; (Anm.: die Amtsdauer Schreibers als Stadtrat wird bei beiden Beiträgen fälschlicherweise mit 1911 bis 1921 angegeben.) - Wochen-Zeitung für das Viertel unter dem Manhartsberge, Klosterneuburg u. Umgebung, Nr. 23/1911, S. 2
- Wochen-Zeitung für das Viertel unter dem Manhartsberge, Klosterneuburg u. Umgebung, Nr. 3/1912, S. 11
- Fitzka, Karl: Ergänzungs- und Nachtragsband zur Geschichte der Stadt Mistelbach (1913), S. 215;
Festschrift 100 Jahre Sparkasse der Stadt Mistelbach In: Mistelbacher in Vergangenheit und Gegenwart, Band I (1962-1969), S. 513 (Anm.: Entgegen den Angaben auf Seite 514 fand die Neuwahl des Ausschusses und Direktoriums der Sparkasse nicht im Dezember 1918, sondern bereits im Dezember 1917 nach Ablauf der 6-jährigen Funktionsperiode statt. Siehe hierzu auch: Österreichische Land-Zeitung, Nr. 2/1918 (23. Jänner 1918), S. 2 (ONB: ANNO); Österreichische Land-Zeitung, Nr. 3d/1918 (12. Jänner 1918), S. 12 (ONB: ANNO)) - Österreichische Land-Zeitung, Nr. 8/1916 (19. Februar 1916), S. 16 (ONB: ANNO)
- Österreichische Land-Zeitung, Nr. 8c/1916 (22. Februar 1916), S. 3 (ONB: ANNO)
- Niederösterreichische Wochen-Zeitung, 26. Mai 1922 (4. Jg. – Nr. 21) S. 4
- Mistelbacher Bote, Nr. 23/1950, S. 3 (ONB: ANNO)
- ÖVP-Fraktion Mistelbach (Hrsg.): Bilanzbuch Bgm. Ing. Christian Resch (2000), S. 23;
Sitzungsprotokoll des Mistelbacher Gemeinderates vom 7. März 2001