Zayagasse

Während des Ersten Weltkriegs entstand unterhalb des Bezirkskrankenhauses mit der Flüchtlingsstation ein neuer, etwas außerhalb des bebauten Ortsgebiets gelegener Stadtteil. Die westlich, also stadteinwärts an die Flüchtlingsstation angrenzenden Äcker, hatte der Staat als Areal für eine allfällige Erweiterung der Flüchtlingsstation angekauft. Hierzu kam es nicht und in der großen Wohnungsnot nach Ende des Ersten Weltkriegs waren nicht nur die nach der Heimkehr der Flüchtlinge leerstehenden Häuser sehr begehrt, sondern es herrscht bald auch Bedarf an Baugründen für Einfamilienhäuser. Mitte der 1920er Jahre wurden also die erwähnten, mittlerweile in den Besitz der Gemeinde übergegangenen Grundstücke zu Baugründen aufgeschlossen und es entstand eine neue Siedlung im Bereich zwischen Zayagasse, Liechtensteinstraße, Michael Hofer-Zeile und Schillergasse. Gemäß dem Gemeinderatsbeschluss vom 4. April 1925 erhielt die am Rande dieser Siedlung befindliche und entlang der Mistel verlaufende, zur Zaya führende, Straße den Namen „Zayagasse“.1 Natürlich existierte hier entlang der Mistel schon lange vor der Errichtung der Siedlung ein Feldweg, der den Landwirten als Zufahrtsweg zu ihren Feldern diente und das Erscheinungsbild eines Feldwegs sollte diese Straße wohl noch einige Jahre nach ihrer Benennung beibehalten. Interessanterweise trägt aber heute nicht nur der neben der Mistel verlaufende Straßenzug, sondern auch jener der zur Liechtensteinstraße führt den Namen „Zayagasse“. Im Gemeinderatsbeschluss aus dem Jahre 1932 mit dem die Haydngasse ihren Namen erhielt, steht allerdings explizit zu lesen, dass diese sich von der Mitschastraße, über die Mistelbrücke bis zur Liechtensteinstraße erstreckt. Ob es jemals einen entsprechenden Änderungsbeschluss gab, oder ob sich diese den Beschlüssen widersprechende Benennung im Verlauf der Jahre einfach etablierte, ist unklar.

Die Zayagasse Anfang/Mitte der 1930er Jahre: von einer Straße kann wohl nicht gesprochen werden, eher von einem Feldweg mit sehr schlängelndem Verlauf. Gelbe Punktlinie: die Zayagasse entlang der Mistel;  grüne Punktlinie: jener Teil der Zayagasse der zur Liechtensteinstraße führt. Das Gelände auf dem 1937 die Kaserne errichtet wurde, bestand damals noch aus Äckern.Die Zayagasse Anfang/Mitte der 1930er Jahre: von einer Straße kann wohl nicht gesprochen werden, eher von einem Feldweg mit sehr schlängelndem Verlauf. Gelbe Punktlinie: die Zayagasse entlang der Mistel; grüne Punktlinie: jener Teil der Zayagasse der zur Liechtensteinstraße führt. Das Gelände auf dem 1937 die Kaserne errichtet wurde, bestand damals noch aus Äckern.

Im November 1963 erfolgte der Baubeginn für die Wohnhausanlage Zayagasse 2-62, auf einer bis dahin großteils unverbauten Fläche. Zuvor befand sich jedenfalls ab 1931 an dieser Stelle bzw. nahe dem Kreuzungsbereich Haydngasse/Zayagasse der Platz des kurz zuvor gegründeten „Mistelbacher Tennis-Klubs“, der auf obigem Bildausschnitt auch gut erkennbar ist.3 Einen „Lawn-Tennis-Verein“ gab es in Mistelbach allerdings bereits seit 19024 – es existierten in den 1930er Jahren somit also zwei Tennisvereine, wobei der ältere Verein zuletzt unter der Führung von Dr. Otto Stadler, einem der führenden Nationalsozialisten Mistelbachs, stand.5 Nachdem in der Vereinsführung und unter den Mitgliedern des „jüngeren“ Tennis-Klubs zumeist Juden aufscheinen, wurde dieser in der Literatur, die sich mit dem jüdischen Leben Mistelbachs befasst, als „jüdischer Tennisverein“ bezeichnet6, obwohl selbiger jedenfalls anfangs augenscheinlich allen Tennis-Interessierten offenstand.7 Es scheint durchaus plausibel, dass die Vereinsgründung eine Reaktion auf Entwicklungen des Lawn-Tennis-Vereins hin in eine völkische und antisemitische Richtung gewesen sein könnte. Möglicherweise waren Juden im alten Tennisverein nicht (mehr) erwünscht oder man hatte gar wie einige andere Mistelbacher Turn- und Sportvereine lange vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten einen Arierparagrafen in die Vereinsstatuten aufgenommen. Mit dem Jahr 1938 kam wenig verwunderlich das Ende des „Mistelbacher Tennis-Klubs“ und der Platz wurde in den 1950er Jahren als Stand- und Lagerplatz für den Wohnwagen bzw. die Fahrgeschäfte des in Mistelbach ansässigen Schaustellers Kastlunger genutzt.8

Die Fortsetzung der Zayagasse über die Landesbahnstrecke hinaus in Form eines Fußgänger- bzw. Radweges erhielt 2003 den Namen Hofrat Thurner-Promenade.

Wo befindet sich die Zayagasse?

 

Quellen:

  1. Mistelbacher Bote, Nr. 16/1925, S. 2 (ONB: ANNO)
  2. Mitteilungen der Stadtgemeinde Mistelbach, Folge 107, Mai 1964, S. 2;
    Göstl, Georg/ Leithner, Johann/ Weidlich, Alfred/ Steiner, Oskar/ Kummer, Johann: „Mistelbacher Chronik von 1914 bis 1988“, Band IV (1989) der Reihe Mistelbach in Vergangenheit und Gegenwart, S. 49
  3. Mistelbacher Bote, Nr. 25/1931, S. 4 (ONB: ANNO)
  4. Mistelbacher Bote, Nr. 11/1903, S. 5 (ONB: ANNO)
  5. Vereinskatasterblätter im Niederösterreichischen Landesarchiv
  6. Eybel, Heinz /Jakob, Christa/Neuburger, Susanne: Verdrängt und Vergessen. Die jüdische Gemeinde in Mistelbach (2003), S. 77;
    Höfler, Ida Olga: Die jüdischen Gemeinden im Weinviertel und ihre rituelle Einrichtungen 1848-1939/45 – der politische Bezirk Mistelbach, Band II (2017), S. 422;
    Vereinskatasterblätter im Niederösterreichischen Landesarchiv
  7. als Beleg hierfür kann dieser Bericht dienen in dem um Mitglieder geworben wird: Mistelbacher Bote, Nr. 25/1931, S. 4 (ONB: ANNO)
  8. Jakob, Christa/Steiner, Oskar: Mistelbach in alten Ansichten, Band 2 (2001)
Dieser Beitrag wurde unter Straßen veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.